Schulalltag in Corona-Pandemie: Umarmungen sind Tabu
In der Hamburger Max-Schmeling-Schule mühen sich Lehrer und Schüler, zum regulären Alltag zurückzufinden. Ein Ortsbesuch bei 27 Grad im Schatten.
Auch Schulleiter Philipp Scholz trägt eine Maske. In seinem Büro legt er sie ab. Wie der Schulstart an der Max-Schmeling-Stadtteilschule so läuft? Neulich, als das Fernsehen da war, zog er ein positives Fazit. „Aber wir müssen jeden Tag von vorn anfangen“, sagt Scholz nun. Man müsse den Kindern deutlich machen, wie wichtig die Maske ist. „Manche setzen sie erst auf, wenn sie Pädagogen sehen.“
Die Nervosität, ob es richtig war, die Kinder wieder in voller Klassenstärke in die Schulen zu lassen, geht durch die ganze Stadt. Eltern fordern in einem offenen Brief, es doch zunächst mit halben Klassen und Abstand zu probieren. Laut Schulbehörde sind 21 Schüler und drei Beschäftigte an insgesamt 22 der 372 Schulen mit dem Coronavirus infiziert. Bei fast allen wurde dies noch in den Ferien bekannt, sie bleiben in Quarantäne. Nur eine vierte Klasse blieb erst mal zu Hause.
„Ich bin Befürworter der kompletten Schulöffnung“, sagt Schulleiter Scholz. Gerade für Kinder aus bildungsferneren Haushalten sei es wichtig, wieder den Lernort Schule zu haben. Die nach dem berühmten Boxer benannte Schule liegt teils im Stadtteil Jenfeld, einem Viertel mit vielen Hochhäusern.
„Ganz schwierig“
Scholz muss kurz rüber ins Lehrerzimmer, den neuen Hausmeister vorstellen. Seine Vertreterin Antje Reißig lehrt schon seit dreißig Jahren hier. Sie erinnert an die lange Schließung. Im Flur stand ein Tisch, wo Kinder die Materialien abholten. „Das klappte gut“, sagt sie. „Aber es war für viele unserer Schüler ganz schwierig, zu Hause sein zu müssen.“
Als die Ferien vorbei waren, bekamen alle Hamburger Schüler einen Brief an die Eltern mit, ob sie zwei Wochen zuvor in einem Risikoland waren? Das traf hier auf eine Hand voll zu. Heute ist nur einer noch zu Hause.
Es läutet. Lehrerin Claudia Michaelis geht in den Unterricht einer achten Klasse. Im Gang stehen zwei Putzkräfte für Zwischen-Reinigungen, wie sie nun jede Schule hat. Noch auf dem Weg kommt eine Durchsage. Scholz erinnert an die Maskenpflicht auf Hof und Fluren. Wer sich nicht dran hält, werde nach Hause geschickt. Ein Kind schiebt rasch den Schutz über die Nase.
Die Klasse wirkt voll. 25 Teenager an Zweiertischen. Sie sind still. Es ist die erste Stunde des Profilunterrichts zum Thema „Hund“. Schule finden sie gut. „Es ist zu Hause so langweilig“, sagt Ygit. Nur die Masken finden sie blöd. „Die sind so warm“, sagt Gilberto. „Man kann nicht atmen“, ergänzt Ygit. Die Kinder melden sich höflich. Auf der einen Seite sei Schule gut, „aber man schwitzt richtig“.
Gibt es Hitzefrei?
Angst vor dem Virus hätten sie nicht, aber Sorge, Ältere anzustecken. Den Vorschlag, nur in der halben Zeit mit der halben Klasse zu haben, finden sie nicht gut. Hier mischt sich Lehrerin Michaelis ein. Es sei sinnvoll, wie vor den Ferien die Klassen zu teilen, weil die Schüler so besser lernten, sagt sie.
Im Büro des Schulleiters herrscht derweil Hochbetrieb. Vor der Tür hängt ein Plakat mit sechzehn Hygieneregeln und der Androhung, sonst nach Hause gehen zu müssen. Umarmungen etwa sind tabu. Eben erst musste Scholz eine Schülerin ohne Maske ermahnen. Er will durchgreifen bei den Hygieneregeln. Doch er kann nicht alle 1.100 Schüler kontrollieren, muss darauf vertrauen, dass alle mitmachen.
Laut Gesundheitsbehörde gab es am Dienstag an keiner Hamburger Schule ein „Infektionsgeschehen“. Doch in der Stadt gingen, wie überall, die Zahlen wieder hoch – mit zuletzt 288 Neuinfektionen pro Woche. Steigt die Zahl über 900, könnte es wieder Online-Unterricht geben. Die Schule bekommt 190 Laptops. „Die könnten wir an die Familien geben“, sagt Scholz. Aber er ist nicht sicher, ob die Schüler auch Internet und Drucker haben. Und auch, wie der Unterricht fürs häusliche Lernen aufbereitet wird, sei nicht ganz klar.
Die Hitze tut ihr Übriges. Um elf Uhr sind es schon 27 Grad. Antje Reißig ist froh, dass die Schüler die Maske nicht im Unterricht tragen müssen. „Das hält keiner aus.“ Auf ihrem Tisch liegt ein schmales Thermometer, mit dem sie am Dienstag in einer Klasse 35 Grad gemessen hat. Das will sie nachher wieder tun. Womöglich gibt es dann hitzefrei.
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