SchülerInnen-Theater in Osnabrück: Zu viel Theater für die AfD
SchülerInnen einer Osnabrücker Gesamtschule haben ein Theaterstück über Rechtspopulismus geschrieben. Jetzt stilisiert sich die AfD als Opfer.
So war es Anfang Mai an der Osnabrücker Gesamtschule Schinkel: Schüler des 11. Jahrgangs führen ein „Dokumentendrama“ auf, ein Stück über Nationalismus und Fremdenhass – Tweets und Zitate (nicht nur) der AfD koppeln sie mit eigenen Gedanken. Station auf Station führen sie die Zuschauer dabei durch ihre Schule. Eine schonungslose Reise, die tief hineinführt ins harte, dunkle Herz rechtspopulistischer Demagogie. Wie gut ihre Treffer liegen, zeigt die Hölle, die kurz darauf losbricht.
Denn die AfD schlägt zurück. So dünnhäutig und heuchlerisch selbstgerecht, wie sie es immer ist, wenn es ums Thema Schule geht: von ihrem Antifa-Sticker-Aufschrei an der Hamburger Ida-Ehre-Schule bis zu ihren Online-Portalen zur Denunziation AfD-kritischer Lehrer.
Und nicht nur lokale Kräfte empören sich. Von einer „ungeheuerlichen Falschdarstellung“ spricht Harm Rykena, bildungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag. Die Schulleitung müsse sich „von der Aufführung distanzieren und eine parteipolitische Instrumentalisierung ihrer Schüler unterbinden“. Man erwarte eine „öffentliche Entschuldigung“.
Rechter Blog veröffentlicht Adresse des Schulleiters
Da ist sie wieder, die Opferrolle, in die sich die AfD gern hineinstilisiert. Von einer Instrumentalisierung der Schüler kann zwar keine Rede sein, alle Darsteller haben ihre Parts selbst geschrieben, aber Verschwörungstheorien gehören schließlich zum Standardrepertoire der rechten Desinformation.
Natürlich hält sich auch der rechtspopulistische Internet-Blog journalistenwatch.com nicht zurück. „Irrsinn“ macht er bei der zuständigen Lehrkraft aus. Der Fall zeige, „wie dringend notwendig Schulportale, die die politische Neutralität von Schulen und Lehrkräften im Auge haben, sind“. „Danke dafür, AfD“ sei „ein einziges Hetzstück“.
Und auch die Infokrieger von pi-news.net ziehen in die Schlacht. Hier werde „linke Identitätspolitik zelebriert“, behaupten sie, sprechen von einer „Vernichtungs-Terminologie“ gegenüber der AfD, von „moralisch aufgeladenem Halbwissen aus einer linken Echokammer“, von einer „teuflischen Saat“ und enden mit einem Aufruf: Sie zeigen ein Foto von Schulleiter Udo Cronshagen mit Adresse, Telefonnummer, Mail und bitten um „faire und sachliche Art der Kontaktierung“.
Kontaktiert wird Cronshagen dann auch. Aber was bei ihm eingeht, ist Hass und Hetze. Sogar Androhungen von Gewalt sind dabei, heißt es. So bedrängend, so bedrohlich ist das, dass er die Landesschulbehörde um Hilfe bittet. Nein, er wolle zu alldem nichts sagen, sagt er. Seine Stimme klingt matt dabei, tonlos.
Andreas Herbig, Landesschulbehörde
Andreas Herbig, Sprecher der Behörde, wird dagegen deutlich. „Das ist schon sehr hetzerisch, was da geäußert wird. Teils auch zutiefst persönlich beleidigend.“ Die Behörde berät die Gesamtschule jetzt, um „Druck von ihr zu nehmen“. Wichtig sei „insbesondere, jetzt die Schüler zu schützen. Wir haben ihnen beispielsweise geraten, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, damit sie nicht zu direkten Zielscheiben ihrer Gegner werden.“ Auch Herbig ist Fassungslosigkeit anzumerken. „Wir analysieren jetzt alles und entscheiden dann, ob wir Maßnahmen gegen diese Anwürfe ergreifen.“
Und die politische Neutralität der Schule? Herbig, kämpferisch: „Sie ist wichtig, klar: Aber es ist eben auch Teil der schulischen Bildung, sich politischen Inhalten anzunähern.“
SchülerInnen bekommen Zuspruch von CDU und SPD
Das sieht Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) genauso: Schule solle nicht „politisch steril“ sein, „diese Auseinandersetzung schärft das Urteil, fordert heraus und fördert die Bildung – auch die des Herzens“. Griesert, deutlich: „Wir müssen uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass wir unsere Meinung frei äußern können.“ Toleranz heiße auch Duldung.
Auch die örtliche SPD gibt Cronshagen und seinen Schülern Schützenhilfe: Patrick Kunze, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AfB), sagt: Schule müsse „den Anspruch haben, unsere jungen Menschen für eine kritische Auseinandersetzung mit jeder Form von Politik zu befähigen“.
AfDler Harm Rykena sagt zu den „bösartigen Mails“ an Cronshagen übrigens: „Hass und Hetze sind nie der richtige Weg.“ Stimmt. Aber seine Weggefährten sehen das anders.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers