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Scholz-Plan gegen InflationGemischte Reaktionen

Bundeskanzler Scholz schlägt eine „konzertierte Aktion“ zur Bewältigung der Inflation vor. Die Resonanz ist verhalten.

Olaf Scholz bei der Haushaltsdebatte am 31.5. im Bundestag Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Auf gemischte Reaktionen stößt der Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz, Arbeitgeber, Gewerkschaften und die Politik sollten zu einer „konzertierten Aktion“ zusammenkommen. Die Verkehrsgewerkschaft EVG warnte am Donnerstag vor einem Eingriff in die Tarifautonomie. „Schon die Einladung macht deutlich, dass am Ende Zurückhaltung bei den Lohnforderungen erwartet wird“, erklärte dazu EVG-Tarifvorstand Kristian Lorch am Donnerstag auf der Webseite der Gewerkschaft.

Scholz hatte am Mittwoch im Bundestag angekündigt, er wolle Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu einer „konzertierten Aktion“ zusammenrufen, um über gemeinsame Maßnahmen gegen die hohe Inflation zu beraten. „Gemeinsam mit den Sozialpartnern wollen wir diskutieren, wie wir mit der aktuellen Preisentwicklung umgehen“, sagte er. Im Kanzleramt hieß es am Donnerstag, die Bundesregierung werde kurzfristig über die weiteren Details informieren.

Scholz hatte als positives Beispiel auf die chemische Industrie verwiesen, die mit einer einmaligen Sonderzahlung für die Beschäftigten einen „interessanten“ Weg gewählt habe, so Scholz. In der chemischen Industrie waren Tariferhöhungen im April wegen der unsicheren wirtschaftlichen und politischen Lage auf den Oktober verschoben worden. Als Zwischenlösung bekommen die Tarifbeschäftigten der Chemiebranche spätestens im Mai eine sogenannte Brückenzahlung von in der Regel einmalig 1.400 Euro. Der Vorteil dieser Einmalzahlungen für die Arbeitgeber liegt darin, dass sie nicht dauerhaft in die Entgelte ein­gehen und auch nicht in die Entgelthöhen, die bei den nächsten Tarifverhandlungen als Grundlage für weitere Steigerungen dienen.

Für die Metallindustrie stehen im Herbst Tarifverhandlungen an. Der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, erklärte, Einmalzahlungen könnten zwar dazu beitragen, temporär „soziale Härten auszugleichen“. Sie seien aber „kein Ersatz für eine verteilungsgerechte Erhöhung der Entgelttabellen“. Die IG Metall werde sich gemeinsam mit der Chemiegewerkschaft IG BCE für „dauerhaft höhere Entgelte der Beschäftigten“ einsetzen. Ein Sprecher des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall begrüßte den Vorschlag von Bundeskanzler Scholz und warnte im Gespräch mit der taz, Tarifpolitik könne „nicht die aktuelle Inflation ausgleichen“.

Erinnerungen an 1967

Der von Scholz gewählte Begriff „konzertierte Aktion“ weckt Erinnerungen an die sogenannte Konzertierte Aktion im Jahre 1967. Damals stagnierte die Wirtschaft. Karl Schiller (SPD), damals Wirtschaftsminister in einer Großen Koalition, setzte einen Dialog zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden in Gang mit dem Ziel, sich in der Lohnpolitik auf moderate Erhöhungen zu einigen. Als die Wirtschaft wieder boomte, forderten die Gewerkschaftsmitglieder eine stärkere Erhöhung der Reallöhne, es kam 1969 zu sogenannten „wilden Streiks“.

Jahrzehnte später gab es weitere Kooperationsversuche von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Politik, so wie ein von den Gewerkschaften initiiertes „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung“ im Jahre 1995 und im Jahre 1998 dann das „Bündnis für Arbeit“ unter der Regierung von Gerhard Schröder (SPD). Aufgrund der Massenarbeitslosigkeit konnten die Arbeitgeber damals mit dem Abbau von Jobs drohen, um moderate Lohnsteigerungen zu erzwingen. Heute herrscht hingegen Arbeitskräftemangel.

In der Praxis gehen die Tarifkämpfe derweil weiter: Beschäftigte der Stahlindustrie beteiligten sich am Donnerstag an regionalen Warnstreik­aktio­nen. In der Stahlindustrie fordert die IG Metall 8,2 Prozent mehr Lohn.

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5 Kommentare

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  • 1. Die Konzertierte Aktion richtet sich nur gegen die berechtigten Forderungen der Arbeitnehmer.



    2. Kein Thema sind die sprudelnden Profite der Unternehmen, die wachsenden Vermögen der Reichen.



    3. Herr Habeck entpuppt sich als das, was er ist - greenwashed Liberaler. Das Thema Soziale Gerechtigkeit kommt in seinem Katechismus nicht vor. Das kann Lindner nicht besser.



    4. So wie damals ist die KA heute letztlich eine Einrichtung zur Disziplinierung der Arbeitnehmer - und die meisten Gewerkschaften machen mit.

    • 9G
      93851 (Profil gelöscht)
      @Philippe Ressing:

      Genau!

      5. Der Begriff "Nachhaltigkeit" sollte im deutschen Polit-Wortschatz sofort gestrichen werden, da seine Anwendung regelmäßig zur Farce mutiert: mit Pseudo-Aktionen auf "Pflaster-Basis" wie 9 €-Ticket, Einmal-Zahlungen u.ä. "rettet" man gar nichts!

  • Was wir dringend bräuchen ist eine Vermögenssteuer.



    Nun zeigt sich, wie fatal eine Koalition mit der FDP tatsächlich ist.



    Der kleine Mann sammelt die Brotkrumen vom Boden.

  • Ich bin keine Expertin in Wirtschaft, aber diese kurzfristigen "Notpflaster" (Einmal-Zahlungen, 9-€-Ticket etc) scheinen nicht grundlegend genug zu sein, um Probleme tragbar zu lösen..



    Sein Image scheint Herrn Scholz wichtiger zu sein, als dass Krisen tiefgehender gelöst werden.

  • Ich bin mal gespannt, ob jetzt schnell die Erhöhung des Mindestlohns auf 12€ gestrichen wird... Widerstand dagegen gibt es ja in der Wirtschaft mehr als genug und das Argument "Preiserhöhungen wegen Mindestlohn" ist ja schon gut eingeübt.

    Wäre natürlich katastrophal für all die Leute mit Mindestlohnjobs, die jetzt noch stillhalten, weil sie sich darauf verlassen, dass sie wenigstens ab Oktober gut 2€mehr die Stunde bekommen. Und katastrophal für die SPD (und die Grünen) wäre es auch, von daher besteht noch eine gewisse Hoffnung, dass es dabei bleibt.