Schöne Aussichten

Es kann nur besser werden: Selten klang dieser hoffnungsvolle Satz wohl so überzeugend wie nach dem Coronajahr 2020. Doch was kommt 2021 wirklich auf uns zu? Vier Themen, die Berlin und Brandenburg in diesem Jahr beschäftigen werden

Auf Nimmerwiedersehen, 2020: Freudentanz auf dem Drachenberg Foto: Christoph Soeder/dpa

Tesla spaltet Brandenburg

Die Ansiedlung des Elektroautobauers im Berliner Speckgürtel bringt einen Clash der Kulturen ans Licht

Da geht ein Riss durch Brandenburg: Rodungen für Tesla Foto: Patrick Pleul/dpa

Von Susanne Messmer

Bereits im Sommer sollen in Grünheide, einem verschlafenen Nest in Brandenburg südöstlich von Berlin, die ersten von jährlich bis zu 500.000 Fahrzeuge vom Band laufen. Der US-amerikanische Elek­troautohersteller Tesla winkt mit zunächst 12.000 Arbeitsplätzen, eines Tages könnten es bis zu 40.000 sein.

Schon kurz nachdem Ende 2019 bekannt wurde, dass Tesla die Region gehörig umkrempeln wird, begann das Unternehmen zu bauen: ohne komplette umweltrechtliche Genehmigung des Landes, also auf eigenes Risiko. Seitdem ist es interessant, auf den Clash der Kulturen in diesem brandenburgischen Dorfidyll zu blicken.

Angst versus Hoffnung

Denn während den einen das Ufo Tesla unheimlich ist und sie Umweltschäden, den Verlust ihrer ländlichen Abgeschiedenheit sowie Arbeitsplätze fürchten, von denen Menschen aus der Region sowieso nichts haben, begrüßen die anderen den Plan von Tesla. Auch sie haben ihre Argumente, denn lang war Brandenburg von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt, es fehlte an großen Investoren, junge Leute wanderten ab.

Diese Positionen ringen also seit Ende 2019 miteinander – und das umso heftiger, je unbeirrter Tesla weiterbaut. Ende September sah es einmal kurz nicht besonders gut aus für den Autohersteller. Sprecher der Firma gingen derart arrogant über die Fragen der Bürger bei der mehrtägigen Erörterung ihrer Einwendungen in der Stadthalle Erkner hinweg, dass die Presse schon geneigt war zu glauben, so etwas sei hierzulande doch nun wirklich nicht möglich. Die Erörterung ging zu Ende, Tesla baute weiter.

Im Dezember dann die Nachricht, dass Rodungen plötzlich ruhen mussten, damit mehr streng geschützte Schlingnattern und Zauneidechsen eingesammelt werden können – ein toller Teilerfolg der Naturschutzverbände vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Doch kurz darauf durfte Tesla die Rodungsarbeiten zum Teil wieder aufnehmen. Und kurz darauf stellte die Gemeinde Grünau wie zur Entschuldigung die Weichen für bessere Verkehrsbedingungen für Tesla, beschloss eine neue Anschlussstelle an die Autobahn, den Umbau eines Bahnübergangs und Park-and-Ride-Flächen. Firmengründer Elon Musk twitterte auf Deutsch: „Dankeschön Brandenburg und Grünheide!“

Es bleibt spannend

Auch wenn es also wohl letztlich nur darum geht, ob die Tesla-Autos einen Monat früher oder später vom Band rollen werden: Es wird noch lange über den Produktionsstart hinaus spannend bleiben, dem Kampf der Positionen in Grünheide zuzuschauen.

Allen geht’s um alles

Das Thema Mieten bleibt der Stadt weiterhin erhalten, auch wenn der Mietendeckel gekippt werden sollte

Wird 2021 für Mieter*innen gemütlicher? Foto: Stefan Boness/Ipon

Von Erik Peter

Nein, auch am Ende dieses Jahres werden die großen privaten Immobilienkonzerne in Berlin noch nicht vergesellschaftet sein. Womöglich steht der nächste Senat dann aber vor dieser Aufgabe – ein Erfolg des Volksentscheids der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen vorausgesetzt. Die Chancen dafür, dass es zumindest zum Volksentscheid parallel zur Abgeordnetenhauswahl im September kommen wird, stehen gut.

Eine Übernahme der Forderungen der Initiative durch das Abgeordnetenhaus, die eine Abstimmung überflüssig machen würde, wird es wohl nicht geben. Zwar lief ein erstes Gespräch der Aktivist*innen mit den Koalitionsspitzen Anfang Dezember erstaunlich konstruktiv, aber nun läuft die Zeit davon. Am 11. Januar gibt es ein erneutes Treffen, keine zwei Wochen später läuft die Frist ab. Die Initiative fordert einen Gesetzentwurf, doch den wird es so schnell kaum geben können. „Mir fehlt die Fantasie, wie in der Zeit noch viel passieren soll“, sagt Initiativensprecher Kalle Kunkel im Gespräch mit der taz. Auch bleibe zweifelhaft, ob die SPD wirklich zu diesem Schritt bereit wäre.

Die Initiative jedenfalls steckt mitten in den Vorbereitungen für eine Kampagne, in deren Verlauf sie 220.000 Unterschriften sammeln will – 175.000 gültige sind nötig. Kunkel spricht von einer der „am besten aufgestellten Kampagnen“: Inzwischen seien etwa 300 Aktive involviert, in fast allen Bezirken stünden Sammelteams bereit. Mit einer Kulturveranstaltung Ende Februar soll der Startschuss fallen – vier Monate haben die Aktivist*innen dann, um das Quorum zu erfüllen. Beim Spendeneinsammeln dauerte es zuletzt nur zwei Tage, bis die erste Zielmarke von 15.000 Euro erreicht war – seitdem wächst der Spendenstand weiter.

Eine spannende Frage wird sein, wie sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Mietendeckel, die für das zweite Quartal 2021 erwartet wird, auf die Initiative auswirken wird. Ironischerweise könnte das Scheitern des Deckels den Enteigner*innen zusätzlichen Aufschwung verschaffen, ganz nach dem Motto „Jetzt erst recht“. Aber auch wenn der Deckel hält, muss sich die Initiative keine großen Sorgen machen, schließlich lösen sich damit nicht alle Probleme von Berlins Mieter*innen in Luft auf.

Beide Ereignisse werden dafür sorgen, dass das Thema Mieten und Wohnen weiter die politische Debatte der Stadt bestimmen wird, absehbar noch härter ausgetragen als bisher. Für die Immobilienbranche geht es um viel, wenn nicht um alles. Für die Mieter*innen aber auch.

Das Bürgermeister­innenduell

Bei der Berlinwahl im September ist die Frage: Giffey oder Jarasch? Das aber nur, solange die Mehrheit links der Mitte hält

Grüne Spitzenkandidatin: Bettina Jarasch Foto: Annette Riedl/dpa

Von Stefan Alberti

Wird Berlins erste Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey oder Bettina Jarasch heißen? Das ist die Frage des Jahres 2021. Die Antwort darauf gibt es mutmaßlich am 26. September. Dann können rund zweieinhalb Millionen Berliner nicht bloß wie das restliche Deutschland den Bundestag wählen, sondern auch ihr Landesparlament.

Natürlich gibt es auch noch andere Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl: Kai Wegner von der CDU und Klaus Lederer von der Linkspartei. Wegners Christdemokraten sind in einer Ende Dezember 2020 veröffentlichten Umfrage, der ersten seit Mitte Oktober, sogar erneut stärkste Kraft in Berlin, mit 22 statt 21 Prozent vor den auf 18 Prozent abgerutschten Grünen und der auf gleicher Höhe stagnierenden SPD. Und Lederers Linke liegt mit 16 Prozent nicht allzu weit zurück.

Das ist allerdings nachrangig, solange die gegenwärtigen Koalitionsparteien zusammen wie aktuell immer noch eine Mehrheit haben. So sehr können sich SPD, Grüne und Links partei gar nicht fetzen, dass es ohne rechnerische Not zu einer schwarz-roten oder schwarz-grünen Koalition käme in Berlin: Das machten weder die Grünen mit, denen die eigene Wirtschaftssenatorin schon nicht links genug ist, noch die Sozialdemokraten.

Die Frage ist darum mutmaßlich nicht, welche Partei am 26. September das beste Wahlergebnis holt, sondern wer links der Mitte vorne liegt. Sowohl SPD wie auch Grüne dürften von der letzten Umfrage enttäuscht sein – im Befragungszeitraum vom 11. bis 18. Dezember waren alle mit vielen Hoffnungen beladenen Personalien schon bekannt, die Befragten konnten also wissen, für wen das jeweilige Parteikürzel stand. Ob sie das tatsächlich wussten, ist eine andere Frage.

Die SPD setzt auf Franziska Giffey Foto: Christophe Gateau/dpa

Schlichten Mediengesetzen zufolge, die sich an Neuem, an Superlativen orientieren, werden Giffey und Jarasch im Zentrum der Berichterstattung zum Wahlkampf stehen. Immerhin gab es noch nie eine Regierende Bürgermeisterin in Berlin: Als Louise Schroeder 1947 bis 1948 kommissarisch Stadt­oberhaupt war, war sie das als Oberbürgermeisterin, Berlin war noch kein Bundesland. Bundesweit gab es überhaupt noch keine grüne Ministerpräsidentin – Renate Künast schien Anfang 2011 auf dem Weg ins Rote Rathaus, fiel dann aber am Wahlabend sogar noch hinter die CDU zurück.

Oder doch ein Mann?

Eine Frau an der Spitze Berlins kann allein die CDU verhindern, die doch gerade so sehr beteuert, Frauen nach vorn bringen zu wollen. Kann ihr Spitzenkandidat Wegner auch bei Grün-Bürgerlichen oder konservativen Sozialdemokraten punkten, könnte die rot-rot-grüne Mehrheit links der Mitte brechen. In Beton gegossen ist diese nicht mehr: Von 57 Prozent zu Jahresbeginn sind in der jüngsten Umfrage noch 52 geblieben, exakt wie bei der Wahl 2016. Setzt sich das fort, könnte es doch nichts werden mit einer Regierenden Bürgermeisterin, egal ob Giffey oder Jarasch. Dann führt an einem Regierungschef Kai Wegner kein Weg mehr vorbei.

Auswärtsfahrten können kommen

Dank Stürmer Max Kruse und Trainer Urs Fischer wird sich Union Berlin mit einer starken Rückrunde für den Europapokal qualifizieren

Marvin Plattenhardt (links) im Zweikampf mit Max Kruse, 4. Dezember 2020 Foto: O. Behrendt/imago

Von Gareth Joswig

Klar, 2020 war Mist und Fußball noch nebensächlicher als sonst. Und ist es ohne Zuschauer:innen überhaupt richtiger Fußball? Eigentlich handelt es sich ja eher um freudlosen Coronaball. Wie auf einem tristen Kreisligaplatz hört man meckernde Trainer, vor Schmerz ­schreiende Schwalbenkönige und die klickenden Verschlussklappen der Teleobjektive von Fotograf:innen. Leider werden wir diese eigenartige Sportart auch 2021 auf absehbare Zeit erst mal nicht los.

Aber trotzdem wird nicht alles schlecht: Denn weil der 1. FC Union Berlin in diesem Coronaball ziemlich fantastisch ist, darf man als Fan sogar von der Qualifikation für den Europapokal träumen – und damit von internationalen Auswärtsfahrten. Und vielleicht ja nach der Sommerpause sogar wieder mit ausverkaufter Alter Försterei und gefüllter Gästesektion in Madrid, Lissabon oder London.

Denn sportlich gesehen sind die Aussichten bei Union so gut wie nie, und keiner steht so sehr für diesen Erfolg wie der neu verpflichtete Max Kruse.

Mit dem Angreifer ist der Überraschungstransfer dieser Saison geglückt. Der spielmachende Torjäger mit linkem Zauberfüßchen hob die Hinserie von Union Berlin auf ein anderes Level. Er war überall auf dem Platz zu finden, spielte die entscheidenden Pässe und verwandelte wichtige Elfmeter und Direktabnahmen, als wäre das nichts. Zudem passt sein Gemüt eines klassischen Fußballprolls ganz hervorragend zur sich bodenständig gerierenden Union.

Der Moment, als Union in der Blitztabelle kurz auf Platz zwei nur einen Punkt hinter den Bayern stand, ist bei vielen Fans als Screenshot verewigt. Überwintern wird Union auf einem unfassbaren sechsten Platz, der bei Saisonende die Qualifikation für die Euro League bedeuten würde. Noch optimistischer stimmte dabei sogar der Tiefpunkt der Hinrunde: Bei der 3:1-Niederlage im Stadtduell gegen Hertha verletzte sich Kruse, zudem holte sich der unverzichtbare Mittelfeld-Klavierträger Robert Andrich nach einem brutalen Foul eine rote Karte und drei Spiele Sperre.

Doch die Mannschaft von Trainer Urs Fischer ließ sich davon in den folgenden Spielen nichts anmerken und blieb konstant. Und die größten Erfolge der Hinserie erzielte Union sogar ohne Kruse und Andrich: Sie holte ein Unentschieden gegen den amtierenden Champions-League-Sieger Bayern München und besiegte ein verzweifelndes Borussia Dortmund. Wenn es gut läuft, wird ab dem Herbst wieder eine Berliner Mannschaft international spielen.

Zuletzt war Hertha 2017 in der Vorrunde der Euro League gegen Bilbao, Östersund und Luhansk ausgeschieden. Union löst damit Hertha als Nummer eins in Berlin ab, und das, obwohl eigentlich die Herthaner mit Europapokal-Ambitionen und 374 Investoren-Millionen seit 2019 im Kader gestartet waren. Dieses Jahr kann Real Madrid dann notfalls zum Coronaball nach Köpenick kommen.