Schmuck im Hip-Hop: Mehr als nur Bling-Bling
Bis Schwarze Rapper*innen n der Schmuckwelt ernst genommen wurden, war es ein jahrzehntelanger Weg. Eine Doku und ein Bildband dokumentieren.
Ein Junge im Superman-Kostüm springt aus dem Geschäft, er bäumt sich auf und lacht. Seine großen goldenen Schneidezähne funkeln. Und während er springt, rappt Nelly: „Rob the jewelry store and tell ’em make me grill / uh uh / add the whole top diamond and the bottom rose gold.“ In den folgenden Minuten leckt sich Nelly immer wieder genussvoll über seine Zähne. Mal glitzern sie bläulich, glänzen weiß- oder gelbgold oder sind mit Diamanten besetzt. Das Musikvideo zu „Grillz“, Nellys Nummer-1-Hit aus dem Jahr 2005, ist ein Denkmal für das Zahnschmuckstück. Spätestens jetzt war klar: Grillz waren im Mainstream angekommen.
Die Geschichte des Schmucks, der über den Zähnen getragen wird und nicht selten fünfstellige Summen kostet, reicht dabei Jahrtausende zurück und ist in verschiedenen Kulturen zu finden: Schon etruskische Frauen sollen ihn 800 v. C. getragen haben, ebenso die Mayas. Grillz wie wir sie heute kennen, sind in den frühen 1980ern durch New Yorker Rapper wie Slick Rick oder Flavor Flav bekannt geworden. Ab den Nullerjahren trugen sie dann alle: die Dirty-South-Rapper, aber auch Madonna und Kim Kardashian. In verschiedenen US-Staaten wurden sie sogar in Schulen verboten – angeblich aus gesundheitlichen Gründen. In der Außenwahrnehmung sind Grillz zu dem Schmuckstück der Hip-Hop-Kultur geworden. Die Geschichte des Bling ist aber deutlich vielfältiger. Diese Vielfältigkeit hat wenig Beachtung und Wertschätzung gefunden – bis jetzt.
Die Doku: „Ice Cold: The Untold Story of Hip Hop Jewelry“, vier Episoden bei YouTube
Das Buch: „Ice Cold. A Hip-Hop Jewelry History“, Vikki Tobak, Taschen Verlag, 388 Seiten, 80 Euro
Die Doku „Ice Cold: The Untold Story of Hip Hop Jewelry“ stellt Kollektionen verschiedener Rapper vor, lässt Juweliere und andere Expert*innen zu Wort kommen. Der Vierteiler von Karam Grill lief 2021 bei den Tribeca-Filmfestspielen. Die Erzählung beginnt in den 80er Jahren. Eine Zeit, in der Rapper noch nicht in Villen wohnten und Stadien füllten, sondern Rap hauptsächlich Musik von der Straße war. Viele Lyrics waren geprägt von Themen rund um Armut und Traumata. Hatte es ein Rapper in dem damals von Schwarzen Männern dominierten Musikgenre geschafft, ging es in der Regel schnell zum Juwelier: Der Erfolg sollte für alle sichtbar sein – und das Mittel dafür war Schmuck. Also auffällige und luxuriöse Statussymbole.
Rapper schmückten sich zu Beginn vor allem mit großen goldenen Ketten, die gar nicht protzig genug sein konnten, und Ringen, die gleich mehrere Finger umschlossen. „When you’re wearing big diamonds, it’s like a big fuck you to everybody“, fasst der Rapper Lil Yachty es zusammen – wenn du große Diamanten trägst, ist das wie ein fettes „fuck you“ an alle. In der Doku zeigen Rapper wie Migos, A$AP Rocky oder French Montana ihre Kollektionen. Ein Arm mit Uhr, Ring und Armband kann dann mal mehrere Millionen wert sein.
Statt Anerkennung brachte den Rappern das vielerorts Verachtung ein: Schwarze US-Amerikaner*innen, die Diamantenketten und Rolex trugen, galten in der Mehrheitsgesellschaft als verantwortungslos und verschwenderisch. Imani Perry, Professorin für African American Studies von der Princeton University, die neben Rap-Journalisten als Expertin in der Doku zu Wort kommt, bringt diesen Doppelstandard auf den Punkt: „Look, Slick Rick and Elizabeth Taylor were doing the same thing with just slightly different aesthetics to it.“ Der Rapper Slick Rick und die glamouröse Schauspielerin Elizabeth Taylor hätten mit ihrer Zurschaustellung auffälliger Schmuckstücke also im Prinzip dasselbe getan. Eben nur mit einer leicht unterschiedlichen Ästhetik.
Bis Schwarze Rapper*innen und ihre Ästhetik in der Schmuckwelt ernst genommen wurden, war es ein jahrzehntelanger Weg. Ende des 20. Jahrhunderts mussten die Musiker*innen noch die Labels der Schmuckunternehmen in ihren Musikvideos retouchieren. Mit Rap wollten die großen Firmen nichts zu tun haben. Heute reißen sich große Marken um Rapper: 2018 wurde A$AP Ferg als erster Rapper Brand-Ambassador von Tiffany. Er beschreibt es als Durchbruch. Im selben Jahr startete Frank Ocean seine Luxusschmuckmarke Homer, die vor Kurzem eine gemeinsame Kollektion mit Prada auf den Markt brachte. Die Zeiten haben sich also geändert. Für viele Rapper, die in der Doku zu Wort kommen, ein Zeichen dafür, es geschafft zu haben.
Das Narrativ vom Schmuck als Selbstermächtigungs-Tool zieht sich auch durch den Bildband „Ice Cold: A Hip-Hop Jewelry History“, der kürzlich im Taschen Verlag erschienen ist. Die Journalistin Vikki Tobak hat sich von der Doku inspirieren lassen und dokumentiert auf knapp 400 Seiten chronologisch den Schmuck in der Rap-Szene. Tobak selbst beobachtet die Szene schon lange: Erst als Türsteherin im Nachtclub „Nell’s“ in Manhattan, wo The Notorious B.I.G ein Musikvideo drehte, später im Marketing beim Hip-Hop-Label Payday Records, dann als Journalistin.
Gut vier Jahrzehnte Rap- und Schmuckgeschichte, festgehalten von zeitgenössischen Fotograf*innen wie Wolfgang Tillmans, Janette Beckman oder Timothy White, haben eine Vielzahl von Trends hervorgebracht. Christliche und muslimische Symboliken in Form von Jesusketten, Monden und Dornenkronen tauchen genauso auf wie „Simpsons“-Figuren und Fidget Spinner. Auch wenn die Hip-Hop-Szene noch immer männlich dominiert ist, wird durch den Band sichtbar, wie sie mit Stars wie Missy Elliot, Beyoncé und Cardi B über die Jahre immer weiblicher wurde. Und damit veränderte sich auch die Schmuckwelt. Ein mittlerweile ikonisches Stück ist beispielsweise die Kette von Megan Thee Stallion: Mit einem „Hot Girl-“Anhänger aus hochkarätigem Gold und Diamanten an einer Flammenkette setzte sie ihrem Catchphrase ein glitzerndes Denkmal.
Neben ganzseitigen Fotografien der ganz großen Stars wird es in dem Buch durch begleitende Essays von Vikki Tobak und Rappern wie Slick Rick und A$AP Ferg auch immer wieder politisch. Schließlich sind die Rapper längst nicht mehr nur Träger, sondern auch Werbegesichter und Schöpfer des Schmucks. Doch die politische Auseinandersetzung kratzt nur an der Oberfläche. Wie schmutzig die wachsende Schmuckwelt, und gerade die Diamantenbranche ist, wird in dem Band nicht klar. Was die Selbstermächtigung des einen ist, kann die Unterdrückung der anderen sein: Durch den Abbau von Diamanten werden Lebensräume zerstört, Menschen ausgebeutet und Ressourcen verschwendet. Laut einem Bericht von Humans Rights Watch aus dem Jahr 2020 gibt es kaum eine*n Schmuckhändler*in, die sagen kann, dass es bei der Herstellung seiner oder ihrer Waren nicht zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist.
Diese Debatte findet im Hip-Hop bislang nur bedingt Platz. Künstler wie Frank Ocean versuchen, alternative Herstellungsmethoden zu nutzen, sein Label setzt auf Grown Lab Diamanten. Die nachhaltige Lösung wird auch das nicht sein. Die zu finden, ist natürlich nicht Aufgabe des Hip-Hops allein. Doch in dem Wechselspiel zwischen dem Genre und der Schmuckwelt wird die Gleichzeitigkeit zwischen Protestkultur und Kapitalismusverehrung, die im Rap stattfindet, wieder einmal deutlich. Rap bietet Raum für Aufstiegsgeschichten, doch er fetischisiert diese Geschichten auch – mit Rolexuhren am Arm und Goldkronen auf dem Kopf wird das (ironisch) auf die Spitze getrieben. Die Frage, ob der ganze Schmuck eigentlich echt ist, wird weder in der Doku noch im Bildband gestellt. Vielleicht spielt es aber auch einfach keine Rolle. Hauptsache, es blingt und glänzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass