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Verdrängte Malerinnen des NordensSchmerzhaft wenig Malerinnen-Spuren

Die Maler der Künstlerkolonie Ekensund bei Flensburg sind gut dokumentiert. Eine Schau des Museumsbergs würdigt nun die wenig beachteten Malerinnen.

Von der Stadt aufs Land: In der sanfthügeligen Landschaft malte Emmy Gotzmann 1910 eine Frau mit urbanem Hut Foto: Heinrich Hintz/Museumsberg

Aus Flensburg

Frank Keil

Vermutlich ist der Schädel nicht echt, sondern lediglich eine Nachbildung. Aus irgendeinem plastischen Material gefertigt, aus Ton vielleicht, so überzeugend die leeren Augenhöhlen und die blanken Zahnreihen auf dem Schwarzweißfoto zunächst wirken mögen. Auch stehen die Chancen 50 zu 50, dass es sich um den Schädel eines Mannes handelt. Aber da ist dieser leicht spöttische Blick einer der jungen, namenlosen Frauen auf einem Flur der Künstlerkolonie Dachau bei München, irgendwann im Jahre 1902; mehr noch ist es die Art, wie sie den Schädel hält: Achtlos liegt er in ihrem Schoß. Vielleicht rutscht er ihr gleich aus der Hand, kullert über den Boden und kann schauen, wo er bleibt.

Eine der jungen Frauen, die der Szenerie zuschaut, stehend, zurückhaltend, ist Marie Schlaikier. Es ist eine der wenigen Fotografien, die es von ihr gibt. Marie Schlaikier ist ein „Malweib“, wie man damals abschätzig sagte, als junge, an der Bildenden Kunst interessierte Frauen nur in „Damenklassen“ unterrichtet wurden, wenn überhaupt; und wenn, dann eher an Kunstgewerbeschulen als an Kunstakademien.

Marie Schlaikier wird ein Jahr später Anton Nissen heiraten, einen der malenden Protagonisten der Künstlerkolonie Ekensund auf der Nordseite der Flensburger Förde. Ab 1875 ist dies ein Hort der Freiluftmalerei, auf dass sich die Landschaft, der Himmel und all das Licht in seinen Jahres- und Tageszeiten auf bisher ungesehene Weise malend neu öffnen und den Menschen zeigen mögen. „Es gab in unserem Haus so viele Ausstellungen zu den Männern von Ekensund, nun möchte ich die Frauenseite beleuchten“, sagt denn auch Madeleine Städtler, seit 2022 Kustodin und stellvertretende Leiterin des Flensburger Museumsbergs.

Die Ausstellung

„Unterschätzt! Starke Frauen der Künstlerkolonie Ekensund.“ Bis 8. März 2026, Museumsberg Flensburg

Sechs Lebensläufe von Malerinnen

„Unterschätzt! Die starken Frauen der Künstlerkolonie Ekensund“, unter diesem Titel zeigt das Flensburger Haus nun sechs Lebensläufe von Malerinnen, die auf unterschiedliche Weise mit der Künstlerkolonie verbunden sind. Wobei sie eines eint: Es ist schmerzhaft wenig von ihrem Schaffen erhalten.

Als Frau beim Malen gemalt: Elsa Nøbbe, wie ihr Vater Jacob sie sah Kunst: Jacob Nøbbe /Museumsberg

Neben Marie Nissen bietet die Ausstellung vor allem einen Blick auf das Wirken von Emmy Gotzmann, die erst zu entdecken ist. Gotzmann, Jahrgang 1881, kam von Chemnitz aus zunächst nach Berlin, wurde dort von Malern der Berliner Secession unterrichtet. Und gehörte ab 1903 zur Ekensunder Mal-Gemeinschaft, fest entschlossen, Berufsmalerin zu werden. Mit Erfolg: Ihre Debütausstellung 1908 auf dem Flensburger Museumsberg füllt drei Säle mit knapp 90 Gemälden; als 1909 quasi in der Nachbarschaft die Kieler Kunsthalle eröffnet, ist Gotzmann auch dort mit mehreren Werken vertreten.

Es ist schmerzhaft wenig vom Schaffen dieser Malerinnen erhalten

Später – ihr zweiter Mann, ein Rezitator, lebt in Berlin – taucht sie in die dortige Kunstszene ein, wird führend im Verein Bildender Künstlerinnen, neben Lotte Laserstein und Käthe Kollwitz. Und doch sind Gotzmanns Werke kaum in öffentlichen Sammlungen vertreten: Der Museumsberg hat ein einziges Gotzmann-Bild, eine Förde-Ansicht, in seinem sonst so umfassenden Ekensund-Bestand. Was bewahrt wurde, befindet sich weitgehend im Besitz der Familie im fernen Hessen: Sie nahm Gotzmanns beindruckend-kraftvolle Landschaftsbilder wie Porträts von den Wänden, öffnete private Fotoalben sowie Skizzenbücher und lieh dem Museumsberg gut 20 Exponate, die diesem Kapitel der Ausstellung eine solide Grundierung geben.

Sie wurden nicht gesamelt

Apropos malen und dann (nicht) gesammelt werden: Sophie Eckener, ausgebildet in der Porträt- und Landschaftsmalerei, die ihrem Mann, den Maler und Radierer Alex Eckener, nach Ekensund folgte und ihn um 30 Jahre überlebte, hielt zeitlebens Kontakt zum Museumsberg: „Sie hat immer wieder dem Museum geschrieben, wo es überall noch Informationen zu ihrem Mann gäbe, aber ich habe keinen Hinweis gefunden, dass sie dem Museum mal eines ihrer Werke angeboten hat“, sagt Kustodin Städtler. Selbst als Eckener eine Einzelausstellung hat, erwähnt sie das in nur einem Satz – um danach weitere Werke ihres Mannes für die nächste Ekensund-Ausstellung anzubieten.

Reizender Nationalismus: Agnes Slott-Møller verbindet fotorealistische Landschaft und altertümliche Motive zum Ruhme Dänemarks Foto: Agnes Slott-Møller / Museumsberg

Doch es gibt auch verschlungenenere Wege. Zum Beispiel den von Elsa Nöbbe, die biografisch gesehen noch einmal anders zur Kunst findet: Sie ist die jüngste Tochter des damals arrivierten Malers Jakob Nöbbe (1850–1919), einer der Ekensunder Protagonisten, auch Privatlehrer des jungen Emil Nolde. So wächst sie in die Künstlerkolonie hinein, steht immer wieder Modell für den Vater. Malt, zeichnet in jungen Jahren, erprobt Holzschnitte.

Sie webt und schneidert, verspricht ihrem Vater aber auf dessen Sterbebett, dass sie es mit der Kunst richtig ernst nehmen werde. 1952, sie ist 60 Jahre alt, ist es so weit: Sie siedelt auf die Insel Fanø, ihr Haus und Atelier werden Zentrum der süddänischen Kunstszene. Und sie malt mit Rückgriff auf die Ekensunder Jahre noch einmal die Räume, in denen sie einst ihr Vater drapierte, nur diesmal personenleer.

Unterschätzt! Starke Frauen der Künstlerkolonie Ekensund. Bis 8. März 2026, Museumsberg Flensburg

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