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Schlusspfiff in der Fußball-BundesligaNicht ohne!

Die Bundesliga hat Geschichten geliefert, die wir so schnell nicht vergessen sollten. Ein geistreicher Rückblick auf die Spielzeit 2019/20.

Stimmung! Das sind die Bilder, die der Fußball in Pandemiezeiten liefert Foto: Poolfoto/imago

Ohne Doppelhalter-Halter

Bereits 2004, im Geburtsjahr des „Geisterspiels“ in deutschen Landen, wusste die große FAZ, was von dieser Art der Wettkampfgestaltung zu halten ist: „Fußball ohne Emotionen ist wie fette Bratwurst ohne Senf.“ Damals gewann Aachen 3:2 gegen Nürnberg, und ein Geist, in Laken gehüllt, war tatsächlich anwesend. Dieser Scherzbold, angeblich ein Aachener, konterkarierte wie die neugierige Berichterstattung rund um das von Fans befreite Zweitliga-Spiel das FAZ-Bratwurst-Postulat. Geisterspiele erzeugen nämlich mindestens so große Emotionen wie Normalo-Spiele. Die Emotionen sind nur ausgelagert und weniger sichtbar. Gefühle brauchen keine Ballungsräume, sie können, heißt es in der Fachliteratur, sogar solo erzeugt werden.

Während die Ultras und andere Fahnenschwenker sonst das Emo-Gewerbe im Stadion monopolisiert haben, mussten sie in der geisterspieldurchtränkten Post-Corona-Zeit hinnehmen, dass es auch ohne sie geht – was einer schweren narzisstischen Kränkung gleichkam. Die da oben machen einfach ohne uns Doppelhalter-Halter weiter. Skandal! Also schrieben die Chorknaben Sätze wie diesen: „Der Profifußball ist längst krank genug und gehört weiterhin in Quarantäne.“

Das ist eine Erkenntnis, deren Tragweite den Fan-Initiativen wohl nicht bewusst war: Denn sollten die lustigen Kurvensteher nicht davon ausgehen, dass der kranke Fußball auch nach Corona krank bleibt, ja vielleicht sogar noch kränker wird, weil durch den Nachholeffekt der böse neoliberale Durchlauferhitzer wieder heißläuft? Müssen Fußballspiele nicht generell abgesagt werden, solange die harte Hand des Kapitalismus den Fußball im Würgegriff hat? Sind Geisterspiele Zeichen des Verfalls in einem durch und durch verkommenen System? Andererseits: Man gewöhnt sich an alles. Sogar an Geisterspiele. Oder an Bratwurst mit Ketchup. Pfui ­Teufel! Markus Völker

Hopp's live mattered

Es war ein Wettbewerb der besonderen Art. Karl-Heinz Rummenigge, der Boss des FC Bayern, und Dietmar Hopp, die TSG Hoffenheim in Person, versuchten sich beim Spiel ihrer Klubs im Betroffendreinschauen gegenseitig zu überbieten. Fast schien es, als hätte der Münchner die Hand des Kraichgauers ergreifen wollen, um der Ikonografie der Bundesliga ein Bild hinzuzufügen, das an den symbolischen Händedruck von Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand am Ort der Schlacht von Verdun erinnern würde.

Die Schlagzeilen jener Tage Ende Februar lasen sich wie die aus Kriegsreportagen. Bundesligaspiele wurden unterbrochen, Schiris drohten mit Spielabbruch. Von einem Eklat war allenthalben zu lesen. Was war geschehen? Wieder einmal hatten Fans auf die Rolle von Dietmar Hopp als Mäzen hingewiesen, der unter Umgehung so mancher Regel einen Dorfverein in die Bundesliga gehievt hat.

Hopp schlägt regelmäßig Hass aus Fankurven entgegen, gilt er doch als einer der Totengräber des sogenannten Traditionsfußballs. Dass er jeden vor Gericht zerrt, der mitgrölt, wenn die Kurve ihn als Sohn einer Prostituierten beschimpft, hat ihn nicht gerade beliebter gemacht. Doch das alles kannte man. Neu war, dass der DFB seine Schiris angewiesen hat, eine Antidiskriminierungsregel, die für den Kampf gegen Rassismus und Homophobie eingeführt worden ist, auf Beleidigungen gegen Hopp anzuwenden. Der Milliardär als Diskriminierungsopfer.

Ein paar Monate und Polizistenmorde in den USA später wirkt die Aufregung um die Fanproteste jener Tage nur noch peinlich. Verwundert rieb sich mancher die Augen, als er las, dass der DFB nichts gegen antirassistische Botschaften auf Spielerkleidung unternehmen will. Echte Diskriminierung wurde da thematisiert. An Dietmar Hopp dachte niemand mehr. Andreas Rüttenauer

Armutszeugnis für Mäzene

Es gab mal eine Zeit vor so zehn Jahren, Wolfsburg war gerade Meister geworden und Hoffenheim kurz vorher Herbstmeister, da grantelte man: in ein paar Jahren spielt nur noch der Geldadel um die Meisterschaft. Wolfsburg, Hoffenheim, FC Bayern. Es kam nicht so.

Es gab auch mal eine Zeit, so fünf Jahre ist das her, in der Ähnliches für den FC Bayern und Red Bull am Horizont stand, ein Weißwurst-und-Dosen-Dualismus. Die Leipziger Vizemeisterschaft schien das zu bestätigen. Wie hätten wir SchwarzseherInnen ahnen können, dass stattdessen die totale Autokratie bevorstand? Hinter dem Weltkonzern aus München und dem Zweite-Welt-Konzern aus Dortmund hat sich das Mäzenatentum dafür nachhaltig festgesetzt: in dieser Spielzeit standen mit Leipzig, Leverkusen, Hoffenheim und Wolfsburg alle vier so verschiedenen Werksvereine unter den Top 7, Gladbach ist in dem Kreis eine seltsam entrückte Ausnahme.

Es war kein leuchtender Triumph. Leipzig hat einen möglichen Meistertitel hilflos verdaddelt und Leverkusen auf den letzten Metern die Champions League, Wolfsburg kroch nur einen Punkt vor Freiburg ins internationale Geschäft. Es ist eher ein Statement, das sagt: arbeitet doch so gut, wie ihr wollt, wir können uns Fehler leisten. Was sind schon die rekordmäßigen 44 Millionen Euro Verlust, die der VfL Wolfsburg fürs Geschäftsjahr 2018/19 ausweist, wenn Volkswagen sie bis auf den letzten Cent ausgleicht? Was macht es schon, wenn man mit dem dritt- beziehungsweise viertteuersten Kader der Liga (Leverkusen und Wolfsburg) nur in der Europa League landet? Morgen ist auch noch ein Geschäftsjahr.

Wo nur noch Geld zählt, ist es fatal, wenn Geld nicht zählt. Und interessant ist doch: nicht Leipzig, nicht Hoffenheim, nicht Leverkusen konnten jemals den Meistertitel holen. Ein Armutszeugnis für die Klubs. Und für das System sowieso, wo eine Machtablösung wohl selbst solchen Klubs zu teuer ist. Alina Schwermer

Regeln ohne Hand und Fuß

Ein böser Verdacht liegt über dieser Bundesligasaison. Diesen hat ausgerechnet DFB-Präsident Fritz Keller schon sehr frühzeitig vorgetragen. Die Schiedsrichter, beklagte er beim diesjährigen Neujahrsempfang, wüssten ja selbst nicht mehr, wann ein richtiges Handspiel im Strafraum vorliegt. Die Regeln müssten unbedingt neu formuliert werden. Aus dem gemeinen Verdacht ist mancherorts ein noch gemeinerer erwachsen: Kein Handspiel liegt vor, wenn ein Bayern-Profi wie Jérôme Boateng den Ball im vorentscheidenden Duell um die Meisterschaft bei Borussia Dortmund mit dem Arm abwehrt. Wenn ein BVB-Profi wie Emre Can das Gleiche ein Spiel später macht, muss dies sofort mit einem Strafstoß geahndet werden.

Die erratischen Auslegungen der Handspielregeln zuletzt können als Einladung an Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­r:in­nen verstanden werden, die mal dringend eine Coronapause brauchen. Kurios ist, dass die Regeln erst vor der Saison neu formuliert wurden, um den Schieds­rich­te­r:in­nen eine bessere Orientierung zu geben. Absichtliches oder nicht absichtliches Handspiel sollte unterscheidbarer gemacht werden. Stattdessen meinen nun einige Be­ob­ach­te­r:in­nen absichtliche Fehlentscheidungen noch besser erkennen zu können.

Es ist auch eine vertrackte Angelegenheit. Hat Boateng da arglos den neu erlaubten Stützarm eingesetzt oder hat er nicht vielmehr diesen Stützarm dorthin ausgefahren, wo er den Ball am ehesten erwarten konnte? Und warum hat sich verdammt noch mal nicht der Videoschiedsrichter aus dem Kölner Keller eingeschaltet? An dieser Stelle liegt wohl das größte Problem begraben. Wenn am Ort der behaupteten Objektivierbarkeit Gerechtigkeitserwartungen enttäuscht werden, wiegt das schwer. Im Sommer wird wieder neu geregelt, was Absicht ist und was nicht, wo die Schulter aufhört und der Arm anfängt. Klar ist vermutlich nur, die Diskussionen bleiben. Johannes Kopp

So schnell wie das Licht

133 Millionen. Keine Zahl beschreibt besser den Aufstieg des Alphonso Davies. Das soll inzwischen der Preis sein, den der FC Bayern auf dem Transfermarkt für den jungen Kanadier erlösen könnte, der im November 2018 als Azubi aus Vancouver kam und erst mal behutsam aufgebaut werden sollte. Stattdessen avancierte Davies binnen weniger Monate zu einer prägenden Figur des Bayern-Spiels, und das durch einen Kniff des inzwischen gefeuerten Trainers Kovac.

Der funktionierte den Flügelstürmer zum Verteidiger um, was dazu führte, dass die ohnehin oft überforderten Abwehrleute der Gegner neben den Herren Lewandowski und Müller auch noch einen in Lichtgeschwindigkeit heranbrausenden Davies in Schach halten mussten. Der nämlich ist so unfassbar schnell, dass bisweilen nicht einmal die Führungskamera der TV-Sender hinterherkommt. Im Spiel gegen Werder Bremen spurtete er mit 36,51 Stundenkilometern die Seitenlinie entlang, Liga-Rekord.

Kein Wunder, dass Gaudibursch Thomas Müller ihm den Spitznamen „Road Runner“ verpasste und es mit dem passenden Geräusch untermalte: „Meep Meep“. Dass er obendrein gerne ins Dribbling geht und sich passstark zeigt, macht ihn zu der Neuentdeckung dieser Saison. Längst wird Davies als künftiger Superstar gehandelt, was seinem Selbstbewusstsein nicht geschadet hat. Hatte Davies zu Beginn seiner Bayernzeit noch den braven Lehrling gegeben, plaudert er inzwischen so selbstbewusst daher wie die etablierten Profis. „Das bedeutet mir viel“, sagt er über das Preisschild von 133 Millionen, die ja nur eine Spielerei sind, solange Bayern noch einen Vertrag mit ihm hat. Irgendwann aber wird Davies weiterziehen, womöglich in die Premier League. Meep Meep. Jenni Wulfhekel

Ohne Sang und Klang

Bei jedem Abstieg stellt sich die eine Frage: Ist es verdient? „Am Ende hatten wir ein paar Punkte zu wenig“, „Wir haben gekämpft, die Mannschaft hat alles gegeben, aber hat sich zu oft nicht belohnt“, das sind die Phrasen, die am Samstagabend den Betroffenen aus dem Mund fielen. Fortuna Düsseldorf ist nach einem sang- und klanglosen 0:3 bei Aufsteiger Union Berlin zum sechsten Mal aus der Bundesliga abgestiegen. Da war es fast egal, dass ausgerechnet der Erzrivale aus Köln bei seinem 1:6 bei Konkurrent Werder Bremen mächtig nachgeholfen hat: Die Fortuna hatte den Abstieg vielleicht nicht verdient, weil sie oft genug dicht dran war, weil sie Matchbälle hatte, weil sie mehr Punkte hätte haben müssen und insgesamt konstanter spielte als Werder. Aber am Ende hatte sie es sich selbst zuzuschreiben.

Das Spiel in Berlin war ein Offenbarungseid. Die „schlechteteste Saisonleistung“ (ZDF) unter Trainer Uwe Rösler im entscheidenden Spiel bei einem Gegner, für den es um nichts mehr ging. Ein Spiel mit Zitterbeinen vor Geisterkulisse. Schon am vorletzten Spieltag lag die Qualifikation zur Relegation für die Fortuna auf dem Präsentierteller – sie hätte nur mit Druck auf das 2:1 gegen den FC Augsburg drängen müssen. Doch es kam: nichts.

Insgesamt ließ die Fortuna zu oft Punkte liegen – in einer ungewöhnlichen und für die Düsseldorfer sowieso schwierigen Saison. Die zweite Saison ist ohnehin immer die schwierigste. Der Edelsturm mit Lukebakio wurde im letzten Sommer verkauft, Kult-Trainer Friedhelm Funkel zur Winterpause geschasst, Sportvorstand Lutz Pfannenstiel hat hingeworfen und seinen Vertrag mitten im Restart austrudeln lassen. Immerhin, mit Uwe Rösler hat man auch fürs Unterhaus einen guten Trainer am Start. René Hamann

Sport im schweineindustriellen Komplex

Also, was der Clemens Tönnies auf Schalke geleistet hat, wie soll man das auf knappem Raum würdigen? Ganz kurz vor Saisonauftakt, im August 2019, hatte der Aufsichtsratsvorsitzende und Schweineindustrielle mit Bemerkungen, wie die Afrikaner Kinder produzieren, ja nicht nur üblen Rassismus verbreitet, sondern auch gleich klargestellt, wer auf Schalke den Dummschwätzerjob innehat, den anderswo Figuren wie Rummenigge oder Watzke wahrnehmen. Verein und Mannschaft konnten sich ein ganz klein wenig von Tönnies distanzieren, drei Monate musste der seine Vereinsämter ruhen lassen. Das war nicht viel, aber das bisschen Emanzipation vom steinreichen Chef, der ja auch zum Fremdschämen dumm ist, genügte, um die Mannschaft eine gute Hinrunde spielen zu lassen.

Nach dem 13. Spieltag stand Schalke auf Platz drei der Tabelle. Vor Bayern, vor Dortmund. Ein kurzes Aufflackern, welches Potenzial in Mannschaft und Verein steckt. Aber das war im November, und Clemens Tönnies kam zurück in die vereinseigene Arena, um vor Heimspielen das Steigerlied zu singen, weil sich der Mann mit den gegelten Geheimratsecken ja so gerne als proletarischer Held inszeniert. „Denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht und saufen Schnaps und saufen Schnaps.“

Dann kam Corona. Es eskalierte alles, was in dieser Schweineindustrie zu irgendeinem Zeitpunkt eskalieren muss. Tönnies, der Mann, der ohne seine Milliarden so unglaublich uninteressant wäre, amtierte derweil auch als Gesicht des Vereins Schalke 04. Was von der Mannschaft derweil kam, kann man ruhig als stumme Schreie der Verzweiflung deuten. Nullvier im Derby gegen Borussia Dortmund, Nullvier zum Saisonabschluss. Das sind nicht nur Ergebnisse, das sind Symbole. Martin Krauss

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