Schlechte Stimmung bei der MPK-Ost: Politisches Sedativum

Um von aktuellen und unangenehmen politischen Fragen abzulenken, schwärmen Merkel und Berlins Bürgermeister von 1989/80 – funktioniert immer.

Angela Merkel und Michael Müller verlassen die Pressekonferenz

Die Stimmung war angespannt bei der MPK-Ost Foto: Markus Schreiber/AP

Letzte Woche traf sich die Kanzlerin mit den ostdeutschen MinisterpräsidentInnen. Als wäre alles nicht schon kompliziert genug, machte die arme Verwandtschaft auch noch Sperenzchen. Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Sachsen und Thüringen forderten nicht nur, auch etwas von den Coronamilliarden abzubekommen. Obwohl im Osten nicht ein einziges DAX-Unternehmen zu finden ist. Und dann wollten sie auch noch, dass „der Bund“ – also alle – die Kosten der aus DDR-Zeiten geltenden Zusatzrenten-Ansprüche übernimmt.

Es herrschte also nicht allzu gute Stimmung bei dem „MPK-Ost“ genannten Stelldichein. Und es machte es für mein Gefühl nicht einfacher, dass die ostdeutsch sozialisierte Angela Merkel in der anschließenden Pressekonferenz wiederholt von den „neuen Ländern“ sprach. Nichts für ungut, aber neu ist der Osten nach dreißig Jahren weiß Gott nicht. Zumal dieses „neu“ suggeriert, man stünde vor unverhofften Herausforderungen wie Strukturschwäche und Rechtsradikalismus, die so nun wirklich niemand habe kommen sehen.

Sei’s drum, die Stimmung war angeknackst, weshalb Merkel und Berlins Regierender Bürgermeister zum Beginn der Pressekonferenz es für eine Topidee hielten, erst einmal ausgiebig die Verdienste der Ostdeutschen um die deutsche Wiedervereinigung zu preisen. Funktioniert immer. Ganz warm konnte einem werden angesichts der scheinbar 17 Millionen Revolutionäre, „die damals auf die Straße gegangen sind“... Regiermeister Müller stand kurz vor den Tränen, die Kanzlerin lächelte versonnen und dachte vielleicht an ihren Saunabesuch am Abend des 9. November... Ach, was war es schön, 1989 hinter der Gardine zu stehen!

Nennen wir es Revolution

Nennen wir es der Einfachheit halber Revolution. So gülden und dermaßen verzerrt ist die Erzählung von 1989/90 mittlerweile, dass man gern dazu als politisches Sedativum greift, sollte sich die Laune der Jammerossis wieder mal eintrüben. Und wie praktisch, dass man vor lauter Rührung nicht weiter über die Corona­milliarden und die Zusatzrenten reden muss.

Aber dann! Jähes Erwachsen, als der der Pressekonferenz beiwohnende Kollege von der Süddeutschen Zeitung die milde Stimmung mit dieser Frage verdarb: „Warum ist die deutsche Einheit eigentlich nur ein Thema für Ost-Ministerpräsidenten?“ An der Denkpause von Merkel und Müller war gut erkennbar, wie exakt diese Frage das Problem zwischen Ost und West markiert.

Dreißig Jahre „neue Länder“ sind ja in den „alten Ländern“ so was wie eine Geburtstagsparty, zu der sie lieber nicht gehen. Warum auch? Da drüben essen sie komische Sachen und wählen die falschen Parteien und hören seltsame Lieder. Die sind neu und anders. Und ist man überhaupt eingeladen? Wollen die nicht unter sich bleiben? Nein, wollen sie nicht. Hiermit ausgesprochen: herzliche Einladung zur Party. Kommt vorbei und bringt eure Kinder mit.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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