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Schlagwort der libertären BewegungDie Disruption ist unser

Steffen Greiner
Kommentar von Steffen Greiner

Tesla-Chef Elon Musk und Argentiniens Präsident Javier Milei feiern Disruption als pubertäre Allmachtsfantasie. Doch Umbruch braucht progressives Denken.

Der Gesellschaft mit einem lustvollem, schöpferischen Chaos, das eben nichts vom rechten Weltenbrand hat, neues Feuer einhauchen Foto: Axel Bueckert/Zoonar/imago

J e versicherungsvertretiger der Vibe der Männer, desto gigantomanischer die metapolitischen Weltwende-Utopien, die sie verbreiten: Disruption ist das Schlagwort der Stunde, im Wortsinne eine Unterbrechung, in der Wirtschaftstheorie positiv gedacht: eine schöpferische Zerstörung. Und im Sinne der neuen rechtslibertären Bewegung, die mit Elon Musk und Javier Milei gerade großes Momentum gewonnen hat, vor allem ein Chaos, das das morsche System zusammenkrachen lässt. Das Szenemagazin eigentümlich frei feiert die spätestens mit Trumps Triumph „angebrochene Zeitenwende“, Nius die „Revolution gegen links“. Das Ende der linken Träume sei der Gewinn einer Epoche grenzenloser Freiheit, ausgelöst durch Eruptionen in den Strukturen des großen Menschenschinders Staat. Selbst die AfD will jetzt libertär sein.

Dieses Triumphieren ist natürlich vermutlich auch schon die größte Weltwende, die aus dem Kontext erwartet werden kann. Aber sie ist auch keine ganz kleine. Denn bisher war es doch eher so, dass das Chaos, der Umsturz, das anarchische Spiel an den Regeln vorbei, das Durcheinanderwirbeln der Verhältnisse gerade den linken Traum – zumindest in seiner antiautoritären Spielweise – ausgemacht haben. Während die Konservativen bewahren wollen, will die Linke die Gesellschaft nach vorne bringen. So war das schließlich gut eingespielt. Heute ist die einzige Utopie, die Linke global vernehmbar fordern, das Niederbrennen des Westens – was ja wiederum wunderbar zu den Jubeltänzen autoritär-libertärer Dis­rup­tio­nis­t*in­nen passt.

Klar, da waren immer schon Zwischentöne in dieser Rollenverteilung. Von der futuristischen Avantgarde zum Beispiel gingen genug Impulse für den Faschismus aus. Die Fu­tu­ris­t*in­nen feierten seinerzeit den Geschwindigkeitsrausch wie auch den Krieg – als „Hygiene der Welt“. Und auch die Denkschule des Akzelerationismus, der vehement das disruptive Element beschwört, hat immer wieder die Seiten gewechselt. Er geht im Kern auf Karl Marx zurück, der in der Beschleunigung des Kapitalismus dessen Zusammenbruch und Überwindung sieht. Später griffen die Poststrukturalisten Gilles Deleuze und Félix Guattari den Gedanken auf, wollten den Kapitalismus an sich selbst zum Explodieren bringen – aber seine Technologien durchaus nutzen, zum Wohle aller.

Für den rechten Akzelerationismus, der sich seitdem daraus entwickelt hat, steht wiederum am Ende der Bewegung nicht die Freiheit des Menschen, sondern die Freiheit des Kapitals vom Menschen. Nick Land, der wichtigste rechtsakzelerationistische Denker, feiert heute autoritäre Systeme und vertritt rassistische Positionen. Er ist auch zentral für das „Dark Enlightenment“, auf das sich wiederum Elon Musk bezieht – eine reaktionäre Aufklärung, die am Ende der menschlichen Entwicklung absolutistische Monarchien sieht.

Schöpferisches Chaos

Kurz: Die Disruption der rechtslibertären Spielart klingt wie pubertäre Fantasie mit Allmachtsknacks. Und dass das funktioniert, dass das tatsächlich irgendwie sexy ist, ist ein Problem. Weil natürlich Zerstörung geiler ist als Schöpfung, weil natürlich die Abschaffung intuitiv mehr Staub aufwirbelt als die Überlegung, wie neue Möglichkeiten entstehen können.

Deshalb lesen sich die Untergänge und Umwälzungen der Rechtslibertären spannender als ihre rückwärtsgewandten, autoritären Jeder-in-seine-Ecke-Utopien mit Marsreise. Sie folgen natürlich einem nachvollziehbaren Impuls, der deutet, dass die liberal-demokratische Gesellschaft auf ihrem Weg aus dem 20. Jahrhundert heraus auf halber Strecke stecken geblieben ist, können aber keinen progressiven Ausweg denken. Während sich zumindest die deutsche Linke zu schnell auf Besitzstandwahrung statt Nach-vorne-Drängeln eingelassen hat.

Kann schon sein, dass die Antwort darauf sein müsste: Akzeptieren, dass die realen Komplexitäten keinen easy way out zulassen können. Aber in durchhängenden, zähen Zeiten könnte sie eben auch sein: Der Gesellschaft mit einem lustvollem, schöpferischen Chaos, das eben nichts vom rechten Weltenbrand hat, neues Feuer einhauchen. Und nicht zuletzt, wieder den Spaß daran entdecken, den grauen Herren nicht zu gönnen, sich als Sieger der Geschichte zu fühlen. Feiert ihr ruhig ein bisschen, aber seid gewiss: Die Disruption ist unser!

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Steffen Greiner
Steffen Greiner ist Autor, Dozent und Journalist. Er war Chefredakteur der Zeitschrift zur Gegenwartskultur "Die Epilog" und Co-Autor des erzählenden Brief-Sachbuchs "Liebe, Körper, Wut & Nazis" (Tropen 2020). Im Februar 2022 erschien seine Erkundung zur Geschichte der spirituellen Querfront in Deutschland zwischen Lebensreform, Weimar und Corona "Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern", ebenfalls bei Tropen.
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7 Kommentare

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  • Ich denke es kann keine „reaktionäre Aufklärung“ geben, weil das ist ja schon ein Widerspruch in sich ist und die „Idee“ einer absolutistischen Monarchie ist sowas von altbacken, dass man von einer Idee diesbezüglich garnicht sprechen kann. In welcher Weise Zerstörung „irgendwie geiler“ ist als Schöpfung gilt es noch zu definieren, jedenfalls ist Zerstörung sehr viel einfacher als Kreieren. Wenn man so reich ist wie diese Typen die sie propagieren, muss man mit den Folgen ja nicht leben, kann sich aber erstmal austoben und sich dann aus dem Staub machen. Ich hoffe aber, sie hauen schon vorher ab, am besten auf den Mars.

  • was schreibt dieser Autor da??: 'weil natürlich Zerstörung geiler ist als Schöpfung'



    Eine solche Selbstverständlichkeit ist das? Dabei ist es himmelschreiend, wenn das so erlebt wird ohne Kritik. Offenbar weiß dieser Autor und die Mehrheit, von der er ausgeht nicht, wie geil Schöpfung ist! Eine Frau würde den zitierten Satz dieses Autors nicht schreiben, da trenne ich ausnahmsweise mal komplett in männlich / weiblich.



    Tatsächlich, wenn ich mir die Welt ansehe: Zerstörung, mehr, mehr, mehr, in jeder Hinsicht und Männer, Männer, Männer die dieses Geschehen anzetteln, lenken, fortsetzen. Herrschende Frauen dabei: nirgends.



    Solange es keine gleiche Beteiligung der Frauen am Geschehen in der Welt gibt, ist sie nicht zu retten. Diese Beteiligung ist daher auch im Interesse von Männern.

    • @Bärbel Hartz-Bentrup:

      Jaja, die ach so friedlichen Frauen. Sind ganz allgemein einfach die besseren Menschen. Und da hätten wir:



      Falkland-Krieg und Zerschlagung der Gewerkschaften -> Thatcher, Isabel Perons Schleifen der Demokratie in Argentinien, Indira Ghandis Kriege im Inneren, der Beinahe-Krieg mit China, der Krieg mit Pakistan, etc. pp.



      Oder prominente Frauen in der aktuellen Politik Europas: Le Pen, Meloni, Weidel, Szydlo, Kjaersgard, etc. pp.



      Mehr von dieser Sorte macht Deutschland, Europa und die Welt ganz bestimmt viel besser.

  • Korrekt

    Disruption? Is wie under sails - ne Wende oder Halse!



    Du mußt hat sailn ⛵️ können! Newahr



    Und nicht wie KfW-Diletanten wie “der alte 🤬 “



    ©️ PU sei Perle - Lindner Friends Cie & Co



    Totsicher alles in den Sand 🏝setzen •



    Normal

    unterm——



    Christian Lindner in 1997 - Reaktion auf alte sternTV Doku | Finanzfluss Twitch Highlights



    www.youtube.com/wa...4&t=2s&pp=2AECkAIB



    Auf dem Weg zum Erfolg gibt es keinen Aufzug hilft auch keine Disruption! Gelle



    Frauman muß schon die Treppe benutzen - wa!



    Normal Schonn - nicht wahr Herr Bernhard Pötter!



    taz.de/Disruptive-...kwechsel/!6056103/



    “… Lindner - von 2000 bis 2001 Geschäftsführer (von Internetfirma Moomax GmbH. beteiligt Risikokapitalfonds Enjoyventure.) ; nach knapp einem Jahr mussten Lindner und Knüppel gehen – „zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit des Unternehmens“, so Moomax🖊️. Wenig später war Moomax bankrott: Die KfW hatte laut Enjoyventure 1,2 Millionen verloren; die investierende Bank war mit einem sechsstelligen Betrag beteiligt, und gegen sonstige Forderungen von 172.338 € standen nur noch Vermögenswerte von 15.339 €



    de.wikipedia.org/wiki/Christian_Lindner

    Na Mahlzeit

  • Dem Kommentar merkt man die kulturwissenschaftliche Ausrichtung des Autors an. Ein disruptives Feuerwerk von Schlagworten, dass nichts erklärt, aber viel Spielraum für freie Interpretationen lässt. Was will uns der Autor eigentlich sagen? Das Wandel Veränderungen mit sich bringen oder sogar braucht, oder umgekehrt? Wenn er dann noch, wie ein Armin Nassehi, auf dem alten Horn namens Niklas Luhmann den Marsch der Komplexität, die viel zu komplex sei um verstanden, geschweige denn (um-)gelenkt zu werden, bläst, bläst er dann zur Wahl zwischen (a) wahrscheinlicher Unmöglichkeit und (b) möglicher Unwahrscheinlichkeit (oder zwischen (c) unwahrscheinliche Möglichkeit und (d) unmögliche Wahrscheinlichkeit)?

  • Was ist die Botschaft?



    Die Welt ist komplex, wir kennen keine einfache Lösung, da bleibt uns aber noch die Rolle eines Störenfrieds.?

  • Das ist doch nichts Neues, sondern uralter Wein in neuen Schläuchen.



    Wird von Naomi Klein sehr gut in "The Shock Doctrine" beschrieben. Ist mindestens seit Pinochets Machtergreifung in Chile Standard bei den Neoliberalen.



    Dass die Libertären da nun graduell noch rücksichtsloser sind, gehört zur Natur der Libertären, die im Kern die Errichtung einer Plutokratie wollen.

    Achja: Ist eigentlich noch jemand aufgefallen, dass ständig über den Rückgang der Inflation in Argentinien berichtet wird, aber kaum über den Rückgang der Wirtschaftsleistung? Naja, ist bestimmt Zufall ...