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Schlagloch Polit-ClownsDer Zirkus zieht weiter

Kommentar von Georg Seesslen

Wenn Politik nur dazu dient, Reiche reicher und Arme ärmer zu machen, helfen nur noch Clowns. Doch hierzulande lebt die kryptorassistische Niedertracht.

Die Clowns haben auf die unterschiedlichste Art die Wahrheit über die Welt gesagt. Bild: ap

I n einem meiner Lieblingsfilme unter den Western all’ italiano, „La collina degli stivali“, wird die Herrschaft eines babygesichtigen Erzkapitalisten geschildert, der mit seiner terroristischen Bande und mithilfe windiger Advokaten und korrupter Gesetzeshüter alle Leute von ihrem Grund und Boden vertreibt. Wer sich seinem Willen nicht beugt, wird umgebracht oder verjagt. Die Organe von Gesetz und Ordnung sind schwach, korrupt oder profitieren von der Herrschaft des Kapitalisten. Niemand kann sich seiner Gewalt entgegenstellen.

Niemand? Ein Zirkus kommt in die Stadt, mit Akrobaten, schönen Frauen und vor allem mit Clowns. Mit dem Zirkus kommen ein Pistolero, ein Haudrauf und ein befreiter Sklave. Der Kapitalist, der gerade wieder einem eingeschüchterten Landbesitzer seinen Boden abgenommen und ihn durch Drohungen mundtot gemacht hat, um ihn sogleich als mies bezahlten Lohnarbeiter wieder einzustellen, zeigt sich großzügig und lädt alle, seine Opfer, seine Mittäter und die ohnmächtigen Zeugen, zu einer Vorstellung des Zirkus ein.

Doch die Clowns spielen ein derbes Stück. Sie spielen das Stück vom Terror-Kapitalisten. Sie sprechen im Namen der Opfer. Und sie spielen den Aufstand, so lange, bis der Terror-Kapitalist sein wahres Gesicht zeigt. Dann kommen der Pistolero, der Haudrauf und der freie Sklave zum Einsatz. Das Volk, das in der Zirkusarena endlich nicht mehr ratlos war, befreit sich. Was nach der Revolte kommt, bleibt offen. Nur so viel ist klar: Ohne die Clowns würde der babygesichtige Terror-Kapitalist noch heute herrschen. Beziehungsweise genau das tut er.

taz
Georg Seesslen

ist freier Publizist und Kinoexperte. 2012 erschien von ihm „Wir Untote! Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction“ (mit Markus Metz).

Vollendeter Opportunist

Wenn staatliche Gewalt, ökonomische Interessen, das Gesetz und der Alltag eine Einheit gebildet haben, um die Menschen von ihrem Land, aus ihrem Leben und aus ihren Rechten zu vertreiben, wenn Leute, die sich ihre Rechte nicht nehmen und ihre Solidarität nicht abkaufen lassen wollen, mit Gewalt bedroht werden, wenn der Umbau der Demokratie mit freiem Markt in eine staatskapitalistische „marktkonforme Demokratie“ vorangetrieben wird, wenn Gesetz und Politik nur noch dazu dienen, die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen, dann helfen nur noch die Clowns.

Die Clowns sind die Einzigen, die dem Herrschaftssystem ein fundamentales Nein entgegensetzen können. Und nicht umsonst gibt es den Clown in zwei Ausprägungen. Da ist der weißgesichtige Clown mit seinem Glitzeranzug, ein vollendeter Opportunist, der sich Autorität angemaßt hat und der im Namen der Ordnungen und der Interessen und der furchtbaren Normalitäten spricht. Und da ist der dumme August, rotnasig und in viel zu großen Schuhen, der erfindungsreich die Selbstinszenierung des weißen Clowns sabotiert.

Der Kampf zwischen Berlusconi und Grillo etwa ist so eine Auseinandersetzung. Das große, glitzernde und clownesk übertriebene Ja zu allem, was Neoliberalismus und Postdemokratie an Niedertracht zu bieten hat, und das fundamentale, polternde, kindische und poetische Nein. Um diese beiden wuseln die „Zwerge“, die Kleinwüchsigen, die in ihren kleinen Feuerwehrautos unterwegs sind, sich mit Kanonen davonschießen lassen oder aus Koffern purzeln. Die kleinwüchsigen Clowns sind nicht komisch, weil sie so klein sind, sondern sie sind so komisch, weil sie das Klein-Sein ihrer Zuschauer repräsentieren. Alle gegen den großen weißgesichtigen Clown.

Poetische Gewalt des dummen August

Wer am Ende gewinnt? Die Zwerge sind, wenn sie dem Großen einmal die Instrumente geklaut haben, dann doch mehr übereinandergefallen; die poetische Gewalt des dummen August richtet sich schließlich gegen ihn selbst. Er kann ja nichts anderes als Nein zu den Verhältnissen sagen. Er muss stolpern über sein Nein.

Wenn Peer Steinbrück von den zwei italienischen Clowns gesprochen hat, glaubte er wohl, wie die Gäste im Zirkus am Hügel der blutigen Stiefel, kein Teil ihres Spiels zu sein. Reden wir nicht von Respekt oder Ignoranz: Wenn jemand das Spiel der Clowns so wenig versteht, dass er nicht einmal erkennt, wie das System gemeint ist, das er repräsentiert, dann bleibt ihm höchstens noch eine Zwergenrolle.

Die Clowns haben auf die unterschiedlichste Art die Wahrheit über die Welt gesagt. Danach kommen die Leute, die die Manege aufräumen und jemand, der die Leute nach Hause schicken muss. Aber wie können wir heimkehren, als wäre nichts gewesen?

Die Perspektive der Nutznießer

Dies ist jedoch die deutsche Lösung, scheint es. Ein fundamentales Nein ist hier nicht zu hören gegen den Neomerkantilismus des Merkel-Staates und gegen eine mediale Verblendung, die von „uns“ spricht und den Menschen im Nachbarstaat längst das Häuschen neidet und den Schafskäse auf dem Brot, der nicht von Lidl stammt. Es lebe der Nationalkapitalismus! Es lebe die kryptorassistische Niedertracht! Die Zyprioten sollen sich nicht so haben; wenn wir ihnen helfen sollen, müssen sie schon was hergeben dafür.

Wir haben uns in Deutschland auf eine Art der Alltagsclownerie verständigt. Da es eine fundamentale Kritik der, na ja, freien Presse nicht mehr gibt (erwähnten wir, dass der Terrorkapitalist im Film natürlich auch die Zeitung in seiner Gewalt hat?), haben wir den Clowns und Kabarettisten die Aufgabe übertragen, Nein zu sagen. Aber nur so, dass wir danach heimgehen dürfen und weitermachen wie vorher.

Ein politisches System wie der Berlusconismus wäre niemals möglich ohne die willfährige Hilfe eines Heeres von „Medienarbeitern“, die nichts dabei finden, als Stimme ihres Herrn zu lügen. Ein politisches System wie der Merkelismus, dessen Europäisierung uns nicht aus der Perspektive der Opfer, sondern aus der der Nutznießer erzählt wird, wäre nicht möglich ohne die willfährige Hilfe eines Heeres von „Medienarbeitern“, die nichts dabei finden, „für uns“ zu lügen. Wer, wenn nicht die Clowns, könnte noch die Wahrheit über die Menschenfeindlichkeit des deutschen Staatskapitalismus sagen?

Der Zirkus zieht weiter. Wir kehren an den furchtbarsten Ort der Welt zurück. In die politische Normalität.

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20 Kommentare

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  • KK
    Kein Kunde

    Bekommen in Merkels Ländle nicht auch die Clowns die Journalistenpreise?

     

    So lief's doch gut für die Heute Show.

  • A
    anke

    Der Humor, scheint mir, ist etwas, was die Menschheit höchstens theoretisch vereint. In der konkreten Praxis spaltet er eher. Aber wieso soll es Clown auch besser gehen als beispielsweise Kolumnisten? Sie sind ja auch bloß Profis...

  • WL
    W. Lorenzen-Pranger

    War da nicht grade schon mal was mit Clowns in der taz? Meine Güte, wenn schon, dann seht euch doch erst mal die Urformen und die Entwicklung dieser Figuren bis heute an. Zumindest in Tristan Rémys "Clownnummern" sollte man schon mal heinein gesehen haben. Da werden die Rollen und ihre gesellschaftlichen Funktionen von August, Weißclown und SPRECHSTALLMEISTER nämlich mal richtig geklärt. Ansonsten, nahe dran - und dennoch falsch das Bild von den Clowns, das hier gezeichnet wird - und damit ungültig jeder Vergleich. Schade um den eigentlich richtigen Ansatz...

  • HM
    Heiko Mielke

    Den Clown als Metapher missbrauchen? Finde ich nicht mehr zeitgerecht.

     

    Es gibt in heutiger weit mehr Fassetten des Clowns wie den WeißClown und den Dummen August. Und das nicht nur in der Clownerie.

  • D
    danke

    daumen hoch.

  • E
    ello

    Wat n Schwachsinn. Erst ist Zypern ein fieses kapitalistisches Steueroaslein, dann, nachdem das Modell gescheitert ist, soll man es auch noch bezahlen. Was hat das mit "Merkelismus" zu tun? Was soll überhaupt "Neomerkantilismus" sein? Wie kann man nur einen so grenzdebilen Unfug schreiben? Wie lebt sichs eigentlich is so einem kitsch-marxistischen Luftschloß?

  • M
    martin

    vielen dank - sehr zutreffend

  • T2
    Thunfischsalat 2.0

    Um in Deutschland etwas zu verändern müsste man bei 30 Jährigen Krieg wieder ansetzen. Ich glaube kaum, dass sich dies bewerkstelligen läßt.

     

     

    Grüße

     

    Tuna 2.0

  • R
    ridicule

    @von Schroedingers:

     

    ja - so ist das mit der Katze dieses Herrn:

    unentscheidbar tod oder lebendig - wodurch? ;

    kommt schein's dabei heraus, wenn man mit zwei

    Herzensdamen - aus guten Gründen - unter einem Dach wohnt.

     

    Egal. Die Damen des Hauses, das hessisch und bayrische Spitz-Buben-Duo

    und als Schlagobers den Misik Robert:

    sonst wär's schon echt duster mit der taz.

     

    Und - mal kopfkratzend, mal lachend gelesen.

  • H
    habnix

    Chapeau Georg Seesslen,

     

    leider ist die kleinbürgerliche Sicht weiter verbreitet als befürchtet. Noch lebt eben der alemannische Stammtisch.

  • FA
    Frank aus Polen

    Vielen Dank Herr Seesslen. Ein hervorragende Analyse. Danke

  • TA
    Thunfischsalt alias Kein Deutscher

    Hallo Topas

     

    wie wird man zum guten Deutschen?

     

     

    Hier können Sie es nachlesen:

     

    Bei der Lösung dieser Probleme handle es sich letztlich „weder um ein materielles noch um ein technisches oder organisatorisches Problem, sondern allein um eine Bewusstseinsfrage“. Für Kurz ist es aber wahrscheinlich, dass der dazu notwendige „Bewusstseinssprung“ nicht mehr vollzogen wird. Der Kapitalismus sei aber dennoch nicht überlebensfähig, was „die unaufhaltsame Entzivilisierung der Welt“ nach sich ziehe. Die einzige Handlungsalternative sei „eine Kultur der Verweigerung“. Dies bedeute, „jede Mitverantwortung für ‚Marktwirtschaft und Demokratie‘ zu verweigern, nur noch ‚Dienst nach Vorschrift‘ zu machen und den kapitalistischen Betrieb zu sabotieren, wo immer das möglich ist“.

     

     

    siehe Wiki ...

     

     

    Grüße

     

    Thunfischsalat alias Kein Deutscher

  • R
    ridicule

    @von Schroedingers:

     

    ja - so ist das mit der Katze dieses Herrn:

    unentscheidbar tod oder lebendig - wodurch? ;

    kommt schein's dabei heraus, wenn man mit zwei

    Herzensdamen - aus guten Gründen - unter einem Dach wohnt.

     

    Egal. Die Damen des Hauses, das hessisch und bayrische Spitz-Buben-Duo

    und als Schlagobers den Misik Robert:

    sonst wär's schon echt duster mit der taz.

     

    Und - mal kopfkratzend, mal lachend gelesen.

  • K
    khfpl

    Mein Güte,

     

    eine Nummer kleiner hatten Sie es wohl gerade nicht, oder?

     

    Auch nach mehrmaligem Lesen erschließt sich mir der Sinn dieses 'verschwurbelten' Artikels nicht wirklich.

  • DT
    Delikatess Thunfischsalat

    ...ich möchte mich hier noch ein bisschen unbeliebt machen. Als Thunfischsalat alias Kein Deutscher konnte ich schon in meinen zart besaiterten Jahren in Deutschland solcherart Erfahrungen machen. Es ist halt so wie es ist und da wird sich auch nichts mehr ändern.

     

    Und hier die Wette. In spätestens eins bis höchsten zwei Jahren wird es keine Währungsunion mehr geben.

     

    Grüße

     

    Thunifischsalt alias Kein Deutscher

  • T
    topas

    Genau - es lebe die kryptorassistische Niedertracht der Deutschen !

    Genau - die Menschenfeindlichkeit des deutschen Staatskapitalismus !

    Was brauchen wir die Griechen, die Zyprioten wenn wir uns selber am

    Meisten hassen. Alle anderen sind gut, Alliierten wo seit ihr, kommt

    her und vernichtet uns Deutsche....

     

    Welch ein gruseliger Artikel - ich glaub mir wird schlecht !

  • H
    Harald

    Oh yes.

     

    Die einzigen, denen in Deutschland außerhalb von Blogs überhaupt noch einigermaßen erlaubt wird, sich kritisch zu äußern, heißen Oliver Welke mit Kollegen und Urban Priol.

  • L
    L´Andratté

    Danke, lesenswert!

     

    Der Film kommt mir irgendwie vertraut vor (;

  • S
    Schroedingers

    Guter Artikel.

     

     

    Ich schlage vor, Sie nehmen sich einmal selbst beim Wort.

     

    Es gibt naemlich auch noch eine weitere Kategorie von "Journalisten", die in allerbester Steinbrueck-Manier Probleme aus dem Nichts zaubern aus reiner Lust am Rabaukentum (und wahrscheinlich auch der Auflagensteigerung) und damit von den wahren Problemen ablenken.

     

    Anstatt dass die taz sich mit einem Deniz Yuecel unlesbar macht, sollte sie sich wirklich mal mit den von Ihnen angerissenen Problemen intensiv befassen. Die Betonung liegt hierbei auf "intensiv"

     

    Best

    Schroedingers

  • P
    Peter

    Manchmal mag ich die taz