Schlafplätze für junge Obdachlose: Notschlafstellen schon überlaufen
Nach jahrelangem Vorlauf hat Hamburg 20 Übernachtungsplätze für junge Erwachsene ohne Obdach eingerichtet. Die reichen nicht aus.
Das Angebot wurde seit dem 1. Juni 2024 nach und nach von einem Verbund aus den vier Jugendhilfeträgern Hude, Basis & Woge, Jugendberatung Apostelkirche und Streetlife aufgebaut – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. „Die ersten Erfahrungen zeigen, dass die Notübernachtungsstellen von jungen Menschen angenommen werden“, sagt Kristina Krüger, zuständige Referentin beim Diakonischen Werk, die diesen Verbund begleitet und koordiniert.
Den Trägern ist es wichtig, dass es sich um ein Angebot der Kinder- und Jugendhilfe handelt. Das heißt, auch wenn die jungen Menschen aus den Notübernachtungsstellen, die abgekürzt „Nüst“ heißen, ausziehen, bleiben sie an die Jugend- und Straßensozialarbeit angebunden. Dies gelinge mit einer altersgerechten Ansprache recht erfolgreich, sagt Krüger.
Eine lange Vorgeschichte
Allerdings könne nicht allen jungen Menschen eine Notübernachtung ermöglicht werden. „Denn die Anfragen übersteigen deutlich das Angebot. Alle Plätze sind durchgängig belegt“, sagt Krüger. Dass die Fortsetzung und der Ausbau der Nüst im neuen rot-grünen Koalitionsvertrag verankert sind, stimme sie jedoch zuversichtlich.
Das Ganze hat eine lange Vorgeschichte. Sozialarbeiter forderten die Notschlafstelle schon vor über zehn Jahren. Im Hamburg-Wahlkampf 2020 setzten sich die Grünen dafür ein und erreichten, dass ein entsprechendes Projekt im damaligen rot-grünen Koalitionsvertrag verankert wurde. Doch die Ausschreibung der Sozialbehörde ließ über ein Jahr auf sich warten. Als sie schließlich kam, bewarb sich kein Träger, weil die Bedingungen als zu schwierig galten.
Anstelle einer großen Notübernachtungsstelle mit 20 Plätzen gibt es nun die vier Nüsts in Altona, Eimsbüttel, Nord und Wandsbek.. „Wir achten auf Geschlechtertrennung“, sagt Krüger. Es gebe Plätze für junge Männer und junge Frauen, aber auch für diverse Menschen und für Menschen mit Hund.
Ausweitung frühestens in zwei Jahren
Bleiben können die jungen Menschen nur eine begrenzte Zeit. „Die Frist für die Notübernachtung läuft in der Regel acht bis zwölf Wochen“, erläutert Krüger. Es sei „häufig, aber nicht immer“ gelungen, im Anschluss eine weiterführende Wohnmöglichkeit zu finden. Manche fänden ein WG-Zimmer oder ein Zimmer im Jungerwachsenenwohnprogramm (JEP) der Stadt, manche bekämen auch eine Wohnung. Doch angesichts der Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt brauche man dringend mehr Wohnraum für diese Zielgruppe, so Krüger.
In Hamburg ist seit Kurzem die Schulbehörde für die Jugendhilfe zuständig. Diese dämpft die Erwartung, dass es schnell zu einem weiteren Ausbau dieser Hilfe kommen könnte. Das Modellprojekt wird jährlich mit 800.000 Euro finanziert und läuft bis Mitte 2027, diesen Sommer startet eine wissenschaftliche Evaluation. Auf die Frage, ob angesichts der hohen Auslastung eine Ausweitung der Notschlafstellen geplant sei, antwortet die Behördensprecherin: „Eine Entscheidung darüber, ob und wenn ja in welchem Umfang dieses geschehen soll, wird erst nach Ende des Modellprojekts und Vorliegen der Evaluationsergebnisse getroffen werden können.“ Sprich: in zwei Jahren.
„Auch wenn das Abwarten einer Modellphase formal richtig sein mag, halte ich es für inakzeptabel, so lange zu warten. Dazu ist die Not zu groß“, sagt Ronald Prieß. Er setzt sich seit 2015 als ehrenamtlicher „Botschafter der Straßenkinder“ und im Rahmen des Sozial-Bündnisses „Tu was, Hamburg!“ für wohnungslose junge Menschen ein. Notschlafstellen seien jedoch nur eine vorübergehende Lösung, so Prieß. „Die Stadt muss mit der Wohnungswirtschaft vereinbaren, dass es einen Pool von Wohnungen gibt, die nur für diese jungen Menschen reserviert sind“.
20 Notschlafplätze seien ohnehin zu wenig, sagt die Sozialpolitikerin der Linksfraktion, Olga Fritzsche. So wie schon beim „Housing First“ für Erwachsene plane die Stadt mit zu kleinen Zahlen. Funktioniere ein Angebot, sei es falsch, mit der Ausweitung zu warten. „Mein Eindruck ist: Der Senat will nicht mehr Geld in die Hand nehmen.“
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