Schlacht um Mossul im Irak: Die Hölle auf Erden

Im Kampf gegen den IS geraten Zivilisten zwischen die Fronten. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, sie zu schützen, sagt Amnesty International.

Ein Junge geht am 31.03.2017 vorbei an ausgebrannten Autos im Westteil von Mossul, Irak, die eine Straße blockieren, die erst kürzlich von irakischen Sicherheitskräften zurückerobert worden ist im Krieg gegen die Kämpfer des IS.

Zurückerobert: Straße im noch heftig umkämpften Westteil der Stadt Foto: dpa

KAIRO taz | Wenn es eine Hölle auf Erden gibt, dann liegt sie derzeit in West-Mossul. Straße für Straße, Haus für Haus kämpft sich die irakische Armee gegen die Dschihadisten des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) vor, unterstützt von der US-Luftwaffe. Der Vormarsch geht langsam voran und ist auf beiden Seiten verlustreich. Und mittendrin versuchen bis zu einer halben Million Zivilisten zu überleben. Sie sitzen in der Falle.

US-General Stephen Townsend hat eingeräumt, dass die US-Luftwaffe wahrscheinlich am 17. März am Bombardement eines Gebäudes in West-Mossul beteiligt war, bei dem weit mehr als 100 Zivilisten ums Leben gekommen waren. Die irakische Armee hatte sie zu Beginn der Offensive angewiesen, in ihren Häusern zu bleiben. Nun hindert sie der IS an der Flucht, missbraucht sie skrupellos als menschliche Schutzschilde.

Auch Amnesty International hat in einem Bericht die alarmierend hohe Zahl an toten Zivilisten angeprangert. „Unsere Recherche hat gezeigt, dass es eine sehr hohe Zahl an toten Zivilisten gibt, entweder durch Luftangriffe der Alliierten oder durch die Bodenkämpfe zwischen der irakischen Armee und IS-Kämpfern“, erklärt die Autorin des Berichts, Donatella Rovera, gegenüber der taz.

Wie viele Zivilisten dort in den letzten Wochen umgekommen sind, weiß niemand „Es gibt keine Zahlen“, sagt Rovera, die vor wenigen Tagen von einer Fact Finding Mission aus Mossul zurückgekehrt ist. In einem Fall hat Rovera mit der 23-jährigen Hind gesprochen. Sie war die einzige Überlebende ihrer gesamten 12-köpfigen Familie. Ihr Haus war am Morgen zerstört worden.

Wie durch ein Wunder hatten es aber zunächst alle geschafft, aus den Trümmern lebend herauszukommen. Sie sind dann in das Haus eines Onkels geflüchtet, um dort Schutz zu finden. Wenige Stunden später, am gleichen Tag, wurde auch das bombardiert. Das war der Zeitpunkt, als elf Familienmitglieder von Hind getötet wurden.

Donatella Rovera, Amnesty

„Es ist auch eine Frage, welche Muni­tion ich einsetze“

„Es gibt viele solcher Fälle, immer wieder habe ich Menschen gesprochen, die mir ähnliche Schicksale erzählt haben“, berichtet Rovera. „Die Tatsache, dass der IS Zivilisten als menschliche Schutzschilde verwendet, bedeutet nicht, dass die Anti-IS Koalition von den Pflichten des internationalen Rechts entbunden ist“, kritisiert sie.

„Wenn der IS ­Scharfschützen auf einem Gebäude positioniert, dann ist das keine Lizenz, eine große Bombe über diesem Haus abzuwerfen und das gesamte Haus zu zerstören mit all den Menschen, die dort leben“, sagt sie. „Zivilisten sind derzeit Geiseln auf beiden Seiten. Die eine Seite hält sie als menschliche Schutzschilde und die andere tötet sie“, fasst sie die Lage der Einwohner West-Mossuls zusammen.

Zwei Empfehlungen von Amnesty

Sie sei nicht naiv, sagt Rovera, natürlich gebe es in einem Häuserkampf viele Tote. Und manche der Vorfälle mit einer hohen Zahl an toten Zivilisten wirken, als hätte der IS seinen Gegnern bewusst eine Falle gestellt, um der Welt dann nach einem amerikanischen Bombardement grausame YouTube-Videos von verschütteten Familien und Kindern präsentieren zu können.

Aber, sagt die erfahrene Ermittlerin von Kriegsfolgen, es gebe durchaus Möglichkeiten, die Zivilbevölkerung zu schonen. „Zuerst muss ich die Zivilisten aus einem aktiven Kampfgebiet evakuieren. Anstatt den Leuten zu sagen, sie sollen zu Hause bleiben, sollten humanitäre Korridore geöffnet werden. Damit die Menschen so schnell wie möglich dort raus kommen“, fordert sie.

Ihre zweite Empfehlung betrifft den Einsatz der Mittel. „Es ist auch eine Frage, welche Munition ich einsetze. Wenn drei IS-Kämpfer auf einem Dach positioniert sind, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass in dem gleichen Haus eine oder mehrere Familien leben.

„Es ist einfach nicht akzeptabel, dort eine Bombe abzuwerfen und das gesamte Haus zu zerstören“, führt sie aus. „Es gibt Munition, die genauer ist und einen geringeren Explosions­radius hat.“ Der Schutz von Zivilisten ist nicht nur ein moralisches Gebot und eine Verpflichtung des Völkerrechts. Er ist auch entscheidend für die Zukunft Mossuls und des ganzen Irak. Je skrupelloser der IS mit der Zivilbevölkerung in Mossul umgeht, desto bedachter sollte die Anti-IS-Koalition sein, um zivile Tote zu verhindern. Das muss die Maxime sein.

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