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Schill-Partei setzt auf Sieg

Obwohl Innensenator Scholz auf innere Sicherheit setzt, droht Rot-Grün eine Niederlage durch ein rechtes Dreierbündnis

aus Hamburg SVEN-MICHAEL VEIT

Unpolitisch bis ins Mark ist der Mann, der bereits jetzt als Gewinner der morgigen Bürgerschaftswahl in Hamburg feststeht. Der inzwischen bundesweit berüchtigte Richter Ronald Barnabas Schill hat das Koordinatensystem im Stadtstaat kräftig durcheinandergebracht. Aus dem Stand wird die „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ des 42-Jährigen zur dritten Kraft in Hamburg werden, 12 bis 15 Prozent trauen die Demoskopen dem Demagogen zu.

Ob es zusammen mit CDU und FDP zum viel beschworenen „Wechsel“, zur Ablösung der seit 44 Jahren an der Elbe allein oder mit wechselnden Partnern dauerregierenden Sozialdemokraten reichen wird, wird der Wahlgang zeigen. Planspiele der Schill-Partei, die bisher Landesverband und Bundespartei zugleich ist, zielen bereits auf andere Bundesländer. Die Berlin-Wahl in einem Monat kommt zwar zu früh. Dass Schill jedoch im nächsten Jahr in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern im Reservoir der Nichtwähler, der Rechtsextremen und des rechten CDU-Flügels zu wildern erwägt, ist kein Geheimnis.

Morgen aber soll die Hansestadt erobert werden, und die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Schills Bündnis mit der CDU des einst als liberal geltenden Ole von Beust steht seit Monaten. Als dritter Partner ist seit zwei Wochen die FDP im Boot, die sich lange um eine Koalitionsaussage drückte. Die Partei des Konteradmirals Rudolf Lange ist zugleich Zünglein an der Waage. Sollte sie die Fünfprozenthürde überwinden, wird das rechte Dreierbündnis mit 46 bis schlimmstenfalls 50 Prozent den Senat stellen und Ole von Beust Regierungschef werden.

Die 30,6 Prozent der vorigen Wahl wird die Union den Umfragen zufolge unterschreiten: zu erfolgreich hat Schill die Hardliner unter den CDU-Stammwählern abgeworben, denen ihre Partei schon lange zu lax ist. Zwar hat auch von Beust seit Monaten nur ein Thema: Das Schüren der inneren Verunsicherung. Die SPD soll Hamburg „zum Drogenmekka und zur Hauptstadt des Verbrechens gemacht“ haben und inzwischen auch zum „Zentrum des Terrorismus“, seit bekannt wurde, dass drei der US-Attentäter jahrelang in der Hansestadt studierten. Das nützt dem Original Schill.

Keinen leichten Stand haben die Titelverteidiger von der rot-grünen Koalition, denen zusammen etwa 45 Prozent vorhergesagt werden. Die SPD des altlinken Regierungschefs Ortwin Runde kann froh sein, ihren 36,2-prozentigen historischen Tiefststand von 1997 nicht zu unterschreiten. Die Grün-Alternative Liste (GAL) um Krista Sager wäre mit einem zweistelligen Resultat bereits zufrieden .

Und so kämpfen die Grünen an drei Fronten ums Überleben im Senat. Auf Schill einzudreschen, fällt ihnen leicht. Vertrackter sind die Versuche, dessen „Steigbügelhalter“ FDP zu verhindern. Den Freidemokraten sei jedes Mittel recht, sagte Krista Sager unentwegt, „um auf der Schleimspur der Beliebigkeit an die Macht zu rutschen“. Auch nach links müssen die Grünen austeilen. Der Regenbogen, dessen fünf Abgeordnete sich wegen des Kosovo-Krieges von der GAL abspalteten, tritt ausdrücklich als „linke Opposition gegen Rot-Grün“ an. Die bunte Gruppe geriert sich seit dem 11. September noch stärker „als einzige Hamburger Friedenspartei“.

Ausgerechnet Regenbogen als politischer Kriegsgewinnler „wäre zwar pervers“, räumt deren Spitzenkandidatin Heike Sudmann ein, zusätzliche Stimmen an der Wahlurne würde sie aber nicht zurückweisen. Drei Prozent wurde Regenbogen bislang zugetraut, und Krista Sager wird nicht müde zu behaupten, wer Regenbogen wähle, würde letztlich einen Schill-Senat zu verantworten haben.

Auch der SPD fällt nicht viel mehr ein, als sich als kleineres Übel gegenüber dem Rechtsblock anzupreisen. Runde lässt seinen Innensenator Olaf Scholz einen harten Kurs fahren. Millionenbeträge für 63 zusätzliche Polizisten wurden im Sommer aus dem Hut gezaubert, die Drogenszene am Hauptbahnhof aufgemischt. Und seit den US-Attentaten hat Scholz noch einen Gang zugelegt. Er führte am Mittwoch als erster bundesdeutscher Innenminister die Rasterfahnung nach Muslimen ein, die polizeilich so unauffällig sind, dass gerade das sie verdächtig macht. Auch der Verfassungsschutz bekommt mehr Personal und bessere Technik.

Runde gibt derweil den Staatsmann, der über dem „Parteienhader“ schwebt. In einer fünftägigen Wahlkampfpause nach den Anschlägen in den USA trat er von Amts wegen als einziger Hamburger Politiker publikumswirksam auf. Gedenkveranstaltungen, Trauergottesdienste, Mahnwachen – überall litt der Regierungschef öffentlich „mit den Opfern und deren Angehörigen“, während die Konkurrenten schweigend und tatenlos danebenstanden. Morgen Abend sind aus den Wahlurnen erste Lehren zu ziehen.

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