Scheinreferenden vor Abschluss: Moskau droht wieder mit Atomwaffen
Der Kreml meldet erste Ergebnisse der Scheinreferenden in den Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja. Putin könnte schon am Freitag Anschluss der besetzten Gebiete an Russland verkünden.
Erwartet wird, dass Russlands Präsident Wladimir Putin schon am Freitag Teile der Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja zu russischem Staatsgebiet erklären könnte. Dann wäre die ukrainische Offensive zur weiteren Rückeroberung ihrer Gebiete nach russischer Lesart ein Angriff auf Russland.
Kiew will sich von den sogenannten Referenden in vier russisch kontrollierten Gebieten in der Ukraine zur Annexion durch Russland nach eigenen Angaben nicht beeinflussen lassen. „Diese Maßnahmen, diese Entscheidungen von Putin werden keinen Einfluss auf die Politik, Diplomatie und das Handeln der Ukraine auf dem Schlachtfeld haben“, sagte Kiews Außenminister Dmytro Kuleba am Dienstag auf einer Pressekonferenz.
Russland berichtet von fast 100 Prozent Zustimmung
Erste Ergebnisse der von Kiew und westlichen Staaten als „Schein-Referenden“ bezeichneten Abstimmungen lagen bereits am Dienstagnachmittag vor. Russischen Angaben zufolge stimmten in Cherson 96,97 Prozent für einen Anschluss an Russland, nach Auszählung von 14 Prozent der Stimmen. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur RIA. In Saporischschja seien es 98,19 Prozent, basierend auf 18 Prozent ausgezählter Stimmen. Aus Donezk und Luhansk berichtete RIA keine Zahlen. Die vier Regionen machen zusammen rund 15 Prozent des ukrainischen Territoriums aus.
Zu erwarten ist, dass ähnlich wie im Fall der von Russland 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim das Vorgehen Moskaus auch jetzt völkerrechtlich nicht anerkannt wird. Vielfach kam es während der insgesamt fünftägigen Voten zu Berichten, wonach eine geheime und freie Stimmabgabe nicht möglich war. Zu sehen waren etwa gläserne Urnen, Menschen wurden teils mit Gewalt zur Abgabe ihrer Stimme gezwungen. Viele Ukrainer, die in den besetzten Gebieten leben, ergriffen die Flucht, insofern ihnen dies möglich war.
Medwedew schrieb bei Telegram: „Angenommen, Russland ist gezwungen, die fürchterlichste Waffe gegen das ukrainische Regime einzusetzen, das eine schwere Aggression begangen hat, die für die Existenz unseres Staates gefährlich ist: Ich glaube, dass sich die Nato auch in dem Fall nicht direkt in den Konflikt einmischen würde. (…) Die Demagogen jenseits des Ozeans und in Europa werden nicht in einer nuklearen Apokalypse sterben.“ Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates,betonte: „Russland hat das Recht, Atomwaffen einzusetzen, wenn es nötig ist.“ Dies sei „sicher kein Bluff“. Ähnlich hatte sich vor einigen Tagen auch Putin geäußert.
Putin hat Rede vor Parlament angesetzt
Das britische Verteidigungsministerium verwies unterdessen darauf, dass Putin am Freitag eine Rede vor beiden Kammern des Moskauer Parlaments angesetzt habe. Dann könne er formell die Aufnahme der besetzten ukrainischen Gebiete in die Russische Föderation bekanntgeben. Dafür bestehe eine „realistische Möglichkeit“, hieß es im täglichen Lagebericht des Ministeriums, der sich auf Erkenntnisse des britischen Militärgeheimdienstes stützt. Keine der vier Regionen ist allerdings unter vollständiger Kontrolle der russischen Streitkräfte, was die Lage noch weiterverkomplizieren könnte.
Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak sagte in einem Interview mit der Schweizer Zeitung Blick, die Regierung bereite sich auf einen russischen Angriff mit Nuklearwaffen vor. Es liege aber vor allem in der Hand der Atommächte, die Regierung in Moskau von einem solchen Schritt abzuschrecken. Zugleich kündigte er an, dass Ukrainer, die die Russen bei den Referenden unterstützt hätten, wegen Hochverrats vor Gericht kämen. Ihnen drohe eine Haftstrafe von mindestens fünf Jahren. „Wir haben Listen mit Namen von Leuten, die darin irgendwie verwickelt waren“, sagte Podoljak.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein