Schauspielerin Ishema über Vielfalt: „Der Raum ist weiter geworden“
Lorna Ishema spielt in der ZDF-Serie „Der Überfall“ eine Schwarze Polizistin. Ein Gespräch über Repräsentation und das Gefühl, politisiert zu werden.
taz: Frau Ishema, Ihre neue Serie „Der Überfall“ ist eindeutig eine Ensemble-Geschichte, aber Ihre Figur ist darin so etwas wie das emotionale Zentrum und der Anker für das Publikum. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Arbeit als Schauspielerin?
Lorna Ishema: Das sind natürlich Aspekte, über die man sich Gedanken machen muss und sollte. Aber ein Ansatzpunkt in meiner Arbeit ist das für mich ehrlich gesagt nicht. Für mich ist es egal, wo in einer Geschichte sich meine Figur befindet. Ich gehe immer davon aus, dass sie im Mittelpunkt steht. Denn selbst wenn das nur eine Nebenrolle ist, will ich der Figur trotzdem so viel mitgeben, dass der Zuschauer dranbleiben und mehr wissen will.
Wo setzten Sie denn stattdessen an? Was reizte Sie an dieser Antonia Gebert?
Als ich die Anfrage für die Serie bekam, war das kurz nach dem ersten Lockdown 2020 und man wusste noch nicht genau, wo die Branche jetzt eigentlich hingeht. Bei mir war damals beruflich gerade sehr viel im Umbruch, während es gleichzeitig diesen Stillstand gab. Ich spürte eine seltsame, unbestimmte Sehnsucht nach Chaos – und da kam dieses Drehbuch gerade richtig. Denn die Geschichte ist vielschichtig, alle Figuren sind irgendwie chaotisch. Darauf hatte ich große Lust.
ist 33 Jahre alt. 2021 bekam sie die Lola für die beste weibliche Nebenrolle als Naomi in „Ivie wie Ivie“ – ein Film über die Identitätssuche zweier afrodeutscher Schwestern.
Chaotisches Innenleben hin oder her, Antonia sorgt auch für Ordnung, schließlich ist sie als Ermittlerin mit der Aufklärung des titelgebenden Überfalls betraut. Für Sie ist das nicht die erste Polizistinnen-Rolle, obwohl da im deutschen Fernsehen ja häufig die Klischee-Falle nicht weit weg ist, oder?
Natürlich habe ich mich vorab gefragt, wie ich diese Kommissarin porträtieren möchte und was es braucht, um ihr als dreidimensionaler Figur gerecht zu werden. Und ich bin sehr dankbar, dass es dafür seitens der Produktion und der Autor*innen eine Sensibilisierung und auch ein großes Interesse an Austausch gab. Denn so sehr ich Autor*innen dabei respektiere, ihre Geschichten zu erzählen, würde ich natürlich keinem Projekt zusagen, wo ich das Gefühl habe, ungesunde Bilder zu reproduzieren. Das war aber bei „Der Überfall“ nicht der Fall, und letztendlich habe ich für mich auch entschieden, dass es wichtig ist, mich in dieser Rolle zu zeigen. Dass jemand, der so aussieht wie ich, als Polizistin zu sehen ist.
„Der Überfall“, Fr., 21.15 Uhr, ZDF und in der ZDF-Mediathek
Haben Sie sich in der Vorbereitung damit auseinandergesetzt, wie es Schwarzen Frauen im deutschen Polizeidienst ergeht?
Ich habe in der Recherche in Deutschland nicht viele Frauen als Vorbild für die Rolle gefunden, und keine, die so aussieht wie Antonia. Wir haben für den Dreh dann aber mit echten Polizisten zusammengearbeitet, mit denen wir trainiert haben. Denen habe ich auch kritische Fragen gestellt, allerdings auch gemerkt, dass ich da an Grenzen stoße. Einfach weil die beiden Kollegen, die uns zur Seite gestellt wurden, zwar wirklich toll, aber eben auch weiß und männlich waren. Aber lustigerweise habe ich während der Vorbereitung tatsächlich zwei Mal Schwarze Polizistinnen gesehen. Das hat mir natürlich Mut gemacht. Einfach zu sehen: Es gibt sie und es lohnt sich, das auch im Fernsehen zu zeigen.
Sie haben gerade Ihre Mitstreiter*innen bei „Der Überfall“ für ihre Austauschbereitschaft gelobt. Ist allgemein in der deutschen Film- und Fernsehbranche die Offenheit für Kritik gewachsen? Hört man zu, wenn People of Color auf Elemente in Drehbüchern hinweisen, die man so nicht mehr erzählen kann?
Hm … Es hat sich schon einiges geändert, wenn ich daran denke, wie die Situation noch vor einigen Jahren war. Und ich glaube, dass eine Serie wie „Der Überfall“ vor fünf Jahren mit dieser Besetzung noch gar nicht möglich gewesen wäre. Der Raum, Dinge anzusprechen und abzuwägen, welche Worte man benutzen kann, um bestimmte Probleme zu beschreiben, ist weiter geworden, das merke ich schon. Nichtsdestotrotz ist das ein Prozess, in dem wir uns alle gerade befinden und der durchaus unangenehm ist. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, es immer gleich anzusprechen, wenn ich das Gefühl habe, bei meiner Figur Kompromisse zu machen. Diese Gespräche sind schwierig und nicht immer erfreulich, aber das ist mir egal. Ich denke auch nicht mehr darüber nach, wie weit wir schon sind oder was noch getan werden muss, sondern ich mache das einfach. Selbst, wenn ich gegen eine Wand renne.
Als 2020 die Serie „Breaking Even“ abgesetzt wurde, in der Sie eine Rechtsanwältin bei einem Automobilkonzern spielten, empfanden das viele als Rückschlag in Sachen Vielfalt im deutschen Fernsehen. Es gab sogar Petitionen für eine Fortsetzung. Wie haben Sie das Ende der Serie damals erlebt?
Der Wunsch, dass es weitergeht, war vielerorts da, und woran es am Ende genau gescheitert ist, müssten Sie die Produktion fragen. Ich bekam damals einen sehr netten und respektvollen Anruf, in dem mir mitgeteilt wurde, dass es keine weitere Staffel gibt. Und damit war die Sache für mich dann auch abgeschlossen. Was ja auch nichts daran ändert, dass das für mich eine sehr wichtige Arbeit war. Das war das erste Mal, dass ich als Schauspielerin das Gefühl hatte, auf Augenhöhe arbeiten zu können und ernst genommen zu werden. Ich habe da viel gelernt darüber, wie ich arbeiten und mich in meinem Job einbringen will.
Als Sie im vergangenen Herbst für „Ivie wie Ivie“ mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurden, sagten Sie in Ihrer Rede, dass Sie dort nicht nur für sich alleine stehen. Und in der Tat sind Sie als Schwarze Schauspielerin in Deutschland heute für andere das Vorbild, das Sie selbst nie hatten. Wie sehr beschäftigt Sie diese Funktion?
Ich kann es mir nicht aussuchen, politisiert zu werden, deswegen muss ich mich mit dieser Position, die mir da zugeschrieben wird, zwangsläufig auseinandersetzen. Aber für mich ist das Wichtigste einfach, dass ich meinen Job gut und leidenschaftlich mache. Dass das darüber hinaus noch eine andere Strahlkraft hat, passiert zwangsläufig. Doch ich würde meiner Arbeit und meinen Figuren nicht gerecht werden, wenn ich zuallererst darüber nachdenken würde. Denn ich als Privatperson gucke ja auch nicht jeden Morgen in den Spiegel und denke: huch, oh mein Gott! Schwarz zu sein ist meine Realität, ich liebe es, würde aber fast behaupten, dass dies das Uninteressanteste an meiner Person ist. Mir geht es um einen selbstverständlichen Umgang damit. Da muss ich bei mir selbst anfangen.
Letzte Frage noch, mit Blick auf Vielfalt und Repräsentation auch hinter der Kamera. In den USA wird auch diskutiert, dass etwa Beleuchter*innen oder Maskenbildner*innen sich nur mit weißen Schauspieler*innen auskennen. Ist das inzwischen auch hierzulande Thema?
Angekommen ist die Diskussion bei uns definitiv, auch wenn da noch Normalität und ein Selbstverständnis reinmüssen. Sind wir an einem Punkt, der für 2022 angemessen wäre? Sicherlich nicht. Aber ich merke, dass wir uns auf einem Weg befinden und es eine Bereitschaft zur Veränderung gibt. Das stimmt mich positiv. Ohnehin gucke ich lieber dorthin, wo sich etwas tut und ich meine Energie sinnvoll einsetzen kann, als auf Dinge, die nicht funktionieren. Denn ich sehe mich nicht in der Verantwortung, aufzuräumen.
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