Schauspielerin Jella Haase: „Wir brauchen einfach Anarchie“
Als Chantal im Film „Fuck ju Göhte“ wurde Jella Haase 2013 bekannt. In „Chantal im Märchenland“ kehrt sie in die alte Rolle zurück. Warum tut sie das?
Leicht verspätet und mit schwarzer Sonnenbrille betritt Jella Haase am späten Vormittag die Zoo Loge – ein Café im Kino Zoopalast in Berlin-Charlottenburg. Hier sind wir in der Premierenwoche von „Chantal im Märchenland“ zum Interview verabredet. Die Komödie ist ein Spin-Off von „Fuck Ju Göhte“, in der aus der Hauptschülerin aus der 10b eine Möchtegern-Influencerin geworden ist, die versehentlich in der Grimm ’schen Märchenwelt landet. Beim Eintreffen entschuldigt sich Haase für die Sonnenbrille, die Nacht sei kurz gewesen. Zur Begrüßung fragt sie mich. „Kennen wir uns? Ich glaub, ich habe dich schon einmal gesehen.“ Wir kennen uns nicht, aber bleiben beim Du.
taz: „Fack ju Göhte“ war 2013 ein Überraschungserfolg. Aus heutiger Sicht ist der Film auch wegen sexistischer Witze nicht gut gealtert. Wieso hast du dich entschieden trotzdem zur Rolle Chantal zurückzukehren, Jella?
geboren 1992, hat in über 50 Kino-, Fernseh- und Serienproduktionen mitgespielt. Von 2019 bis 2021 war sie Teil des Ensembles der Berliner Volksbühne.
Jella Haase: Mittlerweile hat sich die Gesellschaft verändert, man muss Witze anders erzählen. Zum Glück. Aber dass es bei „Chantal im Märchenland“ klappt, da habe ich mir weniger Sorgen gemacht.
Wieso?
Bora (Anmerkung d. R.: Der Regisseur Bora Dagtekin) hat sein ganzes Herzblut reingesteckt und wir haben in der Entstehungszeit sehr viel gesprochen. Er weiß, wofür ich stehe und womit ich mich privat auseinandersetze. Deswegen war von Anfang an klar, dass wir Chantal in einen neuen Kontext setzen. Nämlich in einen feministischen, der im besten Fall empowernd ist. Für mich war es ein richtiger Befreiungsschlag zu der Figur zurückzukommen. Immer wieder haben Menschen zu mir gesagt: „Ach, Frau Haase, jetzt haben Sie sich endlich freigespielt von Chantal.“ Und ich dachte immer: Freigespielt? Wovon denn? Es wurde mir immer angedichtet, dass ich Probleme mit der Figur hätte und mich davon emanzipieren müsste. Und genau deswegen habe ich mich gefreut, mit ihr zurückzukommen.
Trotzdem könnte man sagen, dass Chantal eine stereotype Darstellung einer jungen Frau aus der Unterschicht ist.
Der Film spielt natürlich mit Klischees, aber das ist ja auch der Reiz. Und die Darstellung von Chantal finde ich extrem vielschichtig. Dem Film gelingt, ganz viel Wahrheit in eine komödiantische Erzählung zu verpacken, ohne dass es platt oder stereotyp wird. Außerdem gefällt mir, eine vermeintlich „dumme“ Person, also eine junge Frau aus einer bildungsferneren Schicht oder aus ärmerem Milieu, eine Heldinnengeschichte zu geben.
Du bedienst verschiedene Genres: Spielst am Theater, in Serien, Kurz- und Langfilmen – aber fast immer eine Heldinnenfigur. Suchst du dir die gezielt aus?
Das sind die Rollen, die mir angeboten werden oder für die ich auch zum Casting gehen muss. Die zu mir kommen, die ich mir aber natürlich auch dann gezielt aussuche. Und auch die die mir Spaß machen. Bei „Chantal“ habe ich mich im Vorhinein gefragt: Was will ich eigentlich mit diesem Film? Mein Wunsch war, und das klingt jetzt vielleicht abgedroschen, dass die Leute einfach kurz fröhlich sind. Dass sie den Alltag und diese krisenbehaftete Welt vergessen und lachen können. Auch „Fack ju Göhte“ war damals so erfolgreich, weil der Film sich etwas getraut hat und keine Angst davor hatte, derbe zu sein. Das wollten wir jetzt auch und mussten dafür viel diskutieren.
Worüber man noch lachen darf?
Darum hat Bora sich nie geschert. Er sagt: Wir dürfen über alles lachen. Und das Schöne ist ja, in dem Film bekommt jede Figur und Gruppe ihr Fett weg. Gerade jetzt, wo alles so starr und eng wird, dürfen wir den Humor nicht verlieren, aber wir wollen natürlich auch nicht diskriminieren. Wir sind also irgendwie politisch korrekt – aber irgendwie auch nicht. Wir wollten das Gleichgewicht für unsere sehr sensibilisierte Gesellschaft finden und trotzdem noch lustig sein. Gleichzeitig hat der Film natürlich eine absolute Tiefe, setzt auf eine Diversität und neue Rollenbilder und hat eine wichtige Message.
Die wichtigste ist wohl der Wert von Freund_innenschaft. Aber auch das Thema Social Media ist sehr präsent. Der Film wirkt wie eine Warnung vor Instagram & Co.
Aber mit erhobenen Stinkefinger statt mit einem Zeigefinger. Ich persönlich finde das Thema superwichtig. Wir lassen uns im Internet zuspammen und unsere Aufmerksamkeitsspanne schrumpft. Erst bei der Premiere ist mir noch einmal klar geworden, wie Chantal sich eigentlich permanent selbst inszeniert, sich ständig filmt und alles ins Internet stellt. Das ist doch gruselig.
Hast du als Schauspielerin nie Druck verspürt, dich bei Instagram und Co selbst zu vermarkten?
Doch schon. Als der erste „Fack ju Göhte“ raus kam, wurde uns geraten ein Facebook-Profil anzulegen. Und Bora – man muss wirklich sagen, dass er ein Marketing-Genie ist – war der Erste, der in Deutschland eine virale Werbekampagne gestartet hat mit Videos, die extra für Facebook und Youtube produziert wurden. Ich hatte damals gar keinen Bock drauf. Doch dann ist das über Nacht explodiert, auf einmal hatte ich 10.000 Follower mehr. Und jetzt sind solche Kampagnen ja ganz normal. Aber ich selbst schmeiß die App immer wieder runter, wenn ich merke, dass ich zu viel Zeit damit verbringe.
Die Selbstinszenierung ist das eine, aber über die werden ja auch ständig Fremdzuschreibungen veröffentlicht. Hast du dann nicht das Bedürfnis, das richtigzustellen: Wie als du als RAF-Unterstützerin dargestellt wurdest?
Da muss ich mich erst mal nachträglich bei euch bedanken. Shoutout an die taz, dass ihr damals richtiggestellt habt, was ich gesagt habe. In den meisten Fällen ist es mir egal, was über mich geschrieben wird, außer es verletzt wirklich meine Privatsphäre, dann gehe ich auch hart dagegen vor.
Eine zweite Message des Filmes ist: Die Welt wäre eine bessere, wenn sie von Frauen regiert wird. Stimmst du der Aussage zu?
Ja, ich glaube schon. Natürlich gibt es auch anstrengende und schwierige Frauen, aber grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass wir feinfühliger miteinander umgehen, besser kommunizieren und es weniger um den eigenen Machterhalt geht. Es wäre schon interessant, was passieren würde, wenn man den Spieß umdrehen würde und aus dem Patriarchat ein Matriarchat machen würde. Was wäre, wenn Eva und Adam die Rollen getauscht hätten? Gott wäre eine Frau gewesen, es wären Jahrtausende Frauen an der Macht gewesen, die Männer unterdrückt hätten. Letztlich glaube ich: Macht ist das Grundproblem. Und das ist vielleicht gar nicht an Gender gebunden. Wir brauchen einfach Anarchie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen