Schauspielerin Helga Feddersen: Spaß und Sinn
Vor 30 Jahren starb Helga Feddersen. Wer sich ihrem Werk heute nähert, kann eine grandiose realistische Künstlerin entdecken.
Wie kann dieser Text hier begonnen werden? Wie kann an eine Frau erinnert, wie sie gewürdigt werden, die über viele Jahre im deutschen Fernsehen sehr präsent war? Über deren Prunkstück, das von ihr geschriebene Fernsehspiel „Vier Stunden von Elbe 1“, Sven Regener von Element of Crime 1991 ein Lied mitgeschrieben hat, wenige Monate nach ihrem Tod vor 30 Jahren, ein Stück Ultrawehmut. Von dem Regener beteuert, es handele sich nicht um Grabpflege für die Frau, der er denn doch einen Nachruf mitgegeben hat, der fast für die Ewigkeit taugt: „Drüben am Horizont verschwindet eine Landschaft / Ein Schnitt in die Brust ist der Abschied, / doch diesmal fällt er aus / Ich will mehr für dich sein als eine Schleusenbekanntschaft.“
Ja, und was ist das nun – mit Helga Feddersen? Ist es ein Artikel, der nötig ist, weil Autor und Erinnerte den gleichen Familiennamen tragen? Das war mir immer nur eine Kuriosität einer, geprüft in vielen Kirchentaufregistern bis ins Dithmarschische, nicht vorhandenen Verwandtschaft – egal. Der Jahrestag selbst kann auch kein Anlass sein: Machen wir eigentlich fast nie, zu Todestagen im niedrigen zweistelligen Bereich Nachrufe, das ist noch nicht lang genug her.
Kürzlich zeigte der manchmal jahrestagbewusste NDR eine Dokumentation über sie unter dem Titel „Eine norddeutsche Ulknudel“, die viel bessere Langfassung findet man auf Youtube. „Ulknudel“: Was nur eine mediengerechte Markierung ist, das klingt auch ein wenig herablassend, irgendwie auch wie „kulturell unzurechnungsfähig“, aber als solche kannte sie eben ein Millionenpublikum, sie fühlte sich keineswegs in diesen eher komödiantischen Parts falsch gesehen – so von wegen: Ich bin doch eine ernsthafte Schauspielerin, reduziert mich doch nicht auf U, also auf das künstlerisch Falsche.
Sie sei weder E noch U, mehr Ü, sagte sie in einer Talkshow in den Achtzigern – was auch immer sie mit dieser gekreuzten Buchstabenidentität sagen wollte. Vielleicht dies: Ich wollte Schauspielerin werden, auf der Bühne stehen, mich nicht kleinkriegen lassen, ich wollte Spaß und Sinn, also habe ich gekämpft um alle Gelegenheiten.
Drastische Zeitkritik
Und es waren ja auch keine schlechten, nur eben keine, die den Hunger der Kulturreligiösen nach Erhabenheit hätte stillen können: Gigs der schlagereskesten Art mit Didi Hallervorden („Die Wanne ist voll“, derb bis vollhorstig), Sketche mit Karl Dall und vor allem die „Plattenküche“ mit Frank Zander, mit ihm auch das scharfe Witzformat „Abramakabra“, gegen das heutiges Kabarett, und sei es von Jan Böhmermann oder Anke Engelke, eher gefönt, sittsam und viel zu cool sich ausnimmt: Zeitgeistkritik des drastischen, manchmal brutalen Strickmusters.
1930 geboren in Hamburg, Tochter in einem Seemannsausrüstungsgeschäft, kein bildungsbürgerlicher Hintergrund, Schauspielschule 1950, erste kleine Rollen, nie eine im Mittelpunkt, dafür Kleines, aber Beeindruckendes in zwei „Stahlnetz“-Folgen („Haus an der Stör“), der ARD-Serie vor dem „Tatort“, hier und da kleinere Auftritte, auch in der Verfilmung von Thomas Manns „Buddenbrooks“ 1959, es war alles dabei – von, allerdings nie körperlich nackt, Softpornostreifen bis zu Peter Weiss’ TV-Verfilmung 1967 von „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“.
Sie hätte immer gern, sagte sie, etwas von Maria Schell gehabt oder von Ruth Leuwerik, den weiblichen Stars der fünfziger Jahre, diese gewisse Art, die das Publikum im Wirtschaftswundertraumkino an Frauen so begehrte, das Romantische, Leidende, Zurückgenommene, wie durch Tabletten trancierte Gestalten, kaum zu eigenverantwortlichem Handeln fähig und es auch nicht wollend.
Helga Feddersen hatte indes, ihrem Manko, zum Seelchen oder zur patenten Geliebten nicht taugend, zum Trotz, auch eine tatsächliche, sehr persönliche Tragödie zu verkraften. Mitte der Fünfziger stellte sich ein Geschwür am Hals als ein Tumor heraus, der zwar herausoperiert werden konnte, erfolgreich, aber ihre Gesichtsnerven schädigte. Freilich: ein schiefes Gesicht, wie sie selbst sagte, ist an ihr nicht zu erkennen – aber das Selbstbild, das schien ein anderes.
Frauen, dämonisiert
Ich ging, erzählte sie einmal, immer mit etwas gesenktem Kopf, damit meine lange Nase und mein Gesicht immer etwas im Schatten blieben. Dabei sah es immer interessant aus, mimisch feinsinnig und gestisch eher, was nur für sie sprach, sparsam posierend. Man möchte sie sich unbedingt in einer Rolle vorstellen, in der sie eine Mörderin gibt, die nicht resozialisierbar ist, weil sie die Tat, etwa die Tötung des eigenen Ehemannes, nicht bereuen will. Auch das hätte sie gekonnt, aber das Böse war im deutschen Film, gleich wo, bei Frauen immer schon nur dämonisiert denkbar, nicht als Haltung des Eigenen und zur Bewältigung von Realität.
Mitte der sechziger Jahren heiratete sie („Ich war bis dahin Junggesellin, wenn auch keine Jungfrau“) den NDR-TV-Dramaturgen Götz Kozuszek. Er ermunterte sie, ein weiteres ihrer Talente zur Welt bringen, das der Autorinnenschaft. Heraus kam 1968 der Auftakt der TV-Legende „4 Stunden von Elbe 1'“. Eine verwickelte Geschichte um das Leben von Menschen rund um den Lotsenstützpunkt an der Elbe bei Brunsbüttel, besser: um Seefahrerfrauen, die auf ihre Männer warten. Diese drei Filme (es folgten noch „Gezeiten“ und „Im Fahrwasser“), zwei davon von der Doku-Gottheit Eberhard Fechner verfilmt, mögen zunächst nostalgische Gefühle wecken: Ach, guck mal, so war Fernsehen früher – und wie nett, die Nordsee … und all die Schiffe.
Um es apodiktischer zu formulieren: Alle drei Teile sind im Grunde Frauenfilme, Stücke, in denen Frauen überhaupt ernstzunehmende, nicht nur männerwartende Rollen spielen, in denen sie eigene Handlungsmöglichkeiten haben und sie auch realisieren; es sind Filme, in denen Frauen überhaupt – und das war die Zeit, als das Wort „Feminismus“ nicht einmal existierte – mehr als nur Nelkenbouquetempfängerinnen waren.
„Vier Stunden von ‚Elbe 1‘“ (auf DVD inzwischen erhältlich) war ästhetisch näher an Rainer Werner Fassbinders bester Arbeit „Acht Stunden sind kein Tag“ dran, verwandte mit den proletariatsorientierten Arbeiten des Briten Ken Loach, allerdings ohne dessen Kitschappeal: Menschen, die, so fühlt es sich an, echtes Blut in sich pulsieren haben, nicht nur das künstliche wie aus der TV-Konfektion nach öffentlich-rechtlichen Gnaden oder den grellen Apokalypsen, die der „Tatort“ Sonntag für Sonntag serviert: Mittelschichtsdramalotte mit dramaturgisch hohem Erwartbarkeitslevel. Die Helga-Feddersen-Stücke sind, so gesehen, Beispiele für ein erzählerisches Fernsehen, das auch sprachlich das Proletarisch-Kleinbürgerliche weder durch Gutmütigkeit noch durch Dämonisierung verrät.
Ohne Dünkel
Die Autorin mochte die Leute, über die sie schrieb, prinzipiell, ohne Dünkel. Kaum erstaunlich, dass ihre sprachlich akkurat entworfenen Arbeiten nicht Gegenstand seriöser TV-Diskurse waren: Das war weder low noch high, auch nicht vom Appeal der späteren „Lindenstraße“, opfer- und empörbereit im Dauerlauf.
Fernsehsprache wurde mehr und mehr, heutzutage auch in puncto Ausstattung, zu einer der besseren, aufgestiegenen Kreise: Gelacktheit durchweg. Helga Feddersen blieb irgendwie die Frau der Nebenrollen, die sich mal aufs Parkett der Drehbuchschreiberei wagte. Dabei hatte sie nicht einmal mitspielen sollen, in der Rolle der sitzengelassenen Verkäuferin: Sie sei nicht schön genug, hieß es seitens der Produktion. Und sie setzte sich resolut durch: „Was heißt – nicht schön genug? Haben Sie sich mal draußen umgeguckt, wie die Leute aussehen, die solche Arbeit machen?“ Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Fassbinder, der sie heftig schätzte, setzte sie 1981 in seinem Film „Lola“ ein, als Behördensekretärin Fräulein Hettich an der Seite Armin Müller-Stahls. Eine Paradenebenrolle in flamboyantesten Fummeln, auch dieses Wiedergucken lohnt: Da spielte eine, die sich mochte, die in ihrer Haut sich wohlzufühlen schien – es hat für Frauen ihrer Generation, wie bei ihr selbst, glücklicher Umstände bedurft, sich nicht als weibliche Wesen abzulehnen.
Am 24. November 1990 starb Helga Feddersen an den Folgen einer Krebserkrankung, im Alter von eben gerade 60 Jahren.
Mit Dank an den Historiker Jan Gympel für die vielen Hinweise.
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