Schauprozess in Vietnam: Ihr Verbrechen heißt Journalismus
In Hanoi wird zwei in Deutschland lebenden Publizisten der Prozess gemacht. Auch drei weiteren Männern in Vietnam drohen hohe Haftstrafen.
Am 31. Dezember finden vor dem Volksgericht in Hanoi zwei Schauprozesse gegen zwei in Deutschland lebende vietnamesische Publizisten in Abwesenheit statt. Ihnen wird nach Paragraf 117 des vietnamesischen Strafgesetzbuches „das Verbrechen der Herstellung, Speicherung, Verbreitung oder Weitergabe von Informationen, Dokumenten und Gegenständen gegen die Sozialistische Republik Vietnam“ vorgeworfen. Gemeint ist damit ihre publizistische Tätigkeit.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ steht Vietnam auf Platz 173 von 180 Staaten. Nach internen Informationen hat Hanoi noch nicht über einen Antrag der deutschen Botschaft entschieden, Prozessbeobachter zu den Prozessen in Hanoi gegen die beiden in Deutschland lebenden Männer zuzulassen.
Angeklagt ist Nguyen Van Dai, der wohl prominenteste vietnamesische Dissident. Der 56-jährige Rechtsanwalt saß wegen seiner oppositionellen und anwaltlichen Tätigkeit mehrmals in Vietnam in Haft. 2018 wurden ihm mehr als zehn Jahre Haft entlassen, er durfte nach Deutschland ausreisen. Das war ein Zugeständnis Hanois an die Bundesregierung, die seine Freilassung vehement gefordert hatte.
Doch jetzt will Hanoi ihn wiederhaben und inhaftieren. Dai publiziert von Hessen aus viel auf Facebook und er ist mit vietnamesischen Oppositionspolitikern in aller Welt vernetzt.
Gegenöffentlichkeit aus Deutschland
Der zweite Angeklagte, Trung Khoa Le, ist Journalist, lebt seit 1993 in Deutschland und betreibt von Berlin aus das reichweitenstarke Onlinemagazin Thoibao.de (Die Zeit). Er besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, Hanoi hat ihn jedoch aus der vietnamesischen nicht entlassen. Somit sieht Hanoi ihn als vietnamesischen Staatsbürger an.
Sein Medium berichtet über Politik und Wirtschaft in Vietnam, ist Teil der Gegenöffentlichkeit zu den staatlich zensierten Medien in Vietnam und steht darum seit 2017 in Vietnam hinter einer Firewall. Seit diesem Monat hat Hanoi mithilfe des Meta-Konzerns auch die Facebookseiten von Thoibao.de für Vietnam gesperrt.
Mit angeklagt sind in Vietnam auch drei Männer, von denen die vietnamesische Justiz behauptet, sie seien Mitarbeiter von Thoibao.de. Sie sind inhaftiert, ihnen drohen Haftstrafen bis zu 20 Jahren wegen ihrer tatsächlichen oder behaupteten journalistischen Tätigkeit. Einen der Männer kennt Chefredakteur Le nicht einmal. Ein weiterer, Do Van Nga, hat von Thailand aus als Journalist für ihn gearbeitet. Vietnamesischen Medien zufolge soll er ein umfassendes Geständnis abgelegt haben. Fotos in vietnamesischen Medien zeigen deutlich, dass er in der Haft unter Drogen gesetzt wurde.
Bei dem dritten Mann, Huynh Bao Duc, fürchtet seine in Australien lebende Familie, er werde gefoltert und sei von der Folter entstellt. Denn anders als von den beiden anderen Inhaftierten haben vietnamesische Medien von ihm noch keine Fotos aus der Haft gezeigt.
Laut der vietnamesischen Verfassung ein Recht
„Ich werde wegen eines erfundenen Verbrechens angeklagt“, schreibt der Menschenrechtler Nguyen Dai aus Hessen in einem offenen Brief. „Ich erkläre: Ich bin unschuldig! Es liegt nicht daran, dass ich meine Taten leugne – Artikel zu schreiben, Reden zu halten, Dokumente zu teilen, die Korruption, Diktatur und Ungerechtigkeit anprangern.“
Vielmehr sei dies in der vietnamesischen Verfassung als Recht garantiert. „Der UN-Menschenrechtsausschuss hat ähnliche Strafverfolgungen in Vietnam bereits hunderte Male als Menschenrechtsverletzungen verurteilt.“ Da er und der Berliner Le durch Entführung nach Vietnam bedroht sind, stehen seit diesem Monat ständig Polizeiautos vor ihren Wohnungen und Büros.
Die vietnamesische Nachrichtenagentur VNA fordert die Bundesregierung auf, beide Männer auszuliefern und den Betrieb des Berliner Onlinemediums Thoibao.de zu unterbinden. Die Nichtauslieferung beeinträchtige „die diplomatischen Beziehungen zu Vietnam und zeugt von mangelndem Respekt vor Souveränität und gutem Willen in den internationalen Beziehungen“, schreibt sie. „Vietnam und die Bundesrepublik Deutschland unterhalten eine strategische Partnerschaft. Die jüngsten Verstöße gegen vietnamesisches Strafrecht im Internet durch Trung Khoa Le und Nguyen Van Dai könnten die guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern gefährden.“
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es dazu: „Der Sachverhalt ist dem Auswärtigen Amt bekannt. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Die Bundesregierung verdeutlicht dies gegenüber der vietnamesischen Seite auf unterschiedlichsten Ebenen.“
Transparenzhinweis: Die Autorin ist auch für das Medium Thoibao.de tätig.
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