piwik no script img

Schau über Elsa Schiaparelli in ParisMode der Metamorphosen

In Paris entwickelte Elsa Schiaparelli ihre Mode der prächtigen Verwandlungen. Das Musée des Arts Décoratifs stellt sie vor.

Blick in die Ausstellung „Shocking! The Surrealist World of Elsa Schiaparelli“ Foto: Musée Les Arts Décoratifs/Christophe Dellière

Der bodenlange, weit ausschwingende rote Seidenrock und die eng geschnittene marineblaue Jacke, auf der gülden die mächtige Friedenstaube prunkt: Sofort erinnert man Lady Gaga bei der Amtseinführung von Joe ­Biden am 20. Januar 2021. Mit dem spektakulären Ensemble steht plötzlich die Politik im Raum. Wo es doch im Pariser Musée des Arts Décoratifs (MAD) um Mode geht, auf gleich zwei Etagen, in der Ausstellung „Shocking! Les Mondes Surréalistes d’Elsa Schia­parelli“.

Doch mit Lady Gagas Outfit sind die bösartigen Auseinandersetzungen des amerikanischen Wahlkampfs wieder da. Die Erstürmung des Kapitols durch einen Mob am 6. Januar hallte zum Zeitpunkt der Inauguration noch nach: Die fabelhafte Robe, die Daniel Roseberry – der das Label Schiaparelli in den letzten drei Jahren als Krea­tiv­direktor wieder wach küsste – Lady Gaga auf den Leib schneiderte, ist nicht nur extravagant, sondern dazu kugelsicher.

Politik ist in dieser Ausstellung auch sonst im Spiel. Ohne den Scheck über 1 Million Euro von Marina Kellen French wäre die Ausstellung nicht denkbar. Er finanzierte die notwendige Restaurierung der sechstausend Zeichnungen und zahlreichen Kleider von Schia­pa­relli in der Sammlung des Pariser Museums. Die amerikanische Millionärin ist die Erbin des 1864 in Dresden gegründeten und 2015 an den Investmentfonds Blackstone verkauften Bankhauses Arnhold.

Zur der Zeit, als Elsa Schiaparellis Karriere als Modemacherin in der Mitte der 1930er Jahre ihren Höhepunkt erreichte, sahen sich Kellen Frenchs Großeltern Hans und Ludmilla Arnhold gezwungen, aus Berlin nach Paris zu emigrieren und schließlich weiter nach New York – wohin sich 1940 auch Elsa Schiaparelli für die nächsten fünf Jahre in Sicherheit brachte. Man wird aber kaum falsch liegen mit der Annahme, dass Großmutter Ludmilla Arnhold in der Pariser Zeit eher Chanel als Schia­pa­relli trug. Chanels Mode ist minimalistisch, konstruktivistisch, funktional, dezent, Design darf nicht auffallen. Schia­pa­rellis Mode ist spektakulär. Sie ist dem Auftritt gewidmet, dem Eklat.

Elsa Schiaparelli kommt aus einer römischen Familie von Gelehrten, ihr Vater ist Spezialist für islamische Kultur, ihr Onkel ein berühmter Astronom. Ihre Kindheit ist träumerisch, sie schreibt romantische Gedichte, deren erotische Direktheit den Eltern die Schamröte ins Gesicht treibt. 1911 geht die 21-jährige nach London, taucht in spiritistisch-theosophische Kreise ein, verliebt sich in den adligen Theosophen Willie Wendt de Kerlor und heiratet ihn.

Die Ausstellung

„Shocking! Les Mondes Surréalistes d’Elsa Schiaparelli“ im Musée des Arts Décoratifs Paris. Bis 22. Januar 2023

Mit Amerikanerinnen nach Paris

Das Paar zieht nach Amerika, wohnt in New York und Boston. 1920 wird ihre Tochter geboren: Maria Luisa Yvonne Radha de Kerlor, kurz Gogo. Eine Scheidung, ein Sommer in Woodstock und der enge Kontakt mit zwei anderen geschiedenen, alleinerziehenden Müttern – Gabriele Buffet-Picabia, die Ex-Frau Francis Picabias, und Blanche Hays, die Ex-Frau eines berühmten amerikanischen Anwalts – verändern Elsas Leben. Hays lädt sie 1922 ein, nach Paris zu fahren.

Dort ist die Lage die: Man wohnt mit Blanche Hays und ihrer Tochter in einer WG, bald zieht aus Amerika auch Edna Hartley nach, eine Amerikanerin, die Kostümbildnerin und Modejournalistin werden will und in der gleichen Situation ist wie Schiaparelli und Hays. Aber Hartley hat Geld und kauft eines Tages ein kleines Modehaus, für das Schiaparelli 1926 eine Kollektion entwerfen soll: „für Sport, untertags und für den Abend“.

In der Umgebung aber brodelt es: Der Surrealismus, diese umfassende künstlerische, kulturelle, politische Bewegung, steht in seinen Anfängen. Zur gleichen Zeit kommen Marcel Duchamp und Man Ray in Paris an, die Schiaparelli schon in New York kennenlernte, in der präsurrealistischen „Societé Anonyme, Inc.“, und schließlich begegnet sie in Paris dem „Leo­nar­do der Mode“: Paul Poiret.

Nach einem Jahr verkauft Hartley die kleine Modeklitsche und Schiaparelli muss sich selbstständig machen. Der Anfang ist so einfach wie spektakulär: ein Pullover mit Trompe-l’œil-Muster, Kragen und weiße Schleife sind eingestrickt. Frauen aus der armenischen Diaspora in der Nachbarschaft fertigen den Pullover für Elsa per Hand in einer traditionellen Jacquard-Technik. Er hält, durch die besondere Strickart, die Form, im Unterschied zu vielen anderen kommerziellen Produkten der Zeit.

Das Motiv schlägt ein. Sofort interessieren sich amerikanische Sportmodehersteller für das Ding, Galerie Lafayette steigt ein und fängt an, den Pullover in vielen verschiedenen Farben, verschiedenen Schleifen, Mustern, mit der Maschine oder per Hand, auf Masse oder exklusiv, in allen Qualitäten zu stricken. Der Pullover ist ein Renner. Aber bald gibt Schiaparelli die Sportmode auf.

Elsa Schiaparelli tanzt mit einem Mann, der eine Schiaparelli-Jacke trägt, auf einem Ball 1952 Foto: Nepo Arik/Elisa Schiaparelli SAS/Musée de la Mode

Sie stürzt sich in die Welt des Surrealismus

Sie stürzt sich in die Welt des Pariser Surrealismus, jene Welt jenseits der realen Welt, die überreale Welt, die realere Realität, nicht theosophisch, sondern materialistisch im Kleinsten, Niedersten das Realere suchend, und seien es die unfreiwilligen Kunstformen einer ausgedrückten Zahnpastatube. Seit ihren Anfängen in der WG und im Unterschied zu vielen anderen De­si­gne­r*in­nen kooperiert Schiaparelli. Nun mit den Künstlern: Man Ray, Salvador Dalí, Jean Cocteau, Alberto Giacometti.

Letzterer entwirft Knöpfe, Meret Oppenheim den berühmten Armreif mit Pelz, Leonor Fini gestaltet den Flakon für das Parfum „Shocking“ als weibliche Silhouette, Dalí entwirft Outfits und schenkt ihr Bilder, Elsa Trio­let, der Frau des Dichters Louis Aragon, macht Halsketten in Form von Aspirintabletten.

Schiaparellis Botschaft: Mode, das ist die auf Schönheit kalkulierte Täuschung, der große Auftritt, die Parade, das Erscheinen und Sichzeigen. Die Surrealisten – Dalí, Man Ray oder der Philosoph einer surrealistischen Biologie, Roger Caillois – finden das auch in den spektakulären Erscheinungsweisen der Tierwelt, vor allem bei den Insekten.

Viele ihrer Outfits sind mit Schmetterlingen besetzt, Käfer erscheinen als Broschen

Ihre Schreckaugen, symmetrischen Zeichnungen in allen Farben und Formen, ihre Fähigkeit, zu täuschen, sich zu verkleiden, zu verstecken und wieder hervorzuschießen, sind oft Thema von Bildern und Texten der surrealistischen Zeitschrift Minotaure (seit 1933), in der sich immer wieder Kopfbedeckungen, Outfits und Porträts von Schiaparelli abgebildet finden.

Fasziniert von der Verwandlung

Viele ihrer Outfits sind mit Schmetterlingen besetzt, Käfer stecken als Broschen am Kragen (Herbst 1938), ein weißes Kleid ist ganz mit zahllosen Schmetterlingen bedruckt, darüber ein Gazé-Überwurf wie ein Schmetterlingsnetz (Juli 1937). Schiaparelli ist fasziniert von der Metamorphose. Wie bei Ovid die Menschen verwandelt sich bei ihr ein Cape in einen dichten Umhang aus hell- und dunkelgrünen Blättern (Herbst 1938), ein Crêpe-Stoff wird zur Baumrinde und im Frühjahr 1938 ist eine ganze Kollektion „Paienne“, in der Ausstellung wird sie präsentiert als: „Sous les ailes de Pan“.

Tragendes Medium von Schia­pa­rellis surrealistischen Transformationen ist die Stickerei, la broderie. Niemand hat sie zu so prachtvoller Entfaltung gesteigert. Auch dies ist eine Kooperation: 1934 lernt Schiaparelli Albert et Marie-Luise Lesage kennen, deren 1924 gegründetes Maison Lesage eine der bekanntesten Firmen Frankreichs für die Stickerei ist. Schiaparelli fragt, ob Lesage ihr einen Gürtel besticken könne.

Und schon ab Winter 1936 breitet sich die Broderie überall in ihren Kollektionen aus, bis hin zu den letzten Kollektionen nach dem Krieg (Lesage wird inzwischen geführt von Sohn François): Westen mit Palmen, gestickt aus Pailletten, Blumenstickereien, Rosen aus Taftbändern, zweimal fünf gestickte Zirkuspferde mit Kopfschmuck aus der Kollektion „Cirque“ oder der berühmte „Boléro du soir“ für Helena Rubinstein. Mit seinen gestickten Zirkuselefanten und TrapezkünstlerInnen an geflochteten Ketten ist er ein Kleidungsstück auf der Schwelle zum Schmuckstück.

Grenzgängerisch auch jene riesige Sonne mit Relief-Gesicht, gestickt aus Pailletten auf einer Weste in Schiaparellis Lieblingsfarbe Shocking Pink: das berühmte Cape Phoebus und sein Gegenstück Cape Neptune. In Cape Neptune hatte der Fotograf Cecil Beaton 1937 Lady Mendl fotografiert: the best dressed woman in the world und Amerikas führende Innenarchitektin, die in den 1930er Jahren die Villa Trianon in Versailles erwarb und renovierte. Man sieht sie bei Beaton hinter der goldenen Figur eines schwarzen Dieners zwischen barocken Spiegeln.

Zwischen den Spiegeln von Versailles

Schiaparellis Surrealismus taucht hier ganz in die französische Geschichte ein: in die Pracht von Versailles mit großen Spiegeln in schweren goldenen Rahmen, und die zahllosen Trompe-l’œils des französischen Rokoko. Aber Schiaparelli füllt den Rahmen anders aus. Mit jener Jacke etwa, entstanden aus einer Zeichnung Jean Cocteaus: Der rechte Ärmel einer schlichten grauen Leinenjacke ist dicht mit wellenartigen Strukturen bestickt, die glänzend den ganzen Arm umschlingen.

Geht der Blick hinauf zur rechten Schulter, entpuppen sich die Wellenlinien als die Haare eines Frauengesichts, dessen Silhouette in goldenen Konturen auf die rechte Jackenhälfte gestickt ist, die Lippen rot, das Auge schwarz. Dieses Profil schmiegt sich dann der Leiste dieser Jackenhälfte an, in mehreren goldenen Linien, und verwandelt sich schließlich in eine Hand mit rosaroten Fingernägeln um die Taille herum: Die Hand hält eine gestickte blaue Schleife.

Ach, was können menschliche Hände nicht alles fassen und hervorbringen!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen