Schau über Anfänge der modernen Malerei: Von der Lupe zum Wow
Eine Kölner Ausstellung über den Salon de Paris präsentiert die Erzählung vom Urknall der Moderne in der Kunst. Das ist eine widersprüchliche Angelegenheit.
Die Legende von der Geburt der Moderne, sie geht wie folgt: Der Salon de Paris zeigte alljährlich die auserkorenen neuen Kunstwerke. Wer hier ausstellte, war der internationalen Karriere nah. 1863 kam es zum Eklat, die konservative Auswahlkommission missachtete vor allem Arbeiten der jungen, Konventionen brechenden Freilichtmalerei. Dies führte zu heftigem Widerspruch, der in der Ausstellung „Salon des Refusés“ gipfelte. Sie leitete zum Impressionismus, dem Beginn der Moderne in der Kunst. Soweit der von Kunstlehrern, zahllosen Texten, Radioessays und TV-Sendungen verbreitete, heroische Hergang.
Eine machtvolle Erzählung. Auch das Kölner Wallraf-Richartz-Museum lockt die Besucher seiner Ausstellung „1863 – Paris – 1874“ mit dem Untertitel „Revolution in der Kunst“. Zugleich zeichnen Wandtexte und Katalog ein differenzierteres Bild. Die Zeit scheint reif dafür.
Als 2011 das Wallraf-Richartz eine Retrospektive des Werks von Alexandre Cabanel wagte, sprach noch aus mancher Rezension gratismutiger Einsatz, für die vor über 100 Jahren gewonnene Revolution: Salon, bah, und dieser Cabanel, saß er nicht 1863 in der Jury, die den jungen Malern die Tür wies? – Nun ist seine „Venus“, fern ihres Ehrenplatzes im Pariser Musée d’Orsay, wieder in Köln zu Gast, und die Besucher verharren staunend vor dem Werk.
Im Raum, der zu Beginn der Ausstellung den Salon des Jahres 1863 nachstellen soll, räkelt sie sich im provokanten Hellblau des makellosen Farbauftrags, allein die künstlichen Flügel der sie umschwirrenden Putten irritieren. Gegenüber noch eine Venus: Paul Baudry beschränkt den die Darstellung der Nacktheit legitimierenden mythischen Bezug auf einige Muscheln zu Füßen der Liegenden, die den Betrachter direkt anblickt.
Der Salon zeigt seine Antithese
Die Frau als potenzielle Verführerin, heute eher Männerfantasie, einst auch Geste eines Selbstbewusstseins, das zu der, in Angst vor Frauen erstarrenden Zeit, zum Skandalon wurde. Skandale überall! Da ist Jean-François Millets riesenhafter, zugleich von der Arbeit auf einem kargen Acker gezeichneter, verwundet, ja deformiert scheinender Bauer. „Der Mann mit der Hacke“ – der Salon de Paris zeigt 1863 seine Antithese.
Im Dienste der ursprünglichen Revolutionserzählung wirkt auch vieles was folgt, kontraproduktiv. Aus Museen und Sammlungen weltweit stellte man einen immens faszinierenden Einblick in Werke der Salons bis 1874 zusammen. Warum bis 1874? Zum 150. Mal jährt sich in diesen Tagen die Eröffnung der „Première exposition“ der ersten unabhängigen Künstlergesellschaft, sie gilt als Beginn der modernen Avantgarden.
Alsbald wurden sie „die Impressionisten“ genannt. Die entsprechende Jubiläumsausstellung zeigt das Musée d'Orsay in Paris. So enthält der in Köln die „Première exposition“ thematisierende Raum auch keines der damals gezeigten Werke.
Dies schwächt den Eindruck der Ausstellung kaum, will doch anderes gesagt werden. Ein Mythos wird hinterfragt. Statt der auf den Salons vielzählig gezeigten standesgemäßen Portraits, statt der Historienmalerei und des Neoklassizismus wirft die Ausstellung Schlaglichter auf all das keinesfalls Konservative, das die Salons zu bieten hatten.
Die Zartheit Maria Magdalenas, die Pierre Puvis de Chavannes 1870 zeigte, kontrastiert mit der schroffen und bei längerer Betrachtung völlig abstrakt wirkenden Felswüste, die sie umgibt. Sein Werk sowie jene von Gustave Moreau und auch Corots düsteres „Fest des Bacchus“ weisen bereits auf den dem Impressionismus folgenden Symbolismus.
Die Hauptfigur löst sich aus jeglichem mythischen Bezug
Laurent Bouviers „Ägypter“ erscheint als Inspiration für die neue Sachlichkeit der 1920er Jahre, ja für die Pop-Art David Hockneys. Und Joséphine Bowes Gischt der einsetzenden Flut bei Boulogne-sur-Mer weist über ihre Nähe zum Realisten Gustave Courbet hinaus zur aufkommenden Freilicht-Avantgarde.
Bereits vor 1863 gab es Ausstellungen abgelehnter Arbeiten, doch keine war so offensiv wie jener „Salon des Refusés“. Fünf tatsächlich Zurückgewiesene werden gezeigt. Frédéric Bazilles „Fischer mit Wurfnetz“ löst seine Hauptfigur nicht nur effektvoll aus dem Hintergrund, sondern auch aus jeglichem mythischen Bezug, er ist einfach nackt, sexy.
In Paul Cézannes Porträt eines Freundes weist der dramatische Farbauftrag der Hautpartien ins kommende Jahrhundert, und doch sitzen am Ende des Rundgangs im Raum der „Refusés“ zwei junge Besucher vor Claude Monets großformatigem, geheimnisvollen Gemälde „Frauen im Garten“ und fragen sich, warum die Werke nun abgelehnt wurden. Sie verweilen, erwähnen das dem Räumlichen trotzende Stoffmuster eines Kleids und suchen die Revolution.
„1863 – Paris – 1874. Revolution in der Kunst“. Wallraff-Richartz-Museum, Köln, bis 24. Juli 2024. Katalog (Wienand Verlag): 32 Euro.
Im Hinblick auf das visuelle Erleben muss der wohlgestaltete Katalog enttäuschen. Reproduziert verlieren die Bilder einfach zu viel, ein unvermeidliches Scheitern. Doch verrät es mehr über den Charakter des Wandels der Kunst ab 1863, als es jede Erläuterung vermag.
In den Abbildungen verloren geht der so müde wie machtvoll aufblitzende Blick in den Augen von Cabanels Venus, nicht mehr nachzuvollziehen ist die fauvistische Wirkung der zu einem Meer wilder Farbpunkte reduzierten Feldblumen in Antoine Chintreuils „Regenschauer“ oder das einer Max-Ernst-Frottage gleichende, aber minutiös gemalte Grün im Théodore Rousseaus surreal wirkender Landschaft. All diese Details müssen in der Erinnerung weiterleben.
Die Drastik eines Claude Monet
Ebenso das massive Grün von Alfred Sisleys „Edelkastanienallee“, in deren Verkleinerung das Reh viel konturierter erscheint und nicht beim Entdecken verblüfft, auch das flimmernde Lichtspiel in Berthe Morisots „Kind zwischen den Steckrosen“ und die massive Drastik von Monets „Grüner Welle“, sie sind nun verloren. War das die Wende, die 1863 eingeläutet wurde?
Von einer Kunst, die ihre Wirkung und Bedeutung oft erst dem nahen Detailblick offenbarte, hin zu einer Kunst, die die Größe der Leinwand braucht, um ihre Wahrheit zu transportieren. Von der Lupe zum Wow, das ist die große Geschichte. Die vermittelt diese so sehenswerte Ausstellung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?