Schärfere Gesetze für psychisch Kranke: „Ein Restrisiko bleibt immer“
Die Innenminister*innen der Länder wollen schärfere Regeln im Umgang mit psychisch Erkrankten. Expert*innen sehen die Pläne skeptisch.

Normalerweise ist es auf dem Instagram-Kanal der hessischen CDU eher ruhig. Doch Ende Juni ging ein Post durch die Decke: Der stellvertretende Vorsitzende Ralf-Norbert Bartelt steht da im Plenum des hessischen Landtags und sagt in die Kamera: „Es gibt Menschen, die sind schwer psychiatrisch erkrankt. Sie sind eine Gefahr für sich selbst und die Gemeinschaft.“ Der Staat müsse etwas tun, meint er, und „deshalb bringen wir einen Gesetzentwurf ein, der vorsieht, dass diese Personen den Ordnungsbehörden gemeldet werden müssen.“
Wen er mit „diesen Personen“ konkret meint, erklärt er nicht. In der Pressemitteilung der Fraktion zu diesem Vorhaben steht: „Künftig sollen Entlassungen aus psychiatrischen Fachkrankenhäusern unverzüglich an die zuständigen Ordnungs- und Polizeibehörden gemeldet werden.“
Die Mitteilung sorgt für Aufruhr, schließlich gilt nach Expert*innen bis zu ein Drittel der Bevölkerung als „psychisch krank“. Etwa 1,2 Millionen Menschen werden in Deutschland jährlich in die Psychiatrie eingewiesen. Die Gesundheitsdaten von psychisch erkrankten Menschen gehören zu den sensibelsten Informationen, die es gibt. Sie können deshalb nicht ohne weiteres an die Sicherheitsbehörden weitergegeben werden.
Die hessische CDU ließ sich einige Tage Zeit, bis sie eine Differenzierung nachreichte: Gemeldet werden sollten lediglich die Entlassungen von Menschen, die eingewiesen wurden, weil sie andere gefährdeten, erklärte Ralf-Norbert Bartelt nun. Wann die Weitergabe der Informationen nötig sei, sollen die behandelnden Ärzt*innen entscheiden.
Menschen mit psychischen Erkrankungen als Thema der inneren Sicherheit
Der Datenaustausch soll eine Sicherheitsmaßnahme sein. Seit den Angriffen in Aschaffenburg und Magdeburg im vergangenen Jahr, beide von mutmaßlich psychisch Kranken verübt, wird in Deutschland darüber diskutiert, wie solche Vorfälle zu verhindern sind. Mitten im Wahlkampf forderte dann CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ein Zentralregister für psychisch kranke Straftäter*innen. Er ruderte später zurück. Aber auch jüngere Vorfälle wie etwa der Messerangriff am Hamburger Hauptbahnhof leisten dem Thema Vorschub: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind politisch zum Thema der inneren Sicherheit geworden, obwohl – wie Expert*innen immer wieder betonen – nur eine sehr kleine Minderheit von ihnen potentiell gewalttätig wird.
Die schwarz-rote Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, eine „gemeinsame Risikobewertung und ein integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement“ einzuführen. Und als im Mai die Innenminister*innenkonferenz (IMK) und die Gesundheitsminister*innenkonferenz (GMK) tagten, befassten sie sich mit der Frage, wie solche Gewalttaten verhindert werden können. Herausgekommen sind zwei Beschlüsse, die ankündigen, dass sich etwas ändern wird.
Konkret betrifft das die Psychisch-Kranken-Gesetze, in den meisten Ländern werden sie als PsychKG abgekürzt. Diese Landesgesetze regeln die Unterbringung und Behandlung von Menschen in der Psychiatrie gegen ihren Willen, wenn sie aufgrund ihrer Krankheit akut eine Gefahr für sich selbst oder für andere darstellen.
Entlassungen sollen der Polizei gemeldet werden
Die Gesundheitsminister*innen haben sich unter anderem darauf geeinigt, zu prüfen, ob mehr Datenaustausch mit den Sicherheitsbehörden möglich ist. Die Innenminister*innen schlagen mehrere Punkte zur Verschärfung der PsychKGs vor, darunter die Einführung von ambulanter medikamentöser Zwangsbehandlung. Psychisch Kranke könnten nach dem Willen der Innenminister*innen nach der Entlassung verpflichtet werden, Medikamente unter Aufsicht einzunehmen.
Kritik an den Vorhaben kommt vom Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen. „Wie man aus der riesigen Zahl von Diagnostizierten die wenigen (potenziellen) Gewalttäter herausfiltern will, ist mir schleierhaft“, sagt deren Vorstandsmitglied Matthias Seibt. Fakt sei aber, dass sich die Psychiatrie oft um die Behandlung wirklich gefährlicher Menschen drückt. Diese würden oft sehr schnell entlassen.
Doch darum geht es zumindest in Hessen erst mal nicht – sondern eben um den Datenaustausch. Der Gesetzentwurf der schwarz-roten Koalition sieht vor, das PsychKG so anzupassen, dass bestimmte Entlassungen an die Sicherheitsbehörden gemeldet werden.
„Die Regierungsfraktionen verpassen die Chance, die wichtigsten Probleme anzugehen: die dauerhafte Überlastung der Psychiatrien und fehlende Strukturen bei ambulanten Not- und Krisendiensten“, kritisiert Marcus Bocklet, Landtagsabgeordneter der Grünen im hessischen Landtag. Mehr Sicherheit gebe es nicht durch Gesetzesverschärfungen, sondern durch eine bessere Versorgung und nachhaltige Begleitung von psychisch Kranken.
Doch solche Dinge hat schwarz-rot in Hessen nicht vor. CDU-Gesundheitspolitiker Bartelt sagte der taz, es seien erst mal keine Maßnahmen geplant, die konkret die Versorgung psychisch Erkrankter verbessern würden. Und auch sonst sei einiges noch unklar, etwa, wie lange die Sicherheitsbehörden die Daten über die psychisch Kranken speichern dürfen. Nach der öffentlichen Reaktion auf seinen Instagram-Post wolle er sich damit aber jetzt auseinandersetzen.
Lücken in Behandlung und Verantwortlichkeit
Überwiegend funktioniere das System, sagt Peter Brieger, Psychiater und ärztlicher Direktor am kbo-Isar-Amper-Klinikum, ein großes Fachkrankenhaus für Psychiatrie bei München. Aber die Einzelfälle, in denen etwas schief laufe, seien eben besonders sichtbar. Keiner der Übergriffe der letzten Monate wäre seiner Kenntnis nach jedoch durch die jetzt vorgeschlagenen Gesetzesverschärfungen verhindert worden. Es gebe nämlich keine Gesetzeslücken, sondern Lücken der Behandlung und Verantwortlichkeit, sagt Brieger – vor allem für die Menschen, die einen komplexen Hilfebedarf haben.
Das bayrische PsychKG sieht bereits jetzt vor, dass die Kliniken die Polizei über die Entlassung von Patient*innen informieren müssen, wenn diese wegen Fremdgefährdung untergebracht waren und bei Entlassung potenziell noch gefährlich sind. „Hier Konkretes zu vereinbaren, erfolgt nur in absoluten Einzelfällen “, erklärt Brieger. Außerdem gibt es eine Kooperation zum Bedrohungsmanagement mit dem Polizeipräsidium München. Er schätzt, dass von etwa 15.500 Aufnahmen etwa 20 Fälle pro Jahr dort aufgenommen werden.
Für die Weitergabe der Daten brauche es aber sehr klare und „hochschwellige“ Regeln, betont er, die Polizei dürfe nur das Nötigste erfahren, keine medizinischen Details. Der Informationsaustausch ist beidseitig: Die Sicherheitsbehörden informieren hier auch die Kliniken, wenn ein*e Patient*in schon einmal gewalttätig wurde, was für die Behandlungsplanung wichtig ist.
Feste Zuständigkeiten könnten helfen
An der Klinik gibt es die Präventionsstelle, ein Projekt, das sich an Menschen richtet, die an Psychosen erkrankt sind, bei denen eine Unterbringung in der Forensik im Raum steht, die im Normalangebot nicht die richtige Behandlung bekommen können. Die Stelle wurde durch die Reform des Bayrischen PsychKGs 2018 ermöglicht. Hier gilt, dass kein*e Patient*in aufgegeben wird, der Kontakt wird stets aufrecht erhalten – multiprofessionell und im Bedarfsfall aufsuchend. Von ambulanten Zwangsmaßnahmen, wie von den Innenminster*innen vorgeschlagen, hält Brieger wenig: „Die kontinuierliche Beziehung hilft, nicht der Zwang.“
Brieger ist überzeugt, dass feste Ansprechpartner*innen, die verbindlich Verantwortung für Menschen mit komplexem Hilfebedarf übernehmen, mehr zur Prävention beitragen könnten, als Gesetzesverschärfungen. Dazu brauche es nicht einmal unbedingt zusätzliche Ressourcen – sondern vor allem ein besseres Fallmanagement und feste Zuständigkeiten innerhalb einer Region.
Bundesländer prüfen Gesetzesänderungen
Auch dem Bremer Juristen Helmut Pollähne bereiten die IMK-Pläne Sorgen: Er befürchtet, dass ambulante Zwangsbehandlungen ausgeweitet und normalisiert würden. Der Jurist verweist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von November 2024, wonach Zwangsbehandlungen unter bestimmten Bedingungen auch außerhalb von Kliniken, etwa in Pflegeheimen, möglich sein müssen. Die Entscheidung mache dafür zwar enge Vorgaben. Pollähne betont, dass diese Grenzen aber unbedingt eingehalten werden müssen – und dass die Gesetzgeber nicht darüber hinausgehen.
Doch die Politik setzt neben Datenaustausch auch auf diese Zwangsmaßnahmen. Was genau sich für psychisch Erkrankte ändert, kommt aber auf die konkrete Umsetzung an, schließlich hat jedes Bundesland ein eigenes PsychKG. Fragt man bei den zuständigen Gesundheits- oder Sozialministerien nach, heißt es meist, die Vorschläge der GMK und IMK würden jetzt erst mal geprüft.
Im CSU-regierten Bayern will man mögliche Verschärfungen, so wie von den Innenminster*innen gewünscht, „ergebnisoffen“ diskutieren und prüfen, „welche ordnungsrechtlichen Maßnahmen jenseits der freiheitsentziehenden Unterbringung im Vorfeld oder Nachgang zielführend sein können“. Auch im schwarz-roten Sachsen „prüft“ man die Umsetzung der IMK-Maßnahmen. Der Datenaustausch mit der Polizei ist hier aber schon vorgesehen.
In Bremen, wo die Linkspartei die Gesundheitssenatorin stellt, wird das PsychKG eher nicht überarbeitet werden, teilte eine Sprecherin mit. Austausch zwischen Behörden und Kliniken findet hier auf einer ständigen Konferenz statt, wo der Umgang mit psychisch Kranken mit besonderem Gefährdungspotential besprochen wird. Der Sozialpsychiatrische Dienst kann bei Krisen eingreifen, aufsuchende Hilfen geben und im Notfall auch die Polizei einschalten.
Jurist befürchtet „Datenspirale“
Keinen Nachschärfungsbedarf bei den PsychKGs sieht Jurist Pollähne. Die zusätzliche Weitergabe von Daten an die Polizei lehnt er ab. „Das ist eine Spirale, die sich immer weiter hochdreht“, warnt er, „immer wenn was passiert, sollen wieder mehr Daten ausgetauscht werden.“ Polizist*innen seien zudem oft nicht im Umgang mit psychisch Erkrankten geschult. Zu oft erschießt die zur Hilfe gerufene Polizei auch Menschen in psychischen Krisen. Zwischen 2019 und 2024 wurden so 37 Menschen getötet, oftmals obwohl die Polizei vor dem Einsatz von der psychischen Erkrankung wusste. „Das Problem ist kein Informationsdefizit, sondern mangelnde Erfahrung“, betont Pollähne.
Er fordert: Bei den besonders sensiblen Gesundheitsdaten psychisch Erkrankter müsse das Prinzip der Datensparsamkeit gelten. Zumal ohnehin keine Datensammlung zuverlässig vorhersagen könne, ob jemand gewalttätig wird: „Es ist ein alter Wunschtraum der Sicherheitsbehörden, dass es so ein Instrument gibt – aber das wird nie passieren. Ein Restrisiko bleibt immer.“
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