Schachszenen aus Berlin: Doppelbelastung am Brett
Der US-amerikanische Großmeister Hikaru Nakamura gewinnt Schach-Grandprix-Serie. Zudem kommentiert er Duelle seiner Konkurrenten.
![Nakamura schaut nachdenklich auf seine Schachfiguren Nakamura schaut nachdenklich auf seine Schachfiguren](https://taz.de/picture/5493499/14/29900614-1.jpeg)
Nach zwei Wochen ging am Montag der dritte Teil des Fide-Chess-Grandprix in Berlin zu Ende. Der Grandprix ist ein dreiteiliges Turnier, an dem insgesamt 24 Schachgroßmeister um Preisgelder (zwischen 24.000 Euro und 5.000 Euro) und vor allem um die zwei noch zu vergebenden Plätze für das Kandidatenturnier im Sommer konkurrieren, bei dem acht Schachgroßmeister den Herausforderer für die WM unter sich ausmachen.
Den ersten Berliner Teil des Turniers hatte überraschend der amerikanische Großmeister Hikaru Nakamura gewonnen, der oft damit kokettiert, dass er ja in erster Linie Twitch-Streamer (mit 1,2 Millionen Followern) sei. Fünf russische Schachathleten mussten unter der Fide-Fahne spielen. 44 der besten Schachspieler des Landes hatten schon früh in einem offenen Brief an Putin appelliert, den Krieg sofort zu beenden.
Schachstreamer wie vor allem Nakamura hatten mir durch die Pandemie geholfen, so schaute ich mir das Turnier leicht parteiisch jeden Tag ab 15 Uhr in den Streams von Nakamura und der Veranstaltungsfirma Worldchess an, wo ModeratorInnenpärchen aus unterschiedlichen Weltgegenden die einzelnen Partien kommentierten und die Spieler interviewten.
Wesley So, der aus den Philippinen stammende amtierende US-Champion, spielte in der Vorrunde mit blauem Jackett und gelbem T-Shirt. Nakamura hatte zweimal gewonnen, als er gewinnen musste. Anders als noch vor einem Jahr, war er in Bedrängnis nicht mehr in Panik geraten, hatte Partien, die in der Eröffnungsphase schon verloren schienen, noch gerettet. Sein größter Rivale um die zwei freien Plätze beim Kandidatenturnier, der seit einem halben Jahr für den US-Schachverband spielende Levon Aronian, hatte sich vielleicht schon zu sicher gefühlt.
Sechs Wochen im Hotel
Nakamura war schlecht gestartet, fing sich wieder, während Aronian die Nerven verlor. Mit dem Gruppensieg hat Nakamura genug Punkte für die Qualifikation zum Kandidatenturnier gesammelt; das große Ziel ist also erreicht.
Am Tag nach seinem Triumph streamt er aus seinem Berliner Hotelzimmer und kommentiert den Tiebreak zwischen Vincent Keymer – der einzige deutsche Teilnehmer war mit 17 der jüngste im Teilnehmerfeld – und Shakhriyar Marmedyarovd, dem Weltranglisten-Siebten. Keymer hat bis dahin ein gutes Turnier gespielt, verliert aber schließlich gegen den Großmeister aus Aserbaidschan.
Nakamura erklärt die Züge, beantwortet Fragen aus dem Chat und begrüßt neue Subscriber mit Namen. Der Vorhang ist zugezogen. Er sagt, Berlin sei schon jetzt seine Lieblingsstadt und Deutschland one of my favorite places und dass er am Morgen drei Filme in seinem Hotelzimmer geguckt habe. Im Hintergrund singt David Bowie „All the Young Dudes“. Zusammengerechnet war er sechs Wochen in der Stadt, ohne etwas gesehen zu haben. Vermutlich geht es den meisten Spitzensportlern so. Um fokussiert zu sein, muss man sich in den Tunnel begeben; zu viel Information von draußen behindert die Konzentration.
Das Finale dauert drei Tage und ist ein bisschen enttäuschend. Wesley So gewinnt schließlich verdient in der ersten Verlängerung. Die beiden Schachgroßmeister entschuldigen sich mit Erschöpfung bei den Zuschauenden. Wesley hatte keinen, Nakamura, der Gesamtsieger des Grandprix, nur einen Ruhetag in den letzten zwei Wochen.
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