Sauerlands Ende in Duisburg: Wut, die Luft brauchte
Der Oberbürgermeister ist aus dem Amt getrieben worden. Jetzt wittert die SPD ihre Chance – doch die Abwahlinitiative setzt auf einen überparteilichen Nachfolger.
DUISBURG taz | Der Jubel ist riesig, als Duisburgs grüner Stadtdirektor Peter Greulich um 19.38 Uhr am Sonntag den befreienden Satz sagt: "Mit Ja haben 129.833 gestimmt." Die Gegner des CDU-Oberbürgermeisters Adolf Sauerland feiern einen bombastischen Erfolg.
Aus dem Amt getrieben haben ihn rund 50.000 BürgerInnen mehr, als ihn überhaupt gewählt haben. Mit 74.179 Stimmen war der Christdemokrat im August 2009 im Amt bestätigt worden. Jetzt stimmten nur noch 21.557 Wähler gegen seine Abwahl.
Dabei waren auch Sauerlands Gegner bis zuletzt unsicher: Erst um kurz nach sieben war durchgesickert, dass die nötigen Stimmen wohl zusammenkommen. Der OB selbst hatte lange auf die politische Trägheit der DuisburgerInnen gesetzt und war zusammen mit seiner CDU erst wenige Tage vor dem Bürgerentscheid auf eine Rote-Socken-Kampagne umgeschwenkt, die das überparteiliche Abwahlinitiative "Neuanfang für Duisburg" als Bündnis von SPD, Linken und Grünen brandmarken sollte.
Doch auch eineinhalb Jahre nach der Loveparade haben die BürgerInnen nicht vergessen, dass Sauerland das Technospektakel, bei dem 21 Menschen starben und mehr als 500 verletzt wurden, um jeden Preis in der Stadt haben wollte.
Und sie haben ihm nicht verziehen, dass er sich nach der Katastrophe für nichts und niemanden verantwortlich fühlte. Dass der bullige Kinnbartträger dann auch noch die Opferrolle für sich selbst reklamierte, verstanden sie als eine Verhöhnung der Toten. Es war eine stille Trauer und Wut, die an der Wahlurne deutlich wurde.
Im Duisburger Rathaus steht Theo Steegmann, Gewerkschafter und schon 1987 Kämpfer gegen die Schließung des Krupp-Stahlwerks Rheinhausen, deshalb zusammen mit seinen Mitstreitern in einem Blitzlichtgewitter. Eine Wand von Fotoapparaten, Fernsehkameras und Mikrofonen umringt Sauerlands Gegner.
Verantwortung übernehmen
Sehr erleichtert, sehr froh sei er, dass nun endlich "ein Schlussstrich unter die vermeidbare Katastrophe" der Loveparade gezogen werden könne, sagt Steegmann. Die DuisburgerInnen hätten ein Zeichen gesetzt, dass sie die politische Verantwortung für das Desaster übernehmen wollten – und das werde bestimmt "in der ganzen Republik anerkannt", hofft er.
Seine Freude nicht verbergen kann auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger. Der 51-Jährige ist nicht nur Chef der Duisburger SPD – mit der Abwahl des Christdemokraten gerät auch seine Polizei, der wie Sauerlands Stadtverwaltung und der Loveparade-Veranstaltungsfirma Lopavent des Fitnessbetreibers Rainer Schaller schwerste Versäumnisse vorgeworfen werden, einmal mehr aus der Schusslinie.
"Der Zorn, die Scham brauchte Luft", findet Jäger. Danach versichert der Sozialdemokrat schnell, die Abwahlinitiative sei "nicht parteipolitisch gesteuert" gewesen. Dabei bietet Sauerlands Abwahl Jägers SPD natürlich die Chance, in Duisburg auch das letzte Rathaus zurückzuerobern, das bei der erdrutschartig verlorenen Kommunalwahl 2004 im Ruhrgebiet an die Christdemokraten verlorenging – über 50 Jahre hatten Sozialdemokraten Duisburg zuvor regiert.
Um kurz nach acht endlich lässt sich auch Sauerland selbst blicken. Mit Tränen in den Augen verspricht er, "das Votum" zu akzeptieren, bedankt sich bei seinen Mitarbeitern, bittet die Presse, "von weiteren Anfragen abzusehen" und schließt pathetisch: "Gott schütze die Stadt Duisburg."
Der Parteienstreit beginnt
Doch schon bei der anschließenden Feier der Sauerland-Gegner wird klar, wie fragil die Abwahl-Initiative ist. Kaum steht der Gewerkschafter Steegmann, der seine SPD-Mitgliedschaft für die Dauer der Kampagne ruhen ließ, auf einem kleinen Podium, steht Minister Jäger schon hinter ihm.
"Wenn Jäger redet, gehe ich", zischt eine Linke. Am Ende belassen es der SPD-Chef, die ehemalige grüne Landtagsabgeordnete Ingrid Fitzek und Linken-Sprecherin Edith Fröse bei wenigen Grußworten.
Auch Jäger versichert, für Sauerlands Nachfolger, der noch vor der Sommerpause gewählt werden soll, werde nach einem Kandidaten gesucht, "der von möglichst vielen Duisburgern getragen wird".
Spekulationen um Nachfolger
Dabei streut seine Partei über die Lokalzeitungen des WAZ-Konzerns bereits Namen: Genannt werden da etwa die SPD-Bundestagsabgeordnete Bärbel Bas oder der SPD-Landtagsabgeordnete Sören Link
Für Gewerkschafter Steegmann aber geht das zu schnell: "Unsere Initiative wird nicht aufgelöst, wir machen weiter", verspricht er. Mit "Wahlprüfsteinen" wolle sein Bündnis für mehr Transparenz in Duisburgs Lokalpolitik sorgen – etwa beim Korruptionsskandal um das in Duisburg entstehende neue Landesarchiv, in den auch Sauerland verwickelt sein soll, oder beim geplanten Abriss einer Wohnsiedlung im Duisburger Norden, wo stattdessen ein billiges Outlet-Center entstehen soll.
Um die gespaltene Stadt zu versöhnen, werde ein "parteiübergreifender Kandidat" gebraucht, glaubt Steegmann – selbst Sauerlands Verlierer-CDU signalisiert dazu Zustimmung. "Charme hätte auch ein Kandidat von außerhalb", sagt Steegmann dann – und nennt doch keine Namen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins