Sanktionen gegen Russlands Wirtschaft: Wie wirksam sind die Sanktionen?
Sie sind jedenfalls „nicht für einen Sprint geeignet“, sagt eine Expertin in Brüssel. Derweil verlangt das Europaparlament neue Strafen.
Das Gezerre zeigt, dass die EU-Sanktionen nicht nur Russland treffen. Gleichzeitig geht der Krieg in der Ukraine unvermindert weiter. Sind die Sanktionen also gescheitert? Ist der „Wirtschaftskrieg“, wie es der britische Historiker Adam Tooze nennt, aus dem Ruder gelaufen? Bisher sind diese Fragen in Brüssel tabu. Die EU-Kommission behauptet, ihre Politik sei alternativlos – und erfolgreich.
„Die Sanktionen wirken“, sagt auch Nicole Deitelhoff von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Allerdings sei das Hauptziel, ein Ende des Krieges also, verfehlt worden. Eine Verhaltensänderung sei auch am schwersten zu erreichen, räumte die Politikwissenschaftlerin bei einer Expertendiskussion in Brüssel am Donnerstag ein. Die bisherige Bilanz sei „gemischt“, eine Kosten-Nutzen-Analyse fehle.
„Sanktionen sind ein Langstreckeninstrument, für einen Sprint sind sie nicht geeignet“, so die Expertin. Zudem könnten sie nur dann als Hebel wirken, wenn man sie auch wieder aufheben kann. „Das müsste viel mehr diskutiert werden“, forderte Deitelhoff. Die EU müsse eine Führungsrolle übernehmen und „Bedingungen für erste Teilaufhebungen“ formulieren. Bisher gibt es dafür aber keine Anzeichen.
„Sie haben auch Kosten für unsere Volkswirtschaften“
Die EU hat die Sanktionen nicht als Mittel der Diplomatie konzipiert; von einem möglichen Abbau der Strafen ist in Brüssel keine Rede. Im Gegenteil: Das Europaparlament will noch härter durchgreifen. Am Donnerstag sprachen sich die Abgeordneten dafür aus, auch die Umgehung von Sanktionen mit Strafen zu belegen. Unternehmen sollten bei Verstößen bis zu 15 Prozent des Umsatzes zahlen.
„Es gibt keinen Grund, die Sanktionen aufzuheben, so lange der Krieg andauert“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler. Dieser brachte auch gleich neue Daumenschrauben ins Gespräch. So könne griechischen Reedern verboten werden, russisches Öl zu transportieren. Bisher dürfen sie das – wenn das schwarze Gold nicht für die EU bestimmt ist. Diese Ausnahme hatte Athen durchgesetzt.
Die zahlreichen Ausnahmen und Lücken verhinderten ein „effektives Sanktionsregime“, sagte Deitelhoff. Angesichts der verschiedenen Interessen der 27 EU-Mitgliedsländer sei dies aber nicht verwunderlich. Nicht nur Griechenland oder Ungarn, auch Deutschland und Frankreich stehen immer wieder auf der Bremse. Der Grund: „Sanktionen haben auch Kosten für unsere Volkswirtschaften“.
Zufrieden zeigte sich Deitelhoff dagegen mit der „Signalwirkung“ der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen: Krieg bleibt nicht ungestraft. Doch auch hier gibt es einen Wermutstropfen: „Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung“, so die Forscherin, sei gegen die westlichen Strafen. Dies hätten UN-Abstimmungen gezeigt. Die EU dürfe aber nicht aufgeben und müsse weiter für ihre Politik werben, so ihr Rat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich