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Sachsens Umgang mit Hate SpeechEin Mordaufruf bei Facebook

Ein User fordert die Erschießung von zwei Rumänen, die des Diebstahls verdächtigt werden. Der Staatsanwalt sieht darin kein Problem.

Gegen die Facebook-Kommentare wirken die Parolen auf Pegida-Demos fast harmlos Foto: dpa

Dresden taz Als Anfang voriger Woche bundesweit sechzig Wohnungen wegen Hasskriminalität im Internet durchsucht wurden, forderte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die „schweigende Mehrheit“ zu mehr Wachsamkeit auf. Wer dem nachkommt, läuft aber unter Umständen bei den Strafverfolgungsbehörden ins Leere.

Zumindest bei der Staatsanwaltschaft Dresden, die in der Vergangenheit eher mit ihrem Verfolgungseifer gegenüber Anti-Nazi-Demonstranten aufgefallen ist. Eben diese Staatsanwaltschaft hält aber den Facebook-Aufruf „gleich erschießen dieses dreckspack“, bezogen auf zwei ertappte Diebe aus Rumänien, für nicht strafbar.

Heiko Frey aus dem sächsischen Dippoldiswalde engagiert sich im örtlichen Willkommensbündnis für Flüchtlinge. Mitte Mai entdeckte der Fünfzigjährige auf der Facebookseite des Lokalfernsehsenders FRM-TV eine Meldung über die Festnahme zweier rumänischer Diebe. Darunter stand der oben zitierte Kommentar des namentlich bekannten Verfassers Roy G. „Das ging zu weit“, sagt Frey der taz. Er zeigte den Eintrag online bei der Polizei an.

Mittlerweile hat Staatsanwalt Tobias Uhlemann die Einstellung des Ermittlungsverfahrens verfügt. Begründung: der Kommentar des Beschuldigten erfülle keinen Straftatbestand. Es ist derselbe Staatsanwalt, der Anfang Mai erfolgreich die Anklage gegen Pegida-Chef Lutz Bachmann vertreten hatte. Bachmann wurde wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er 2014 im Internet Ausländer als „Gelumpe“ und „Viehzeug“ bezeichnet hatte.

Die Begründung der Einstellungsverfügung beim vorliegenden Mordaufruf stimmt Heiko Frey ebenso fassungslos wie Frank Richter, den Direktor der Landeszentrale für Politische Bildung.

Die Angaben waren nicht genau genug

Staatsanwalt Uhlemann argumentiert, der Erschießungsaufruf richte sich nicht gegen einen abgrenzbaren Teil der Bevölkerung, wie im Volksverhetzungsparagraphen 130 beschrieben, sondern nur gegen die beiden Tatverdächtigen. Der Schreiber habe den Tod der beiden Rumänen nicht „wegen ihres Andersseins bzw. ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, sondern wegen ihrer vermeintlich begangenen Straftaten“ gefordert.

Es handele sich auch nicht um eine öffentliche Aufforderung zu einer Straftat nach Paragraph 111 StGB. Für eine Strafbarkeit hätten beabsichtigter Tatort, Tatzeit und die Namen der Opfer genannt werden müssen.

Für eine Strafbarkeit hätten beabsichtigter Tatort, Tatzeit und die Namen der Opfer genannt werden müssen, schreibt der Staatsanwalt

Landeszentralen-Direktor Richter kann diesem juristischen Konstrukt nicht folgen. Am Freitag schrieb er an die Dresdner Staatsanwaltschaft und bat um eine Erklärung. Er sehe Diskussionsbedarf, sagte Richter der taz, weil sich alle brüskiert fühlen müssten, „die sich in Sachsen um die Beachtung der Menschenwürde, um die Kultur des Respekts und um den zivilisierten Umgang der Menschen bemühen“.

Erst Mitte dieser Woche war die Diskussion um die Verfolgung von Internet-Hasskriminalität in Sachsen neu entbrannt. Grünen-Landessprecher Jürgen Kasek zeigte 204 „Hatespeech“-Straftaten gegen ihn und seine Familie an. Vom sächsischen Innenministerium forderte er mehr Einsatz.

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5 Kommentare

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  • Ich denke, Staatsanwalt Tobias Uhlemann argumentiert interesse- und zielorientiert, wenn er behauptet, für § 111 StGB müssen beabsichtigter Tatort, Tatzeit und die Namen der Opfer genannt werden.

     

    Der Standard-Kommentar(*) aller Jura-Erstsemester sieht es anders:

     

    "Im Übrigen jedoch braucht die angesonnene Tat nicht unbedingt nach Ort und Zeit bestimmt zu sein, und auch hinsichtlich des Opfers genügt eine Kennzeichnung in allgemeinen Wendungen, wie zB Aufforderung zur Lynchjustiz."

     

    Wir (Straf-)Juristen haben gelernt, für jedes Ziel, das wir vorfolgen, ein Argument zu finden. Wenn Uhlemann die Aufforderung „gleich erschießen dieses dreckspack“ als nicht verwerflich, nicht strafbar bewertet und entsprechend argumentiert, muß er sich nicht wundern, wenn man ihm eine gewisse Sympathie mit solchen (seinen?) Facebook-Freunden unterstellt.

     

    (*) Schönke/Schröder/Eser StGB § 111 Rn. 11-15a

  • Womöglich hätte sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ein paar Gedanken zu den potentiellen Folgen machen sollen, bevor er "die ‚schweigende Mehrheit‘ zu mehr Wachsamkeit auf[fordert]". Der Blockwart, der noch vor ein paar Jahrzehnten auch in Sachsen den Kampf staatlicher Stellen um die (All-)Macht unterstützt hat, hat seinen miesen Ruf ja schließlich nicht ganz umsonst.

     

    Heiko Frey und Frank Richter, zwei Menschen, die Herrn Maas sehr gern in seinem Auftrag unterstützen würden, sind angesichts der Tatsache nun "fassungslos", dass ihnen das nicht wirklich gut gelingt, wenn der zuständige Staatsanwalt geltendes Recht streng auslegt. Dass die beiden Recht studiert hätten, ist nicht überliefert. Womöglich ist es das.

     

    Sie haben die Erklärung, die abgegeben wurde mit dem Urteil, offenbar tatsächlich nicht verstanden. Vielleicht, weil sie vor allem mit dem Herzen denken wollten, nicht mit dem Hirn. Dass sich daran was ändert, wenn die Staatsanwaltschaft ihnen nun noch einmal einzeln sagt, was bereits aufgeschrieben steht, glaube ich nicht.

     

    Seltsam. Wenn ein konkreter Richter kurz vorher einen konkreten Rechten ganz konkret verurteilt wegen einer ganz konkreten Hassattacke, nützt ihm das gar nichts. Er wird als Teil einer Maschinerie beargwöhnt, die sich bisher nicht mit Ruhm bekleckert hat. Wenn hingegen eine anonyme Maschinerie seltsame Ergebnisse ausspuckt, dann trifft der Frust darüber alle ihre Einzelschrauben sofort und nachhaltig. Hass scheint tatsächlich nicht besonders rational zu sein. Ihn aufzurufen, ist wohl echt keine gute Idee.

  • Facebook Kommentare rechtlich verfolgen bringt halt nüscht, da kann sich jeder drüber aufregen wie er will. Trugschluss von "Handeln".

     

    Derzeit in der realen Welt bekommen die Nasis dadurch nur noch mehr Munition und können in ihrer Opferrolle voll aufgehen.

  • [...]

     

    Kommentar entfernt. Bitte unterlassen Sie Verallgemeinerungen.

    • @Hans Peter Sommer:

      Achtung, Hatespeech!

       

      DIE Sachsen (vom Alt- bzw. Neonazi bis zum linken Autonomen) sind ein "abgrenzbare[r] Teil der Bevölkerung". Wer sie "wegen [...] ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe" kollektiv beschimpft, verstößt gegen den § 130 StGB.

       

      Aber schon klar: Es ist nun mal ganz schlecht beweisbar, dass "nur dort [...] die drei NSU-Verbrecher in Ruhe leben und ihre Verbrechen planen [konnten]." Und wo Rationalität einem nicht weiterhilft bei der Bewältigung von Angst und Hass, kann man ja immer noch auf die Emotionsschiene ausweichen, wenn man sich mächtig fühlen möchte.