Sachbuch zur Krise der Demokratie: Die populistische Versuchung
Wie bekämpft man autoritären Populismus? Armin Schäfer und Michael Zürn wollen im Buch „Die demokratische Regression“ Antworten darauf geben.
Die Demokratie wird in diesen Tagen aus verschiedenen Richtungen herausgefordert. Der Aufstieg Chinas hat die Idee geschreddert, wirtschaftlicher Erfolg sei zwingend an die Verbindung von Demokratie und freiem Markt geknüpft. China zeigt: Es geht auch anders. In einigen Ländern des Globalen Südens gilt das als attraktives Modell.
Vor allem ist die Demokratie aber innerhalb demokratischer Staaten selbst unter Beschuss. Das Erstarken autoritärer Populisten, die reklamieren, ganz allein den Willen des Volkes zu vertreten, verweist auf eine Unzufriedenheit mit Meinungspluralismus und repräsentativem System. Wobei Populisten sich wiederum darauf konzentrieren, Debatten zu zerstören und demokratische Institutionen zu beschädigen. Die Bilder vom Sturm auf das Kapitol in Washington sind noch allzu präsent.
Die Politikwissenschaftler Armin Schäfer und Michael Zürn beginnen ihr Buch „Die demokratische Regression“ deshalb mit einem ernüchternden Befund. Mithilfe eines Index, der Kriterien wie Mitbestimmung, Grad der Repräsentation und Machtkontrolle berücksichtigt, zeigen sie, dass die gelebte Demokratie in einer ganzen Reihe Staaten in den vergangenen zehn Jahren deutlich geschwächt wurde, darunter auch in EU-Ländern wie Ungarn oder Polen.
„War der Verfall der Demokratie lange Zeit etwas, das aus der Perspektive von Westeuropäerinnen nur in fernen Ländern stattfand, kommen die Einschläge nun näher“, schreiben sie.
Schwächen des Aushandlungsprozesses
Was also tun? In der Debatte über autoritäre Populisten seien bisher die politischen Ursachen weitgehend übersehen worden, argumentieren die Autoren. Bisher dominieren zwei Erklärmuster: Die kulturelle Erklärung sieht die Unterstützung für Donald Trump, Viktor Orbán und Co als einen Backlash gegenüber gesellschaftlichen Liberalisierungsprozessen. Weil weiße heterosexuelle Männer ihre Privilegien gefährdet sehen, würden sie sich Politikern zuwenden, die eine Rückkehr zum Gesellschaftsbild der 1950er Jahre versprechen.
Die ökonomische Erklärung hingegen betont die wachsende Ungleichheit in den OECD-Staaten. Die Verlierer der Globalisierung seien besonders anfällig für Populismus.
Armin Schäfer/Michael Zürn: „Die demokratische Regression“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 247 Seiten, 16 Euro
Beide Erklärungen blendeten die politische Sphäre weitgehend aus, kritisieren Schäfer und Zürn. Wie eine Gesellschaft auf die Veränderungen durch Globalisierung und Modernisierung reagiere, sei ja nicht von vornherein festgelegt, sondern immer Teil eines politischen Aushandlungsprozesses. Gerade bei diesem erkennen die beiden aber Mängel: „Wer Populismus erklären möchte, darf die Augen vor den Schwächen der Demokratie nicht verschließen.“
Armin Schäfer ist Professor für Politikwissenschaft in Münster, Michael Zürn leitet die Abteilung Global Governance am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Für ihre Argumentation nutzen sie zahlreiche politikwissenschaftliche Studien und Datensätze, dabei wechseln sie immer wieder gekonnt zwischen detaillierter Betrachtung und großer Erzählung.
Fast nur Akademiker im Parlament
Zwei Hauptpunkte arbeiten sie für die Entfremdung von der Demokratie heraus. Zum einen bildet die Zusammensetzung der Parlamente nicht jene der Bevölkerung ab. Und das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten noch verschärft. Im Bundestag sitzen heute fast nur Akademiker, andere Arbeitsbiografien, auch Migrationserfahrungen kommen kaum vor.
Nun kann man sagen: Ein Jurist kann auch für einen Bäckermeister Politik machen, wo ist das Problem? Schäfer und Zürn zeigen aber, dass dieses Ungleichgewicht konkrete Folgen hat. Der Befund ist eindeutig: Eine bestimmte Politik setzt der Bundestag eher um, wenn sie von Gruppen mit höherem sozialen Status und Bildungsniveau befürwortet wird.
Der andere Kritikpunkt ist die Tendenz, politische Streitfragen aus Parlamenten weg zu Institutionen zu schieben, die nicht dem Mehrheitsprinzip unterliegen – Institutionen wie Verfassungsgerichte, Zentralbanken und internationale Organisationen. Vor allem auf EU-Ebene werden viele Entscheidungen in solchen Gremien getroffen.
Dies führt zu Legitimationsproblemen, weil jene, die hier entscheiden, nicht unter demselben Rechtfertigungsdruck stehen wie Parlamentarier, die sich vor ihren Wählern verantworten müssen. Die Folge sind schlecht erklärte Entscheidungen und der Eindruck vieler Bürger, durch Wahlen gar keinen Einfluss nehmen zu können.
Mehr Demokratie und engagierte Bürger
Schäfer und Zürn schlagen ein Bündel an Maßnahmen vor, um dieser Entfremdung zu begegnen. So müssten Parteien ihre Rekrutierungsmuster ändern, was zu diverseren Parlamenten führen könnte. Zudem sollten internationale Organisationen soweit wie möglich demokratisiert werden – müssten sich also durch Wahlen legitimieren.
Und es gelte, der „technokratischen Versuchung“ zu widerstehen. Politische Fragen müssen in Parlamenten entschieden werden, nicht in Expertenrunden.
Hinter den verschiedenen Vorschlägen steht ein übergreifender Gedanke: Um den autoritären Populismus zu bekämpfen, braucht es mehr Demokratie, nicht weniger. Und es braucht, auch das betonen Schäfer und Zürn, gut informierte und engagierte Bürger. Ohne sie geht es in einer Demokratie nun mal nicht.
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