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Sachbuch über Alltag auf dem LandEine wachsende Kluft

Uta Ruge untersucht in ihrem Sachbuch „Bauern, Land“ die Spuren bäuerlichen Alltagslebens in unserer Kultur. Eine Welt, die verschwindet.

Harte Arbeit: Pflügen eines Feldes in Tarnow/Meck-Pomm Foto: Jens Büttner/dpa

Nicht nur Städte, Bauwerke und Menschen haben eine Vergangenheit, „auch ein Acker hat seine Geschichte“. Ein oft unscheinbares Stück Land, dem man seine Geschichte nicht ansieht.

Uta Ruge ist in ihr niedersächsisches Heimatdorf zurückgekehrt. Ihr Bruder Waldemar hat den elterlichen Hof übernommen, ein mittelgroßer Betrieb mit Kühen und Ackerbau, konventionell bewirtschaftet; er leidet unter der abgeschafften Milchquote und Preispolitik der Discounter, wirren EU-Regularien und mangelnder Anerkennung des Geleisteten. Fehlende Wertschätzung und mangelndes Wissen über das, was Landwirtschaft heute bedeutet, schmerzt ihm am meisten.

Aus dieser Motivation, der eigenen bäuerlichen Herkunft nachzugehen und zugleich mehr über die Veränderungen in der Landwirtschaft zu erfahren, ist ein spannendes Sachbuch mit autobiografischen Einsprengseln und historischen Einschüben entstanden. Kein Roman à la „Altes Land“, welches gar nicht weit weg an der Elbe liegt. Auch Ruges Familie waren Flüchtlinge, allerdings aus der DDR, sie kamen 1957 in das Dorf an der Niederelbe, wo sie die Regeln der engen Gemeinschaft von Moorbauern, die besonderen Witterungsverhältnisse und die spezielle Bodenbeschaffenheit kennenlernen mussten: Ein ständiges „Zuviel an Wasser“, eine Siedlergemeinschaft mit hohem Ethos, in der alle gleich waren – auch gleich arm.

Die Autorin hat in Archiven und Kirchenbüchern gegraben, hat Schul- und Dorfchroniken ausgewertet, sich durch landwirtschaftliche Schriften geackert und die Geschichte der Region und ihrer Be­woh­ne­r:in­nen recherchiert. Die Gegend gehörte im 18. Jahrhundert zum Kurfürstentum Hannover und damit zum britischen Königshaus, sie kam erst 1864 zu Preußen.

Neue Eigentumsverhältnisse

Politische Reformen, Bauernbefreiung, neue Eigentumsverhältnisse, die neue Ungleichheiten schufen, all das erreichte auch Neubachenbruch im Hadelner Land, wo die Bauern die Moore trockengelegt hatten, um ihnen im staatlichen Auftrag Acker- und Weideland abzutrotzen. Es machte sie zu freien Bauern – wenn auch als Erbpächter zu Abgaben verpflichtet. Eine Art Binnenkolonisation, die sich parallel zur Eroberung und Unterjochung fremder Länder vollzog. Der Rekrutierung für die Napoleonischen Kriege entzogen sich die Hadelner Bauernsöhne erfolgreich.

Das Buch

Uta Ruge: „Bauern, Land. Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang“. Kunstmann Verlag, München 2020, 480 Seiten, 28 Euro

Chroniken und Amtsschreiben lassen den Werdegang der Höfe und Familien nachvollziehen. Dennoch gibt es kaum Zeugnisse der meist schreib- und leseunkundigen Bauern selbst. Klerus, Bürger und Adlige trieben die Bodenreformen voran und philosophierten über Land und Leute. In einem der historischen Exkurse stößt Ruge in Vergils „Lob des Landbaus“ auf eine früh romantisierende Sicht – die Realität der Sklaverei ignorierte der römische Autor.

Idealisierung auf Lateinisch

Seine Idealisierung des einfachen Landlebens wurde jahrhundertelang durch die Lateinschulen weitergereicht. Ruge bezieht Maler wie Brueghel, van Gogh und Malewitsch ein – Letzterer hat mit „Rotes Quadrat. Malerischer Realismus einer Bäuerin in zwei Dimensionen“ eine höchst eigenwillige Interpretation der Landarbeit geleistet, während van Gogh „die Arbeit selbst“ malte, ihre physische Dimension vermitteln wollte.

Von den zwanzig Höfen des Dorfes aus Ruges Kindheit sind heute noch vier übrig. Wir wissen nicht, ob Bruder Waldemar vor einem Jahr mit seinem Trecker Richtung Berlin aufgebrochen ist, um sich für „Land schafft Verbindung“ stark zu machen. Die Bauern seien selbst auf dem Land inzwischen eine Minderheit, sagt er. Sie störten mit ihren großen Maschinen Landschaftsbild und Naturerlebnis. Alles geht heutzutage hochtechnisiert vonstatten. Kein Handgriff ist mehr so wie früher, stellt Ruge fest, als sie zu Besuch ist. Der teuer zu mietende Maishäcksler hat 600 PS und schafft zehn Reihen auf einmal. Für einen Urlaub reicht es dennoch nicht.

„Bauern, Land“ löst nicht die aktuellen Widersprüche der Agrarpolitik auf. Ob ökologische oder konventionelle Landwirtschaft sei nicht mehr die zentrale Frage, meint Ruge. Sie konstatiert die wachsende Kluft zwischen Produzenten und Konsumenten. Es ist der „ungerechte, unpassende Bauernblick“, den Ruge stellvertretend einnimmt, auf dem sie manches Mal beharrt. Auf den alten Schulfotos, die Ruge betrachtet, gibt es keine Kinder, die lächeln. Ruge selbst ist nach der Schule wie selbstverständlich weggegangen. Sie stellt fest, dass es heute eine jüngere Generation gibt, die bleibt oder zurückkehrt. Die wenigsten leben von der Landwirtschaft. Vielleicht wachsen Stadt und Land dennoch wieder mehr zusammen.

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5 Kommentare

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  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Bin dankbar das ich als Kid auf dem großelterlichen Bauernhof noch in den 60er, frühen 70er Jahren ein Landleben mit freilaufenden Hühnern (auf der noch ungeteerten Straße), Schweinen (3-4), Kühen (2-3), Hausschlachtungen, Heumachen, Kartoffelernte etc. erleben durfte.

    Heute werden dort im Dorf um 17 Uhr die Jalousien heruntergelassen, die Haustüren sind stets verschlossen (standen früher immer offen um Schwätzchen mit der Nachbarin halten zu können und die Katzen reinzulassen), keine Kids, keine Katzen geschweige den Hühner auf den Straßen, keine Oldies auf der Bank vor dem Haus.

    Heute gibt's in dem Dorf nur noch einen industrialisierten Landwirt.

  • Danke für den Tip, ich habe es bestellt.

  • DANKE Frau Seifert, ein sehr guter Beitrag !! An ihnen können sich ihre Kollegen der TAZ die über die Landwirtschaft schreiben ein Beispiel nehmen, das man auch ohne polemische Schlagwörter ( Massentierhaltung, Ackergifte, usw. ) über diesen ( aussterbenden ) Berufsstand schreiben kann.

  • Tja. Komme iwie selbst aus der Landwirtschaft; Vater gab den Vollerwerb 1983 auf; (Neben)Beruf nie - ein Bauer hört nicht auf, er stirbt...



    Das BauernSterben & die "Industialisierung" d Landwirtschaft macht sie zumindest für Banken interessant - bereits eine Maschine kostet ein Vermögen...



    Urlaub gab's auch damals schon nicht. ...vielleicht würde es für viele keinen geben, kauften sie ihre LMittel nicht im Discounter? Der Unterschied zum "Sterben"



    von Knopfmachern, Messer & ScherenS, Näherinnen, Bergleuten usw ist vielleicht der, dass Bergleute & Bauern es schafften, dass für sie unglaubliche Mengen an



    Subventionen auf gebracht wurden/werden...



    Naja, mehr Steuern sorgt "quer" auch beim HARTZ4 für günstige LMittel...



    Weiß nicht, ob der "Markt" fair ist;



    sehr demokratisch scheint es mir schon zu sein - ist doch was...



    Im erwähnten Dorf: weniger Subvention, miese Böden - schlechte Kombination;



    's halt einfach so - auch wenn's nicht einfach ist.



    Alles verkaufen?Insolvenz?HARTZ? Ein Bauer hört nicht auf, er stirbt...

    • @StSx:

      Subventioniert wird ja. Allerdings sind die (Subventions)Strukturen offenbar seit Jahrzehnten so, dass große Betriebe, Agrochemie, -pharma und -industrie profitieren. Gleichzeitig gibt es Kapitalkonzentrationen und damit auch Machtkonzentrationen im Handel. Handelskonzerne machen sich diese Macht entsprechend bei Abnahmepreisverhandlungen zu nutze. Mitgestaltet wurde diese Politik von Lobbyist*innen wie auch von CDU/CSU, SPD, FDP. Veränderungen sind durch diese Akteure nicht zu erwarten.



      Mensch müsste sich für eine Politik einsetzen, die zumindest kapitalistische Konzentrationsprozesse stoppt besser noch umkehrt und gleichzeitig die notwendige Agrarwende herbeiführt, wonach die Lebensmittelproduktion Ökologie und Interessen der Tiere entsprechen muss - sprich massive Reduzierung von Tierproduktion, Monokulturen, Pestizide usw..