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Sacharow-Preis des EuropaparlamentsDer verschmähte Brückenbauer

Der chinesisch-uigurische Wirtschaftsprofessor Ilham Tohti bekommt in diesem Jahr Europas wichtigsten Menschenrechtspreis​. Er sitzt in Haft.

Ausgezeichnet: Ilham Tohti vor einem Hörsaal einer Universität in Peking im Jahr 2010. Foto: Frederic J. Brown/afp/dpa

BERLIN taz | Ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätte das Europarlament Ilham Tothi kaum machen können. Einen Tag vor seinem 50. Geburtstag bekam der inhaftierte chinesisch-uigurische Wirtschaftsprofessor am Donnerstag den ­Sacharow-Preis für Menschenrechte des Europaparlaments zugesprochen.

„Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt er sich unermüdlich dafür ein, den Dialog und die Verständigung zwischen Uiguren und den Völkern Chinas zu fördern“, erklärte das Parlament auf seiner Webseite. „Trotz allem, was ihm widerfahren ist, spricht er sich nach wie vor für Mäßigung und Versöhnung aus.“

Der aus Chinas westlichster Provinz Xinjiang stammende Professor der Nationalitäten-Universität in Peking sitzt seit September 2014 eine lebenslange Haftstrafe ab – mutmaßlich in einem Gefängnis der Provinzhauptstadt Urumqi. Denn wie seine im US-Exil lebende Tochter ­Jewher Ilham jetzt der taz sagte, kann ihn seine Familie seit 2017 nicht mehr kontaktieren.

Ilham Tohti wurde verurteilt wegen „Separatismus“ und der „Förderung der Gewalt“, ein Vorwurf, den Beobachter absurd finden. Denn wie kein Zweiter bemühte er sich um den Dia­log zwischen Han-Chinesen, dem muslimischen Turkvolk der Uiguren und anderen Ethnien in China.

Gegen die Marginalisierung der Uiguren

Die 10 Millionen Uiguren, die fast alle in Xinjiang leben und einst dort die Mehrheit stellten, sind in der rohstoffreichen Provinz zunehmend marginalisiert. Tohti wies früh darauf hin, dass sich China Probleme schaffe, wenn die Früchte des Wirtschaftsbooms so ungleich zwischen den Ethnien verteilt seien. Denn er forschte zum Verhältnis zwischen Uiguren und anderen Volksgruppen und informierte auf einer Webseite.

„Als uigurischer Intellektueller fühle ich sehr stark, wie die Kluft und das Misstrauen zwischen den Uiguren und den Han-Chinesen jeden Tag größer wird, vor allem in der jüngeren Generation. Arbeitslosigkeit und Diskriminierung entlang ethnischer Linien haben zu verbreiteter Feindseligkeit gefühlt“, schrieb er in einem Text, den die taz im Mai 2014 dokumentierte.

Mit seinem Willen zur Verständigung widerspricht er einer radikalen Minderheit der Uiguren, die sich islamistischen Gruppen im In- und Ausland anschlossen und mehrere Attentate auf Han-Chinesen verübten. Diese Angriffe nahm China zum Vorwand für die massive Repression und Zwangsassimilation der Uiguren.

Mehr als eine Million Uiguren sind in Lagern gefangen

Laut UN sitzen mehr als eine Million Uiguren in Lagern. Dort dürfen sie nur chinesisch sprechen, müssen der KP die Treue schwören und Schweinefleisch essen. China hat die Existenz der Lager lange verleugnet, inzwischen spricht Peking von „Bildungseinrichtungen“, US-Politiker sprechen dagegen von „Konzentrationslagern“. Schon vorher war Uiguren während des Ramadan das Fasten und Jugendlichen das Beten in Moscheen verboten worden.

Das Europaparlament verdient Respekt für seine Entscheidung, sich mit der Preisvergabe an Ilham Tohti nicht dem Druck aus China gebeugt zu haben.

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