SV Wilhelmshaven im Dauer-Rechtsstreit: Nach dem Urteil ist vor dem Urteil
Der SV Wilhemshaven hat wieder einen Prozess verloren: Das Landgericht Bremen urteilte, dass der Fußballverein sich nicht in die Regionalliga einklagen darf.
Das urteilte das Landgericht Bremen am Mittwochmittag. Der Zwangsabstieg des ehemaligen Regionalligisten im Jahr 2014 war zwar unrechtmäßig, aber das geschehene Unrecht könne man nicht einfach durch einen Aufstieg wieder gerade biegen. Doch genau auf diese Art des Schadenersatzes hatte der Verein geklagt.
Obwohl der Bundesgerichtshof unlängst bestätigt hat, dass der SVW zu Unrecht abgestiegen ist, kann der Klub nach Ansicht des Landgerichts nicht einfach aus der siebten in die vierte Liga umgepflanzt werden. Eine sogenannte Naturalrestitution sei zwar der Regelfall für Schadenersatz in zivilrechtlichen Verfahren – jedoch nicht auf den Fußball übertragbar und somit in diesem Fall unmöglich. Die Klage auf einen Wiederaufstieg war formal zulässig, aber unbegründet, so Richter Ingo Behrens.
Der elfjährige Rechtsstreit zwischen dem SV Wilhelmshaven und dem Norddeutschen Fußballverband geht auf ein Ereignis in der Saison 2006/07 zurück. Der SVW, damals noch Regionalligist, hatte den italienisch-argentinischen Fußballspieler Sergio Sagarzazu verpflichtet. Dessen argentinische Heimatvereine forderten gemäß Fifa-Regularien eine Ausbildungsentschädigung in Höhe von 157.000 Euro aus Wilhelmshaven. Eine Regelung, die kleine Vereine entlohnen soll, wenn sie Talente ausgebildet haben, die dann bei großen Klubs Karriere machen.
Nun ist der SV Wilhelmshaven aber nicht gerade ein großer Klub und die geforderte Summe für einen Regionalligisten existentiell. Also weigerte sich der Verein zu zahlen und zog vor Gericht.
Harald Naraschweski, Anwalt des SV Wilhelmshaven
2014 folgte auf Druck der Fifa der Zwangsabstieg. Vor dem Landgericht Bremen und dem internationalen Sportgerichtshof Cas scheiterte der ehemalige Viertligist zwar mit Rechtsmitteln gegen den damaligen NFV-Beschluss. Aber vor dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof bekam er schließlich letztinstanzlich Recht. Die Regularien des lokalen Fußballverbands NFV seien zu schwammig für den verhängten Zwangsabstieg – Fifa-Recht habe demnach keine Geltung, urteilten die Richter 2016, Wilhelmshaven ist zu Unrecht abgestiegen.
Das Urteil kam leider reichlich zu spät, denn inzwischen war der Verein nach Druck von der Fifa bereits aus der Liga geworfen worden. Der Weltverband hatte damals, gewohnt großspurig, sogar dem Deutschen Fußballbund (DFB) mit einem Ausschluss aus der WM-Qualifikation gedroht, woraufhin der DFB nachgab und Wilhelmshaven absteigen musste – zum Ende des Saison 2013/14. Es war ein Fall ins Bodenlose: Inzwischen dümpelt der Verein im unteren Tabellendrittel der siebten Liga herum und hat gerade in der Bezirksliga Weser-Ems II gegen den Vfl Stenum verloren – immerhin der Klassenerhalt scheint derzeit gesichert.
Inzwischen ging es vor Gericht um die Frage, ob und welche Entschädigung Wilhelmshaven eigentlich zusteht. Der Zwangsabstieg wurde mitten in der Saison 2013/14 verhängt, als Wilhelmshaven auf einem Nicht-Abstiegsplatz stand. Der SVW musste die Saison trotz Rausschmiss zu Ende spielen und stieg letztlich auch sportlich ab. Der verhängte Zwangsabstieg sei eine klare Wettbewerbsverzerrung gewesen, argumentieren die Wilhelmshavener nun vor Gericht, die Spieler hätten nach Bekanntgabe nicht mehr das Maximum herausgeholt. Der Klub müsse sich daher wieder in die Regionalliga einklagen können. Der NFV hielt dagegen: Ach was, der Klub sei ja ohnehin sportlich abgestiegen.
Eine Frage der Beweislast
Richter Behrens gab dem NFV Recht: Die Beweislast liege beim Kläger. Der SV Wilhelmshaven hätte belegen müssen, dass er ohne drohenden Zwangsabstieg die Klasse gehalten hätte. Und weil das aufgrund der Komplexität einer Fußballsaison unmöglich sei, könne man sich nicht in die Regionalliga einklagen.
Nach dem Urteil vom Mittwoch schloss der SVW eine außergerichtliche Einigung erneut aus – wie er es bereits bei der mündlichen Verhandlung im Dezember verkündet hatte (taz berichtete).
Der NFV hingegen zeigte sich weiterhin aufgeschlossen hinsichtlich einer Einigung: Man sei bereit, eine finanzielle Entschädigung in niedriger sechsstelliger Höhe zu zahlen, so NFV-Präsident Eugen Gehlenborg. Allerdings habe der SVW in außergerichtlichen Verhandlungen weiterhin auf einen Betrag in Millionenhöhe beharrt. Nach dem letzten Urteil fühlt sich der NFV bestätigt, sagte aber dennoch: „Wir wollen weiterhin dem Verein helfen, auf die Beine zu kommen.“ Die Tür stehe für Gespräche immer offen, so Gehlenborg.
Der Kampf geht weiter
„Fakt ist, dass der NFV dem Verein böse mitgespielt hat“, sagte Harald Naraschweski, Wilhelmshavens Anwalt, nach dem Urteil. Der NFV habe ein Desaster angerichtet und „will sich nun mit einer Summe aus der Affäre ziehen, die nicht annähernd den entstandenen Schaden deckt.“ Und natürlich sei es möglich mit genügend Geld und einem Vorlauf von einem halben Jahr wieder in der vierten Liga anzutreten, so Naraschewski. Das hatte er bereits bei einem mündlichen Gütetermin im vergangenen Dezember klar gesagt: „In einem Rechtsstreit will ich nur eine Instanz gewinnen: nämlich die letzte.“
Entsprechend will sich der SVW weiter durch die Instanzen klagen und kündigte an, in Berufung zu gehen. Der Kampf von Wilhelmshaven gegen Fifa, DFB und den norddeutschen Fußballverband geht weiter. Nächste Instanz ist dann erneut das Oberlandesgericht Bremen.
Aber eines hat die Klagefreudigkeit des SVW auf dem Weg durch die Instanzen schon gezeigt: Es ist nicht aussichtslos, sich mit der Fifa und den Verbänden anzulegen. Und so hofft der SV Wilhelmshaven auf das 3:3 vor dem Oberlandesgericht und, da stimmt die Einschätzung von Anwalt Naraschewski, vor Gericht gelten die gleichen Regeln wie auf dem Bolzer um die Ecke: Das letzte Tor entscheidet.
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