SPD regiert im Bund und in Berlin: Alles Sozialdemokraten, oder was?
Erstmals seit Jahren stellt die SPD die Regierungschefs sowohl in Berlin wie im Bund. Eröffnet das Franziska Giffey neue Chancen? Ein Wochenkommentar.
J etzt könnte also das große Durchregieren losgehen: Vom Kanzleramt übers Rote Rathaus bis in die Berliner Bezirksämter – zumindest in fünf von zwölf davon – stellt die SPD derzeit die Chefs und Chefinnen, angefangen von Olaf Scholz über Franziska Giffey bis hin zum neuen Marzahn-Hellersdorfer Bürgermeister Gordon Lemm. Aber ist das wirklich so? Garantiert das gleiche Parteibuch Nähe und ähnliche Politik?
Im Zweifelsfall: Nein. Die Themen und Fragestellungen sind viel zu unterschiedlich.
Ein Grund dafür liegt im politschen System der Bundesrepublik verankert. Denn genau dafür gibt es ja die unterschiedlichen Regierungs- und Parlamentsebenen statt einer starken Zentralgewalt wie in Frankreich, wo die Regionen viel weniger Macht haben als in Deutschland die Bundesländer.
Was Olaf Scholz also im Kanzleramt für richtig hält und was auf Bundesebene auch von den Koalitionspartnern Grüne und FDP für gut befunden wird, kann schon auf Landesebene ganz anders aussehen. Denn ein Bundeskanzler muss einen Weg für alle finden, der sowohl in den Stadtstaaten wie auch in den Flächenländern passt. Es geht also letztlich um die hohe Kunst des Kompromisses.
Im Roten Rathaus ist man aber oft davon überzeugt, besser über das Bescheid zu wissen, was für die 892 Quadratkilometer Berliner Stadtgebiet und die dort lebenden mehr als 3,7 Millionen Menschen gut ist. Und nur viereinhalb Kilometer von der Senatskanzlei entfernt im SPD-regierten Neuköllner Rathaus kann man der Ansicht sein, dass man auf Landesebene viel zu abgehoben und zu weit weg vom konkreten Alltag zwischen Sonnenallee und Hermannstraße ist.
Neukölln ist dabei ein Beispiel dafür, was in der Politik oft viel mehr zählt als das gleichfarbige Parteibuch: persönliche Nähe und die genaue Kenntnis der Verhältnisse. Franziska Giffey und Martin Hikel, der ihr als Neuköllner Bürgermeister im Amt folgte, könnten vielleicht auch als Parteilose oder mit unterschiedlichem Parteibuch gut zusammen arbeiten. Entscheidend dafür ist aber letztlich: Kennt man sich? Und zudem: Folgt daraus, dass man oder frau einander vertrauen?
Das gleiche Parteibuch mag zwar in gewisser Weise dafür stehen, dass Menschen gewisse Grundwerte teilen – was im Kern letztlich heißt: Mehr oder weniger Staat, mehr Selbstverantwortung oder weniger. Aber zum einen ist die interne Bandbreite groß, egal ob bei SPD, Linkspartei oder Grünen, jenen Parteien also, die in Berlin im Senat regieren und Bezirksämter leiten. Das geht vom grünen Bürgerlichen bis zum Rigaer-94-Versteher, von Regierungsfreunden bis zu -gegnern oder, um das mal an Personen festzumachen, von Franziska Giffey bis zu Kevin Kühnert.
„Freund, Feind, Parteifreund“
Zum anderen bewahrheitet sich immer wieder eine Steigerungsformel, die in ähnlicher Form angeblich auf Konrad Adenauer zurück geht: „Freund, Feind, Parteifreund“. Das hat ja auch eine gewisse Logik, machtpolitisch zumindest. Der Kollege von der anderen Partei kann einem nur alle vier oder fünf Jahre bei den nächsten Wahlen gefährlich werden. Der Parteifreund hingegen kann einem bei jeder Ortverbandssitzung das eigene Fortkommen erschweren oder wohl gemeinte Projekte blockieren.
Wenn es nur nach dem Parteibuch ginge, hätte etwa Quasi-Bundeskulturministerin Monika Grütters, lange parallel die hiesige CDU-Chefin, in der vergangenen Wahlperiode kaum einen Cent für Berlin locker machen können. Denn Finanzminister war ja nicht mehr wie zuvor Parteifreund Wolfgang Schäuble, sondern der schon zitierte SPDler Scholz. Dem war aber nicht so.
Insofern mag in Zukunft gelegentlich zwar durchaus mal ein Foto auftauchen, das die SPD-Führungskräfte auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene zusammen zeigt. Die größte Gemeinsamkeit dürfte aber sein, dass alle Abgebildeten das Bild in ihrer eigenen nächsten Werbebroschüre abdrucken können.
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