SPD bei der Bayernwahl: Die historische Verliererin
Noch nie hat die SPD bei einer Landtagswahl in der Bundesrepublik so schlecht abgeschnitten wie jetzt in Bayern. Es herrscht Frust.
Ein Mädchen mit blondem Haar, gelbem Pulli und großer Brille hält eine regenbogenfarbene Schultüte im Arm und schaut vorsichtig lächelnd an der Kamera vorbei. Auf den Rücken hat sie ihren Schulranzen geschnallt. Am Donnerstag, dem Weltmädchentag, postet Natascha Kohnen ein Kindheitsfoto von sich auf Twitter. Ihre Mutter, schreibt sie dazu, habe sie „immer ermutigt, meinen Weg zu gehen.“
Stärke und Gelassenheit wird Natascha Kohnen, 50, Landeschefin und Spitzenkandidatin der Bayern-SPD, nun brauchen. Ihr Name ist jetzt für immer mit einem politischen Drama verbunden. Es ist keine Neuigkeit, dass die Sozialdemokratie im Freistaat seit jeher darbt wie ein vertrocknetes Alpenveilchen in der Felsspalte. Aber die 9,7 Prozent, auf die Kohnens Truppe nun abgerutscht ist, sind eine historische Niederlage. Das Ergebnis täte „unglaublich weh“, sagte Kohnen am Wahlabend in München.
Kaum weniger deprimiert zeigte sich die SPD-Partei- und Bundestagsfraktionsvorsitzende Andrea Nahles in Berlin. „Dies ist ein sehr schlechtes Ergebnis für die SPD“, sagte sie im Willy-Brandt-Haus. Es sei „bitter“, dass ihre Partei die Wählerinnen und Wähler nicht habe überzeugen können. „Sicherlich ist einer der Gründe für das schlechte Abschneiden auch die schlechte Performance der Großen Koalition hier in Berlin“, zeigte sich Nahles selbstkritisch. „Fest steht, das muss sich ändern.“ Kohnen dankte sie für ihren großen Einsatz.
Wie umstandslos die WählerInnen Kohnen durchfallen ließen, ist dabei nicht leicht nachzuvollziehen. Eigentlich machte sie ihren Job nicht schlecht. Kohnen rackerte wie eine Verrückte, reihte 15-Stunden-Tage aneinander, tingelte durch die Städte. Sie schob konsequent soziale Themen wie den Wohnungsbau nach vorne. Sie weigerte sich beharrlich, auf das Gepolter der CSU in der Flüchtlingspolitik einzusteigen.
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Bei einem Forum der Nürnberger Nachrichten las sie dem Ministerpräsidenten vor der Wahl ruhig die Leviten. Seehofers Satz, dass sich die CSU „bis zur letzten Patrone“ gegen Zuwanderung in die Sozialsysteme sträuben werde, sei „unglaublich gefährlich“. Der massige Söder schaute neben der zierlichen Frau nach unten, fast konnte man denken – beschämt. Der Treffer saß. Doch Kohnen konnte ihre SPD nicht aus dem Abwärtssog befreien. Nicht sie wurde im Wahlkampf die weibliche Anti-Söder, sondern die Grüne Katharina Schulze.
Die Gründe für den Absturz sind vielfältig. Klar ist: Kohnen, die erst im Mai 2017 den Landesvorsitz übernahm, erbte einen desolat aufgestellten Laden. Aber auch persönliche Schwächen werden ein Thema sein. War ihr leiser, kaum zuspitzender Stil zeitgemäß? War die Bayern-SPD zu vorsichtig, um in sozialen Netzwerken durchzudringen, die nach steilen Thesen gieren?
Sicher spielte auch der Frust über die Große Koalition in Berlin eine Rolle. Das Schweigen der SPD-Spitze zu den Provokationen der CSU, die absurde Dominanz der Flüchtlingspolitik, die alles überstrahlte, schließlich der Fall Maaßen – all das schadete Kohnens Wahlkampf. Als Nahles mit Merkel und Seehofer verabredete, den umstrittenen Verfassungsschutzchef in den Rang eines Staatssekretärs wegzuloben, war Kohnens Geduld am Ende. Sie schrieb einen Brandbrief an Nahles. Es war eines der seltenen Male, dass sie auf den Putz haute. Nahles lenkte ein und verhandelte neu.
Genutzt hat es Kohnen nichts. Die leise Spitzenkandidatin steht vor einem Trümmerhaufen. Die SPD befinde sich „im freien Fall“, sagte der langjährige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude konsterniert am Wahlabend. Nach den „erdrutschartigen, existenzbedrohenden Verlusten“ seien jetzt „grundlegende Konsequenzen erforderlich“, forderte er. „Da muss alles auf den Prüfstand.“
Erste Rücktrittsforderungen noch am Wahlabend
Was etwas verklausuliert, aber doch eindeutig auch auf Kohnen zielte. So erinnerte Ude an die frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die sich nach ihrer schweren Wahlniederlage 2017 umgehend aus der Politik zurückzogen hatte. An einem solchen „Beispiel von Haltung, Verantwortung und Konsequenz“ käme jetzt auch die Bayern-SPD nicht vorbei.
Mit Ude als Spitzenkandidaten war die SPD bei der Landtagswahl 2013 noch bei 20,6 Prozent gelandet. Jetzt hat sich die WählerInnengunst für seine Partei mehr als halbiert. Im Freistaat ist die SPD hinter CSU, Grünen, Freien Wählern und AfD nur noch fünftstärkste Kraft.
Noch ungeschminkter den Rücktritt von Kohnen forderte der bayrische SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post. „Heute kann es keine andere Reaktion geben, als alles – Personal, Programm und Kampagne – komplett in Frage zu stellen und endlich wirklich Konsequenzen zu ziehen“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Ich sehe keine Alternative zu einem sehr schnellen Vorziehen des ordentlichen Landesparteitages mit Neuwahlen.“ Das forderte auch der SPD-Landtagsabgeordnete Florian von Brunn. „Man kann die Verantwortung jetzt nicht nur nach Berlin abschieben“, sagte er.
„Das wird ein langer, harter Weg, uns da wieder herauszuarbeiten“, sagte eine zutiefst frustrierte Natascha Kohnen am Sonntagabend in München. „Wir werden in den nächsten Wochen über alles reden“, kündigte sie an. Auch über ihre politische Zukunft werde dabei gesprochen: „Wenn ich sage, über alles, dann meine ich: über alles.“ Es gehe nun darum, den „Glauben an die Sozialdemokratie“ wieder herzustellen. Das gehe nur mit einer ganz klaren Haltung. „Die Menschen müssen wieder glauben, was wir sagen“, sagte Kohnen.
In der Geschichte der Bundesrepublik landete die SPD bisher nur ein einziges Mal bei einer Landtagswahl unter zehn Prozent, mit 9,8 Prozent 2004 in Sachsen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis liegen Natascha Kohnen und die Bayern-SPD darunter. Noch ein historischer Negativrekord. Traurige Zeiten für SozialdemokratInnen.
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