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SPD-Wahlkampfstart in BerlinEine Partei applaudiert sich selbst

Rainer Rutz
Kommentar von Rainer Rutz

Die Berliner SPD stellt mit Steffen Krach ihren Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl 2026 vor. Die Stimmung ist ausnahmsweise blendend.

Friede, Freude, Sozialdemokratie: Der designierte SPD-Spitzenkandidat Steffen Krach (M.) Foto: Britta Pedersen/dpa

B erlin liebt Wahlkämpfe. Deswegen musste 2023 die Abgeordnetenhauswahl von 2021 wiederholt werden, 2024 dann noch die Bundestagswahl, Anfang dieses Jahres durften die Ber­li­ne­r:in­nen schon wieder zur richtigen Bundestagswahl ran. Dann war erst mal Schicht im Schacht. Bis zu diesem Montagvormittag, als die Berliner SPD die freudlose, weil wahlkampflose Durststrecke für beendet erklärte.

Die nächste Abgeordnetenhauswahl steht zwar erst in etwas mehr als einem Jahr an. Die SPD macht trotzdem schon Tempo. So verkündete ihr designierter Spitzenkandidat Steffen Krach in einem „Experimentierlabor“ am Gleisdreieck-Park in Kreuzberg vor den versammelten Parteigranden (und den Medien): „Ich habe richtig Bock auf Wahlkampf.“ Vor allem aber: „Ich starte heute in den Wahlkampf.“

Der 46-Jährige, bislang Präsident der Region Hannover und davor sieben Jahre Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung in Berlin, soll für die SPD das Rote Rathaus zurückerobern. Das hatte der Parteivorstand in der vergangenen Woche beschlossen.

Steffen Krachs großer Vorteil ist, dass er mit den knallhart geführten parteiinternen Ränkespielen der Berliner SPD nichts zu schaffen hat. Sein großer Nachteil: Die meisten Ber­li­ne­r:in­nen können mit seinem Namen wenig bis nichts anfangen, vorerst zumindest.

Abteilung Attacke

Um das zu ändern, schaltete Krach bei seiner offiziellen Vorstellung von Beginn an auf Angriff. Die Arbeit von CDU-Senatschef Kai Wegner sei „träge, ambitionslos und halbherzig“, Berlin werde „aus dem Roten Rathaus unter Wert regiert“. Auf Bundesebene höre man mehr aus Schleswig-Holstein als aus der Hauptstadt über Themen, die über die Länder hinausgehen.

Die ebenfalls am Montag gestartete SPD-Kampagne trägt folgerichtig den Titel „Berlin macht Krach“. Wortwitz und so. Dass die SPD in Berlin mitregiert und Umfragen die Partei abgeschlagen bei 14 Prozent sehen – geschenkt. Die Stimmung unter den rund 50 anwesenden Ge­nos­s:in­nen in dem viel zu kleinen, vollbesetzten „Labor“ am Park war jedenfalls blendend.

Parteilinke, Parteirechte, dazu die fast vollständige Se­na­to­r:in­nen­rie­ge und der machtbewusste SPD-Fraktionschef Raed Saleh: Eine Partei applaudiert sich selbst. Es hätte nur noch gefehlt, dass die Ge­nos­s:in­nen nach Krachs Ansprache aufgestanden wären und gemeinsam „Wann wir schreiten Seit' an Seit'“ geschmettert hätten.

Die große „Geschlossenheit“

Krach lobte dann auch „die Geschlossenheit der Berliner SPD“. Was grob betrachtet eine steile These ist, wenn nicht gar wahrheitswidrig. Mit Blick auf seine Nominierung scheint die Aussage aber immerhin zuzutreffen.

Um zu demonstrieren, dass wirklich alle hinter ihm stehen, durften im Anschluss an Krach auch noch diejenigen für ihn werben, die sich zuvor vergeblich Hoffnungen auf die Spitzenkandidatur gemacht hatten: Raed Saleh und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey.

„Wenn wir zusammenstehen, dann ist Erfolg möglich“, erklärte Giffey. „Ich finde die Entscheidung sehr gut, ich bin fein damit“, sagte Saleh, der nebenbei vor allem hervorhob, was er persönlich mit Steffen Krach bereits alles durchgesetzt habe, als Krach noch Staatssekretär in Berlin war.

Der Laune wohl alles andere als abträglich war dabei der Umstand, dass Krach bei innerparteilichen Streitpunkten vage blieb oder auswich. Gefragt beispielsweise, wie er zur Debatte um das kostenlose Schulmittagessen steht, forderte Krach mehr Unterstützung vom Bund und erklärte ansonsten: „Es kann nicht der erste Schritt sein, dass wir bei den Familien gucken, wo wir sparen.“

Die Beitragsfreiheit im Bildungsbereich ist ein lieb gehegtes Steckenpferd von Raed Saleh, der konservative Parteiflügel stellt sie infrage, darunter die Landesvorsitzenden Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel. Insofern ist es nicht ungeschickt von Krach, sich zunächst nicht zu positionieren, will er nicht sofort von Teilen des eigenen Ladens verspeist werden, namentlich den Saleh-Un­ter­stüt­ze­r:in­nen.

Am Montag klopfte der SPD-Fraktionschef dem SPD-Spitzenkandidaten in spe also erst mal für dessen „Kampfkraft“ auf die Schulter. Auch das unter Applaus.

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Rainer Rutz
Ressortleiter taz berlin
Seit August 2023 Ressortleiter taz berlin, Schwerpunkt: Landespolitik
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