SPD-Parteitag in Berlin: „Zuversicht, krächz, krächz“
Mit großem Rückhalt werden Saskia Esken und Lars Klingbeil auf dem SPD-Parteitag wiedergewählt. Einer wird geschont.
Das ist ein Zeichen, wie stabil die Partei im Vergleich zu den Nuller- und Zehnerjahren geworden ist. Dass die Genoss:innen Esken und Klingbeil durchfallen lassen würden war auch nicht erwartet worden. Denn es ist das große Verdienst der beiden, dass die SPD im Innern jetzt so geschlossen da steht. Das sei 2019 auf dem letzten Präsenzparteitag noch ganz anders gewesen, sagt ein Mitglied des Parteivorstands. „Damals haben wir uns die Köpfe eingeschlagen, das war schlimm.“
Im Inneren ist die SPD also in weitaus besserer Verfassung als vor vier Jahren. Doch nach außen sieht sie nicht gut aus: In der Gunst der Wähler:innen ist die Kanzlerpartei mittlerweile auf 14 Prozent abgesackt – der bisher absolute Tiefpunkt dieser Legislatur und das zur Halbzeit der Ampel.
Zum Auftakt ihrer Bewerbungsrede hatte Saskia Esken versucht, Zuversicht zu verbreiten – und streute dieses Schlagwort gleich mehrmals in ihrer Rede ein. „Die SPD hat wieder zu sich gefunden“, behauptete sie forsch. Mit „Geschlossenheit und Zuversicht“ habe man die Bundestagswahl gewonnen, und damit werde man auch wieder aus dem Tief kommen. Die Union ging Esken scharf an. Diese sei „wahrhaftig die populistischste Opposition aller Zeiten“. Merz und seine Partei hetzten „im Chor mit der AfD“ und arbeiteten nicht nur gegen die Regierung, sondern auch „gegen den Zusammenhalt und gegen das Land“.
Bockwurst und Malle sind zweitrangig
Dem politischen „Vandalismus“ stellte sie die „Verantwortung“ der SPD entgegen. Es sei gefährlich, dass sich CDU und CSU der populistischen Muster der AfD bediene, denn das befördere Zweifel und Verunsicherung. Insbesondere in der migrantischen Community kippe die Stimmung, warnte sie, das dürfe man nicht zulassen. „Rassismus und Ausgrenzung sind ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die unser Land mit aufgebaut haben“, erklärte sie. Am Ende hatte sie zwar einen Frosch im Hals. Trotzdem beendete sie ihre Rede noch mit dem Wort „Zuversicht, Krächz, krächz“.
Klingbeil versuchte ebenfalls, den Genossen Mut zuzusprechen: Die SPD sei immer wieder aufgestanden. „Wir haben immer an uns geglaubt, auch wenn andere uns abgeschrieben haben.“ Klar, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe alle vor eine schwere Aufgabe gestellt. Trotzdem müsse der Kompass klar sein: Weiter investieren, kein Wackeln bei der Unterstützung der Ukraine und kein Abbau des Sozialstaates.
Eine Trias, die durch das gegenwärtige Milliardenloch im Haushalt gefährdet ist. Noch haben Olaf Scholz, FDP-Finanzminister Christian Lindner und der Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in tagelangen Dreierrunden keinen Kompromiss gefunden. Am Sonntag wird weiter verhandelt.
Klingbeil erinnerte seine Genossen aber auch noch mal daran, für wen die SPD Politik mache: Nämlich für jene, die jeden Morgen aufständen und zur Arbeit gingen, für die Leisen, die Fleißigen, die Vernünftigen – also die herzensguten Menschen oder, laut Klingbeil, die Mehrheit im Lande. „Diese Menschen setzen auf uns.“ Es dürfe in der Politik nicht darum gehen, „ob jemand Auto fährt, Bratwurst isst oder mit dem Flieger einmal im Jahr nach Malle fliegt.“ Auch nicht darum, ob man gendere. Sondern um bezahlbare Miete, um gute Löhne, um anständige Pflege und die beste Bildung. Das quittierte der Saal mit lautem Beifall.
Scholz soll das Ruder in die Hand nehmen
Der SPD-Vorsitzende sieht eine Grundsatzdiskussion über den Sozialstaat heranrollen und neue Auseinandersetzungen mit den Neoliberalen: „Die Marktradikalen, die den Staat für ein aufgeblähtes Monster halten, der die Menschen bevormundet, werden lauter.“ Konkret gab er CDU-Chef Friedrich Merz eine mit: „Friedrich von gestern wird niemals die Zukunft unseres Landes sein.“ Doch angesprochen fühlen, dürften sich wohl auch die Liberalen.
Klingbeil versprach, die SPD werde für einen Staat kämpfen der investiere und schütze. Und gegen eine AfD, die Deutschland ins Verderben führe. „Die AfD darf niemals Macht über unser Land bekommen“, rief er und forderte die Genossen auf, dafür zu kämpfen. Die Rede Klingbeils war die eines Bundestrainers, der seiner verunsicherten Mannschaft wieder Mut und Zuversicht einimpfte. Jedenfalls erhoben sich die Sozialdemokraten danach und spendeten stehend Applaus.
Einen ließen sowohl Klingbeil als auch Esken fast außen vor: Olaf Scholz. Der Kanzler wurde zu Beginn des Parteitags mit warmem Applaus empfangen. Scholz wird geschont, obwohl die schlechten Umfragewerte auch ihm angelastet werden. „Wenn etwas schief läuft, dann ist Olaf Scholz schuld“, lacht Elvan Korkmaz-Emre am Rande des Parteitags im Gespräch mit der taz. Sie ist eine von mehreren stellvertretenden Vorsitzenden in Nordrhein-Westfalen. Die SPD müsse in der Koalition das Ruder stärker in die Hand nehmen, findet sie. „Jemand muss den Hut aufhaben“: da müsse Olaf Scholz mehr Initiative zeigen. Scholz wird am Samstag reden, seine Rede wird mit Spannung erwartet.
Am Freitag debattierte der Parteitag auch über den Leitantrag, der das Fundament für das Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025 bilden wird. Die Sozialdemokraten wollen bis 2030 den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft wuppen, mit einer Millionen neuer Jobs und massiven staatlichen Investitionen. Dazu will die SPD unter anderem an die Schuldenbremse ran, Reiche stärker in die Verantwortung nehmen und Multimillionen-Erben stärker besteuern.
Umstritten war zunächst, ob die Schuldenbremse nur modernisiert oder abgeschafft werden soll. Die Jusos forderten in einem eigenen Antrag sie zu streichen.
Am späten Nachmittag präsentierte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dann den Kompromissvorschlag, auf den sich Jusos und Parteivorstand geeinigt hatten: Starre Begrenzungen der Kreditaufnahme, wie sie derzeit in Verfassungen stehen, werden abgelehnt. „Sie verhindern Investitionen und beeinträchtigen die Handlungsfähigkeit des Staates.“ Der Leitantrag wurde einstimmig angenommen.
Denn im Ziel sind sich alle Redner:innen in den Berliner Messehallen einig – sie wollen einen handlungsfähigen Staat, der investiert und materielle Sicherheit gibt. Einen klassischen Sozialstaat also.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein