piwik no script img

SPD Bremen streitet über AbrüstungFehde um den Frieden

Wieso stimmten die Bremer SPD-Bundestagsabgeordneten einer Erhöhung des Verteidigungsetats zu? Beschlüssen des Landesverbands läuft das zuwider.

Schützenpanzer Marder vor der Demontage. Die SPD in Bremen will nicht aufrüsten, hat aber für die Erhöhung des Bundeswehr-Etats gestimmt. Foto: dpa

Bremen taz | In der Bremer SPD rumort es. Unter den GenossInnen ist eine Debatte um das friedenspolitische Profil entbrannt – und um das Abstimmungsverhalten der beiden Bremer SPD-Abgeordneten im Bundestag. Sarah Ryglewski und Uwe Schmidt hatten Ende November dem Bundeshaushalt für 2019 zugestimmt, der eine deutliche Erhöhung des Verteidigungsetats vorsieht. Allerdings: Ein friedenspolitischer Beschluss des Landesverbands hatte sich genau dagegen ausgesprochen. Das setzt vor allem Ryglewski unter Druck, die auch stellvertretende Landesvorsitzende ist.

Zu Verstehen ist die Diskussion in Bremen vor dem Hintergrund des bundesweiten Bemühens um „Erneuerung“ der Sozialdemokraten. Letzte Umfragen sehen sie knapp bei dramatischen 14 Prozent. Auch die Bremer GenossInnen strampeln dagegen an. Der Bremer Fraktionsvorsitzende flirtet mit der Linkspartei und der Landesverband versucht, sich ein klareres Profil zu geben: linker, sozialer, friedenspolitischer.

Im April beschloss der Landesparteitag unter dem Titel “‚Erneuerung‘ nur mit klarem friedenspolitischen Profil“, für eine „Ent­span­nungs­po­li­tik“ einzustehen. Abgelehnt werde das Ziel, die Nato-Militärausgaben bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu steigern. „Die Modernisierung der Bundeswehrausrüstung darf sich mittelfristig nur im Rahmen der allgemeinen Haushaltssteigerung bewegen“, heißt es darin weiter. Eine Forderung, die SPD-Staatsrätin Ulrike Hiller zuletzt auf dem Antikriegstag im September wiederholte.

Im jüngst beschlossenen Bundeshaushalt für 2019 nun ist – neben der Erhöhung der Ausgaben für Soziales, Arbeit und Familien – die Steigerung des Verteidigungsetats von 38,5 auf 43,2 Milliarden Euro um knapp zwölf Prozent veranschlagt. Der Etat des Entwicklungsministeriums wächst von 9,4 Milliarden Euro auf 10,2 Milliarden mit acht Prozent aber nicht so stark wie der des Verteidigungsministeriums. Das weicht ab vom Koalitionsvertrag, in dem sich SPD und Union darauf geeinigt hatten, die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und Mittel der Entwicklungshilfe eins zu eins zu koppeln. Und es weicht ab von den Bremer Beschlüssen.

"Beginn einer Aufrüstungswelle"

Kritik kommt deshalb unter anderem von den Jusos. „Aufrüstung ist das völlig falsch Signal“, sagt deren Landesvorsitzender Sebastian Schmuggler. Auch andere GenossInnen der Parteibasis haben Redebedarf und sorgen sich insbesondere darum, dass die SPD nach außen verlogen wirken könnte.

Diskutiert wird darüber deshalb nun auf der nächsten Sitzung des SPD-Landesvorstands am 14. Dezember. Bei dessen Mitgliedern ist die Stimmung gespalten. Der ehemalige Juso-Landeschef David Ittekkott erklärte, er könne nachvollziehen, dass man den ganzen Haushalt nicht wegen eines Postens ablehnen könne. Schriftführer Karl Bronke hingegen formuliert explizite Kritik an der Erhöhung des Verteidigungsetats, will das aber nicht allein Ryglewski und Schmidt anlasten.

Deutlicher wird SPD-Vorstandsmitglied und Bürgerschaftsabgeordneter Arno Gottschalk. Er hat an dem friedenspolitischen Beschluss des Landesverbands maßgeblich mitgearbeitet und hätte von Ryglewski und Schmidt eine Enthaltung bei der Haushaltsabstimmung erwartet. „Das ist der Beginn einer Aufrüstungswelle, wie ich sie mir nicht wünsche in diesem Land“, sagt er. „Die Frage ist: welche Haltelinien haben die Genossen im Bund?“

Die Frage ist: Welche Haltelinien haben die Genossen im Bund?

Arno Gottschalk, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter

Ryglewski hingegen überraschen die Vorwürfe. In einer Koalition müsse man immer abwägen. „Der Schutz des Rentenniveaus, der soziale Arbeitsmarkt, das Gute-Kita-Gesetz, der Ausbau der Ganztagsschulen – auch das steht alles im Haushalt“, sagte Ryglewski der taz. „Das sind Maßnahmen, von denen Bremen und Bremerhaven direkt profitieren.“ Deshalb habe sie dem Haushalt „sehr gerne“ zugestimmt. Bei der Erhöhung der Verteidigungsausgaben wiederum finde der größte Aufwuchs in den Bereichen Beschaffung und Materialerhalt statt, sagt die Bundestagsabgeordnete. Die Parlamentarier hätten eine Verantwortung für die Ausstattung der SoldatInnen in Auslandseinsätzen.

Dieser Argumentation widersprechen sowohl Gottschalk als auch Bronke: Die Mehrausgaben für Rüstungsgüter wie U-Boote hätten mit dem Material der Soldaten in Mali, Kosovo oder Afghanistan wenig zu tun.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Zitat: „Wieso stimmten die Bremer SPD-Bundestagsabgeordneten einer Erhöhung des Verteidigungsetats zu? Beschlüssen des Landesverbands läuft das zuwider.“

    Falsche Frage, das. Die richtige Frage wäre gewesen: Wie kommt "ihr" Landesverband dazu, den Bremer SPD-Genossen ihr Abstimmungsverhalten vorschreiben zu wollen? Kennt er etwa das Grundgesetz nicht? Oder fühlt er sich an die Verfassung nicht gebunden, in deren Artikel 38 Abs. 1 es unmissverständlich heißt: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages […] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“?

    Wäre ich Sarah Ryglewski oder Uwe Schmidt, würde ich mich vermutlich völlig zu Unrecht „unter Druck“ gesetzt fühlen. Vor allem, wenn ich nicht das Gefühl hätte, den Zusammenhang zwischen meinem Abstimmungsverhalten und dem letzten Umfrageergebnis so erklärt bekommen zu haben von meinem Vorgesetzten (oder sonst irgendwem), dass ich ihn – zumindest ansatzweise – verstehen und zur Grundlage meines Abstimmungsverhaltens machen kann.

    Übrigens: Die SPD scheint nicht die einzige Partei zu sein, bei der Theorie und Praxis manchmal auseinander driften. Die Grünen und die Linken haben das Problem auch – von den Unionsparteien, der FDP und der AfD gar nicht zu reden. Offenbar setzen Menschen in konkreten Situationen mitunter spontan andere Prioritäten, als sie nach Ansicht von Leuten setzen sollten, die im entscheidenden Moment nicht in ihrer Haut gesteckt haben.

    Womöglich ist die ganze Stellvertreterei ja prinzipiell problematisch. Und zwar schon deswegen, weil man im Voraus schlicht nicht wissen kann, welche Zusätzlichen Argumente angeführt werden unmittelbar vor der Entscheidung, die zu treffen ist. (Auf die Art ist die Mauer gefallen, erinnere ich mich dunkel.)

    Aber schon klar: Leute, die sich (sehr gut) dafür bezahlen und (reichlich) hofieren lassen, dass sie andere stellvertreten, müssen das ja nicht unbedingt kapieren (wollen).

  • In der Bremer SPD gibt es glücklicherweise nach wie vor erkennbare Strömungen, sich von der Parteiführung und auch dem Bundesaußenminister wegen seines Anti-Russland-Kurses abzugrenzen.

    Die Rede von Arno Gottschalk beim Ostermarsch



    [ www.bremerfriedens...termarsch-2018.pdf ] war dafür ein Zeichen und auch das Eintreten von Bürgermeister Carsten Sieling für den Atomwaffenverbotsvertrag vor einem Jahr belegen dies



    [ www.bremerfriedens...r_Friedensdemo.pdf ], wird aber in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

    Die Bremische Bürgerschaft ist das einzige Länderparlament, dass sich eindeutig für eine deutsche Unterzeichnung und Ratifizierung des UN-Vertrages über das Verbot von Kernwaffen positioniert hat:



    [ www.bremerfriedens...NEN-und-DIE-LINKE/ ].







    Es hat in der SPD immer Menschen gegeben, die im Widerspruch zur Linie der Parteiführung waren. Bis vor Kurzem war es zum Beispiel der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, der zu den Mit-Initiatoren von #Aufstehen auf Bundesebene gehört. Er hat am 23. November im Bundestag gegen die Erhöhung des Rüstungshaushalts gestimmt.







    Ohne die aktive Teilnahme von Sozialdemokraten wäre die große Friedensbewegung der 1980er-Jahre nicht möglich gewesen. Auch an der Gründung des Bremer Friedensforums beteiligten sich SPD-Mitglieder an verantwortlicher Stelle.







    Für mich war viele Jahre Arno Behrisch, langjähriges Direktoriumsmitglied der Deutschen Friedens-Union und ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter, ein großes Vorbild, der 1960 aufgrund der Verabschiedung des Godesberger Programms und dem Schwenk zur NATO-Treue aus der Partei austrat. Später kamen u.a. Manfred Coppik und Karl-Heinz Hansen dazu. Ich selbst bin 1976 aus der SPD ausgetreten, u.a., weil das Versprechen von Willy Brandt: "Mehr Sicherheit durch weniger Rüstung!" nicht eingehalten wurde.