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SPD-BSW-Regierung in BrandenburgDas neue Normal

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die dünne Mehrheit der Brandenburger Regierung erfordert pragmatische Allianzen. Und sie ist ein Vorbote der neuen Normalität in deutschen Parlamenten.

Holpriger Weg zur Staatskanzlei: Dietmar Woidke und seine Minister fahren Bus Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

D ietmar Woidke ist mit Stimmen der Opposition zum Chef der SPD-BSW-Regierung in Potsdam gewählt worden. Das klingt solider, als es ist. Denn im ersten Wahlgang fehlten Woidke zwei Stimmen aus dem eigenen Lager. Diese Botschaft hallt umso lauter nach. Denn, dass die CDU-Opposition der wackelnden Regierung aus Staatsraison künftig zu Mehrheiten gegen die AfD verhelfen wird, ist nicht zu erwarten. Die holprige Wahl ist eine Warnung: So regiert es sich mit äußerst schmaler Mehrheit.

Knappe Mehrheiten können disziplinieren. In NRW regierte Schwarz-Gelb, in Thüringen Rot-Rot-Grün störungsarm mit nur einer Stimme Mehrheit. Doch dieses Szenario ist für Brandenburg, seit 34 Jahren SPD-regiert und bisher ein stählerner Anker der Stabilität, unwahrscheinlich. Denn Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün verbanden klare politische Konzepte. Die SPD-BSW-Koalition in Potsdam aber ist aus Verlegenheit geboren. Sie ist die einzig mögliche Koalition ohne AfD. Ihre Raison d’Être ist der Mangel an Alternativen.

Wie Feuer zu Eis

Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist nach wie vor eine Blackbox. Es ist eine junge Partei, die von einer Anti-Ampel-Stimmung nach oben gespült wurde. Populistische Formationen wie sie kommen und gehen.

Dem BSW fehlt zudem ein Mechanismus, um interne Konflikte zu regulieren. Dass die MinisterInnen in Potsdam und vielleicht auch in Erfurt die Weisheiten der großen Vorsitzenden wie biblische Gesetzestafeln entgegennehmen werden, ist unwahrscheinlich. Sie müssen ein eigenes Gewicht haben, um zu bestehen. Zoff zwischen Wagenknecht und den Landesfürsten, zwischen Rechthaberei und Realpolitik ist somit programmiert. Wagenknechts Krachrhetorik gegen die Eliten passt zum Pragmatismus der Landespolitik wie Feuer zu Eis.

Woidke ist dem BSW in der Präambel des Koalitionsvertrages recht weit entgegengekommen. Doch es wäre ein Fehler, den Einfluss des BSW zu überschätzen. Es klingt zwar mitunter wie ein Sprachrohr Putins, in der Landespolitik aber wird das keine große Rolle spielen. Wenn Woidke klug ist, wird er mit der CDU kooperieren, um Zufallsmehrheiten der AfD im Landtag zu verhindern.

Wird diese SPD-BSW-Regierung fünf Jahre halten? Das wäre eine Überraschung. Fast zwei Drittel der Brandenburger trauen ihr nicht über den Weg. Diese Unsicherheiten sind das neue Normal in Zeiten, in denen die AfD Regierungen gegen sie erzwingt. Brandenburg ist kein Sonderfall, sondern ein erster Blitz des kommenden Unwetters. Die Zeiten, als klare politische Lager mit klaren Mehrheiten regierten, sind vorbei. Das neue Normal ist: Der Boden schwankt.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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11 Kommentare

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  • Verheerend

    Ich empfinde die Koalition mit der Putin-Partei als verheerend. Diese Partei würde die Ukraine untergehen lassen, Hauptsache billiges Gas aus Russland. Und es ist ein total falsches Signal, keine Brandmauer gegen die BSW zu errichten. Denn irgendwann werden die Konservativen ihre Brandmauer auch einbrechen und mit der anderen Putin-Partei koalieren. Rechtfertigung: Ihr koaliert ja auch mit der BSW.

    • @Hans Dampf:

      Konzentrieren wir uns doch einfach mal auf unsere Probleme (es gibt genug) und quatschen nicht ständig über Putin. Dadurch fühlt er sich nur wichtiger.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Sie erlauben mir aber schon eine eigene Meinung und eine frei Wahl der Worte - Danke!

        • @Hans Dampf:

          Natürlich. Ist ja der Sinn des Austausches hier. Das alle ihre eigene Meinung äußern. Natürlich wird man dadurch auch mit anderen Meinungen Konfrontiert...

  • Vielleicht müssen „die Bürger*innen in diesem Land auch erstmal neu die Erfahrung machen, dass man Verlässlichkeit nicht nur fordern, sondern auch wählen kann. Ist natürlich langweiliger und manchmal braucht es einfach aufrüttelnde Wahlergebnisse. Aber in Summe sind wir hierzulande mit einer pragmatisch und konsensorientierten Parteienstruktur in den Parlamenten deutlich besser und beständiger durch die Jahrzehnte gekommen, als manche Nachbarnationen.

  • In einem Kommentar nach der Wahl hat ein Diskussionsteilnehmer darauf hingewiesen dass viele Wählerstimmen wegen der 5% Hürde nicht da angekommen sind , wo die Wähler sie eigentlich haben wollten. Ich habe deswegen nachgezählt: Alle Parteien zusammen genommen, die an der 5 % Hürde gescheitert sind, haben zusammen 200.000 Stimmen erhalten. Die sozialdemokratische Partei hat 400.000 Stimmen erhalten und stellt damit den Ministerpräsidenten. Das heißt, das Wahlgesetz in Brandenburg bildet den Wählerwillen nicht ab. Deswegen auch die Skepsis in der Bevölkerung. Wäre in Brandenburg eine 2,5% Hürde, hätte Brandenburg heute eine stabile demokratische Mehrheit. Es wäre also die erste Aufgabe des Parlaments das Wahlgesetz so zu ändern, dass der Wählerwille im Parlament abgebildet wird.

    • @Hans - Friedrich Bär:

      "Wäre in Brandenburg eine 2,5% Hürde, hätte Brandenburg heute eine stabile demokratische Mehrheit."



      Steile These. Es wären mehr (Kleinst-)Parteien im Parlament. Inwieweit führt das zu einer stabilen Mehrheit? Und demokratisch gar?

    • @Hans - Friedrich Bär:

      Wir verschieben die Hürde also nach Bedarf?

      So rüttelt man richtig am Vertrauen in die Demokratie.

  • Vielleicht regiert im Bund ja bald Schwarz-Gelb und gefedtigte Mehrheiten kommen wieder in Mode :)

  • Sich mit Antidemokraten zu verbünden ist nicht pragmatisch sondern dumm und kurzsichtig. und ja, das BSW und Frau Wagenknecht sind antidemokratisch. BS steht übrigens für Bullshit.

    • @Minelle:

      Genau solche sachlichen Einschätzungen braucht das Land.