Russlands Herrscher Putin: Alphatier und Antityp
Wladimir Putin gibt gerne den Helden, der seinem Land Stabilität und Wohlstand gebracht hat. Doch das ist alles nur Theater.
Der herausragendste Olympionike bei den Winterspielen in Sotschi steht schon fest. Er heißt Wladimir Putin, ist 61 Jahre alt, seit Kurzem geschieden und Herrscher im Kreml seit nunmehr 14 Jahren. Mit den Winterspielen hat sich der begeisterte Sportler einen Traum erfüllt und befreundeten Oligarchen die Taschen gefüllt. Der Welt wollte er mit Sotschi ein erstarktes und gefestigtes Russland demonstrieren, das unter seiner Ägide erneut zu Großtaten in der Lage ist. Sotschi ist die Krönungsfeier, nachdem die Inthronisation des Präsidenten im Mai 2012 wegen Protesten ein wenig missglückte.
Es werde ein Fest der Superlative, hatte der Präsident von Anfang an versprochen. Seit das Olympische Komitee ihm den Zuschlag erteilte, setzte er das Versprechen auch zielstrebig um. Sotschis Spiele sind nicht nur die teuersten aller Zeiten, sie finden auch in der gefährlichsten Region statt, die die europäische Peripherie zu bieten hat. Eingriffe in die Natur wurden vorgenommen, die andernorts nie zugelassen worden wären.
Nur wenige können sich das ohne Imageverlust erlauben. Wladimir Putin ist sich sicher, dass die olympischen Pilgerer ihm auch dies nachsehen werden. Alles ist dafür bereitet, um ihnen durch Gastlichkeit, Luxus und Verschwendungslust die Sinne zu rauben. Russland lässt sich in solchen Momenten nicht lumpen.
„All diese Ausgaben mit dem Stempel eines orientalischen Luxus dienen eher dem Gespött. Europa hält uns für Halbzivilisierte, die die asiatische Absicht haben, durch Luxus zu blenden“, gemahnte Fürst Dolgoruki im 19. Jahrhundert den Petersburger Hof zum Maßhalten. Schon damals hörte niemand zu, die Tradition hat sich erhalten.
Parvenüs und Krämerseelen
Inzwischen ist im Westen jedoch nicht mehr die adlige Gesellschaft tonangebend, die naserümpfend auf die „kleinen Unterschiede“ achtet. Stattdessen beherrschen Parvenüs und Krämerseelen das Ambiente. Protzen imponiert ihnen. Es sind die vielen Gerhard Schröders und Berlusconis, die das russische Bild des Westens prägen und mit denen sich der Kremlchef am liebsten umgibt. Sie sorgen dafür, dass seine Selbstinszenierungen im Westen nicht als das wahrgenommen werden, was sie sind: Theater. Auch den grandiosen Schwindler Potemkin will in Putin niemand erkennen. Als gäbe es Geschichte nicht. Bereitwillig wiederholen die Souffleure den Text vom Großen Wladimir, der dem Land Stabilität, Frieden, Wohlstand, Anerkennung und Perspektive brachte.
Doch wie steht es damit? 2007 wollte der Kreml mit der Kandidatur Sotschis beweisen, dass er den Kaukasus endgültig befrieden könne. Sieben Jahre später finden die Wettbewerbe in einem Hochsicherheitstrakt statt. Letztes Jahr absolvierte der Präsident außenpolitisch einen Höhenflug. Forbes und Time kürten ihn zum weltweit einflussreichsten Politiker. Erst suchte Whistleblower Edward Snowden Unterschlupf in Russland, dann stahl Putin US-Präsident Barack Obama mit der Giftgasvernichtung im Syrienkonflikt die Show.
Am Jahresende sah es noch so aus, als könne W. W. Putin auch die Ukraine noch einmal in den russischen Orbit zurückholen. Doch sind das nicht Erfolge, die auf Desinteresse und vorübergehender Schwäche der Gegenspieler beruhen, die Putin jedoch geschickt zu nutzen weiß?
Putin ist kein Stratege: Snowden kam unaufgefordert zugeflogen. Der floh nach Moskau, das keineswegs moderater spioniert als Washington. Putin schien darüber gar nicht glücklich. Mit der Initiative, die syrischen Chemiewaffen zu vernichten, ist Putin in der Tat ein Coup gelungen. Auch wenn sie zur Beilegung des Krieges nichts beiträgt.
Putin half Obama aus der Klemme, der in Syrien nicht eingreifen wollte. Mithin ein durchwachsenes Fazit. In der Ukraine spielte der Kremlchef mit dem Feuer und rüttelte die EU wach. Putins zivilisatorischer Gegenentwurf zur EU, die „Eurasische Union“, droht ohne den Nachbarn ein Papiertiger zu bleiben. Im noch ungünstigeren Fall ruft Moskaus Intervention die Orange Revolution im eigenen Haus auf den Plan.
Überreste des Imperiums
Nach jahrelangen Bemühungen, das alte Reich wiederzuerrichten, ist vom Imperium noch weniger übrig als in dessen Endphase. Ungewollt schafft Putin die Fundamente eines russischen Nationalstaates. Der Rückgriff auf imperiale Insignien dient nur der Schmerzlinderung. Eigentlich ist der Kremlchef ein einfühlsamer, aber willensschwacher – seiner Sache nicht bewusster – Sterbehelfer, der das Reich auf dem letzten Weg begleitet.
In der neuesten Biografie des Politikexperten Stanislaw Belkowski taucht die mythologische Figur des Epimetheus auf, mit dem der Präsident verglichen wird. Dahinter steckt der skeptische und behutsame Bruder des draufgängerischen Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte. Eine Zivilisation, die sich wie die russische im Niedergang befinde, brauche einen Herrscher, der langsam denke und den Herd hüte, in dem das Feuer brenne, so der Biograf.
Putin, das öffentliche Alphatier, wird zum Antityp, der Haudegen schrumpft zum Kleinbürger. Je erfolgloser die propagierten Ziele, desto hemmungsloser greift das Regime zur Inszenierung. Letzte Volte ist der Versuch, sich als Alternative zum faulenden Westen aufzuschwingen und als Bollwerk gegen den Werteverfall in Stellung zu bringen. Zum Hüter wahrer christlicher Werte wird Moskau – Putins drittes Rom.
Die Debatte über Homosexualität bot den Auftakt. Alle konservativen Kräfte, die an Familie und Ehe festhalten, lädt Moskau ein, sich unter seiner Ägide zu formieren. Selbst der US-Konservative Pat Buchanan wird als Gleichgesinnter willkommen geheißen. Nun kennt er weder die russische Abtreibungsquote noch die Besonderheiten der russischen Familie, mit der es nie weit her war. Sonst hätte die untreue Ehefrau Anna Karenina kaum zur Heldin des erfolgreichsten Familienromans aufsteigen können. Auch Putins Tea Party ist eine Mogelpackung, wenn auch eine verzweifelte.
Vor diesem Hintergrund wirft sogar die Inszenierung als halb nackter Frauenheld Zweifel auf. Die Virilität des Helden scheint eine künstliche Schöpfung aus dem Imagelabor des Kremls zu sein. WWP kommt angeblich ohne Frauen aus, Gerüchte einer Liebschaft mit der rhythmischen Gymnastin Alina Kabajewa sollen sein Desinteresse nur überspielen. Russlands Herrscher hegt andere Leidenschaften, schreibt der Biograf. Richtig wohl fühlt er sich nur in trauter Männerrunde und mit Tieren.
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