Russland verbietet LGBT-Bewegung: Homosexualität ist jetzt illegal
Russland erklärt die „internationale LGBT-Bewegung“ für extremistisch. Dass es diese gar nicht gibt, interessiert die russische Justiz nicht.
Niemand kann erklären, was einer nicht existierenden Bewegung vorgeworfen wird und wie das Urteil praktisch umgesetzt werden soll. Das Justizministerium selbst hatte vor knapp zwei Wochen die Klage eingereicht.
Eine „internationale LGBT-Bewegung“, von der bis dahin noch niemand in Russland oder anderswo auf der Welt etwas gehört hatte, weise „verschiedene Erscheinungsformen einer extremistischen Ausrichtung“ auf, hatte es im Schreiben geheißen. Die „Bewegung“ stachele zu religiösem und sozialem Hass auf. Konkreter wurde die Anklage nicht.
Und so unklar blieb es auch am Tag des Urteils selbst. Mit einem Schuldspruch, der praktisch alle in Russland kriminalisiert, die nicht nach „traditionellen Werten“ leben, wie sie sich das russische Regime vorstellt. Alle, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen und bislang eingesetzt hatten, sind damit potenzielle „Extremisten“, denen ab jetzt jahrelange Haftstrafen drohen könnten.
Homosexuelle sind jetzt per se illegal
Es ist kein Dada-Stück, das an diesem Donnerstag mehr als fünf Stunden lang im Zentrum Moskaus aufgeführt wird. Es ist die Demonstration dessen, wie Russland die bloße Existenz einer ganzen Gruppe von Menschen für gesetzeswidrig erklärt. Was das neue Urteil für jeden Einzelnen bedeutet, lässt sich nicht sagen, es verändert aber die Atmosphäre im Land. Beratungsstellen werden wohl in den Untergrund gehen, manche Menschen dürften aufgrund ihrer „nicht traditionellen sexuellen Orientierung“, wie es im Russischen heißt, ihre Arbeit verlieren, andere auch ihre Freiheit. Die tägliche Erniedrigung von queeren Personen ist nun Gesetz im Land.
„Ich habe Angst. Angst, mein Kind in die Schule zu schicken, Angst, auf der Straße überfallen zu werden, Angst, einen Handwerker ins Haus zu lassen, der vielleicht melden würde, das wir als Familie aus zwei Frauen und einem Kind zusammenleben. Niemand wird sich für uns einsetzen“, zitiert das russische Exilmedium Meduza eine Frau anonym.
Höhepunkt der Repressionen sexueller Minderheiten
Das Urteil ist der vorläufige Höhepunkt der Repressionen sexueller Minderheiten in Russland. Das erste Gesetz gegen die sogenannte Homosexuellen-Propaganda gegenüber Minderjährigen hatte die russische Region Rjasan bereits 2006 angenommen. Angewendet wurde es kaum, allerdings gerne als Vorwand genutzt, Demonstrationen für die Rechte sexueller Minderheiten zu verbieten. Es folgten entsprechende Gesetze in weiteren Regionen – und 2013 landesweit.
Die „Verbreitung von Informationen, die traditionelle und nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen gleichsetzen“ und „die Attraktivität nicht traditioneller sexueller Beziehungen zeigen“, wurden so als Ordnungswidrigkeit mit Geldstrafen geahndet. Damit normalisierte der Staat Gewalt gegen sexuelle Minderheiten. Beratungsstellen markieren nun ihre Infobroschüren mit dem Zusatz „18+“, LGBT-Filmfestivals werden regelmäßig von Polizei oder offen homophoben Gruppen gestört.
2022 folgte der nächste Schlag. Nun richtete sich das Gesetz nicht nur gegen die „Propaganda gegenüber Minderjährigen“, sondern auch allen anderen Menschen gegenüber. Die Höhe der Strafe für das Propagieren „nicht traditioneller Beziehungen oder Geschlechtsumwandlungen“ lag bei umgerechnet bis zu knapp 85.000 Euro. Filme wurden dementsprechend verändert, Beratungsstellen die Arbeit erschwert.
Verbot von Geschlechtsangleichungen
Vor vier Monaten verbot die Staatsduma schließlich medizinische Eingriffe sowie Medikamente zur Geschlechtsangleichung. Die Duma verbietet Transpersonen auch Adoptionen von und Pflegschaften für Kinder. Das Regime verfolgt also Menschen allein dafür, wer sie sind.
Russlands Präsident Wladimir Putin macht sich über „Transformatoren“, wie er queere Personen verächtlich nennt, öffentlich lustig. Manche Aktivist*innen fragen sich, ob mit dem Urteil durch die Hintertür der sowjetische Artikel 121 zurückkehre. Dieser bedrohte Männer noch bis 1993 für homosexuelle Handlungen mit bis zu acht Jahre Haft oder der Einweisung in die Psychiatrie.
Weil sie die Klage für absurd hielten, hatten sich einige LGBT-Aktivist*innen vor wenigen Tagen tatsächlich als „internationale LGBT-Bewegung“ in Russland registrieren lassen. Aber selbst deren Anwalt wurde zum Gericht nicht zugelassen. Der Staat braucht also nicht einmal mehr Angeklagte, um seine grotesken Entscheidungen zu treffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“