Russland und der Prager Frühling: Geschichtsklitterung à la Putin
Die Nato wollte 1968 in Prag einmarschieren, behauptet eine russische Doku. Eine Petition drängt auf deren Ausstrahlung im tschechischen TV.
So weit die Essenz der Dokumentation über den Warschauer Pakt, die vor Kurzem im russischen Staatssender „Rossija 1“ ausgestrahlt wurde. Darin wird nicht nur der sozialistische Militärpakt gefeiert, der die Länder Ostmitteleuropas zwischen 1955 und 1991 an den großen Bruder Sowjetunion schmiedete. Sondern vor allem die russische Invasion gerechtfertigt, die in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 dem „Prager Frühling“ und mit ihm dem Traum eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ den Garaus machte.
„Die Tschechen haben von oben auf uns geschossen. Mit Flammenwerfern“, ereifert sich der russische Veteran Juri Sinelschikow, der beim Einmarsch mit dabei war, in der Doku. Eine empörte Stimme aus dem Off redet daraufhin Tacheles: „Sie schossen auf die Köpfe derer, die die Tschechoslowakei 1945 befreit haben, und nennen sich dabei Patrioten.“ Denn die Version eines „friedliches Aufstands mit dem romantischen Namen Prager Frühling“ sei falsch.
Während die Tschechen Waffen horteten, hatte sich die Nato längst auf einen Einmarsch in die Tschechoslowakei vorbereitet, versichert ein weiterer Veteran. „Zeugen berichten von Granaten und Maschinengewehren“ tönt es wieder aus dem Off.
„Das russische Fernsehen lügt“
„Das ist alles Unsinn“, seufzt der Historiker und Zeitzeuge Oldrich Tuma von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. „Der Westen stand der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung der Tschechoslowakei sehr distanziert gegenüber“, sagt er. Auch das mit dem Aufstand und den Waffen sei eine Mär. „Wo hätten wir denn die Waffen hernehmen sollen?“, fragt Tuma. Man sieht ihm an, dass er nicht weiß, ob er über die Doku lachen oder weinen soll.
Eindeutig hingegen sind die Reaktionen der tschechischen Politiker. „Das russische Fernsehen lügt“, erklärte Präsident Milos Zeman, eigentlich bekannt für seine rektal-alpinistischen Hochleistungen gegenüber Putin. „Das war eine Okkupation“, sagte Ministerpräsident Bohuslav Sobotka, während sein Außenminister, Lubomír Zaorálek, den russischen Botschafter ins Ministerium einbestellte.
„Der hat natürlich versucht, die Sache zu bagatellisieren, und hat mir versichert, die Doku habe nichts mit der russischen Politik zu tun“, sagte Zaorálek nach dem Treffen. Und fasste sich an den Kopf: „Dass das russische Staatsfernsehen nichts mit der Politik zu tun hat, ist doch lächerlich.“
Petition für die Ausstrahlung
Im Gegenteil, meint Petr Kolar, Tschechiens ehemaliger Botschafter in Moskau: „Die russischen Medien lieben Putin.“ In vorauseilendem Gehorsams versuchten sie, ihre Sendungen dem Weltbild Putins anzupassen. Kolar würde die Doku auch gerne im tschechischen Fernsehen ausgestrahlt sehen – zur Hauptsendezeit. „Die Leute hier sollen wissen, wie wir in Russland dargestellt werden. Als dumme Opfer von Nato und Faschisten, die auf ihre Befreier schießen.“
Jetzt gibt es eine Petition an das öffentlich-rechtliche tschechische Fernsehen, die Dokumentation auszustrahlen. „Der Film ist reine Propaganda“, schimpft Martin Uhlir. Er engagiert sich seit dem russischen Einmarsch auf der Krim in der liberalen Initiative Open Doors und hat die Petition unterzeichnet. „Das Gefährliche ist, dass solche Dokumentationen eine Atmosphäre schaffen, die den Weg ebnet für weitere Akte brüderlicher Hilfe.“
Milan Fridrich, Programmdirektor des Tschechischen Fernsehens, plant nun, die Doku um die Zeit des Jahrestages der Invasion im August zu zeigen, wenn auch „nur“ im zweiten Programm: „Das Tschechische Fernsehen hat Interesse an der Dokumentation und verhandelt gerade mit ihren Produzenten über eine Sendelizenz. Falls alles klappt, dann in August, was wegen des Jahretags der Invasion zeitlich passt“, sagte er in einer Stellungnahme zur Petition.
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