Russland in der Ukrainekrise: Fifty Shades of Aggression
Unklare Aussagen von US-Präsident Biden gegenüber Russland sorgen für Verwirrung. Außenminister Blinken und Baerbock betonen die Einheit des Westens.
Hat US-Präsident Joe Biden am Mittwoch tatsächlich gesagt, ein „geringfügiges Eindringen“ Russlands in die Ukraine würde ebenfalls nur eine kleine Reaktion des Westens provozieren? US-Außenminister Antony Blinken und seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock (Grüne) hatten am Donnerstag alle Hände voll zu tun, um die Irritationen geradezurücken, die Bidens Äußerungen ausgelöst hatten.
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin versuchten sie in möglichst starken Worten klarzumachen, jede russische Aggression gegen die Ukraine werde drastische Konsequenzen nach sich ziehen. Aber natürlich, versuchte Blinken sich an einer Interpretation Bidens, hänge dies von der Art der Aggression ab. Schließlich verfüge Russland neben einer militärischen Intervention über viele Instrumente – etwa politische Destabilisierung oder Cyberangriffe.
Beide betonten die Einheit aller westlichen Verbündeten. Nach Wochen der permanenten Konsultationen auf allen Ebenen sei nunmehr sichergestellt, dass der Westen gegenüber Russland mit einer Stimme spreche. Auch auf russischer Seite seien in den letzten Tagen mit Sicherheit Abstimmungen passiert, sagte Blinken, sodass er hoffe, bei seinem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow an diesem Freitag in Genf definitiv erfahren zu können, welchen Weg Russland einschlagen werde: „positiv oder negativ“.
Ein Hinweis darauf, wie der Weg aussehen könnte, kam allerdings am Donnerstag aus Moskau selbst: Das Verteidigungsministerium kündigte für die nächsten Wochen groß angelegte Militärmanöver im Mittelmeer, im Atlantik und in der Nordsee an. Daran seien mehr als 140 Kriegsschiffe, 60 Flugzeuge und über 10.000 Soldaten beteiligt. Solche Manöver sind zwar nicht ungewöhnlich – sie genau jetzt anzukündigen ist aber dennoch ein Statement.
Wie ein Fluch
Blinken wies den Eindruck zurück, die Lieferung von Waffen an die Ukraine eskaliere die Situation und stelle ihrerseits eine Provokation dar. Man habe vielmehr nach dem Einmarsch und der Annexion der Krim 2014 gesehen, dass die Ukraine in der Lage sein müsse, sich zu verteidigen. Das sorge nicht für Eskalation, sondern für Stabilität. Die USA hatten zuvor auf Nachfrage der baltischen Staaten erklärt, sie seien damit einverstanden, wenn andere Verbündete auch US-Waffen an die Ukraine weiterreichen würden.
Im Übrigen, sagte Blinken, unterstützten die USA weitere Gespräche im sogenannten Normandie-Format. Der Begriff bezeichnet seit 2014 Gespräche zwischen Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich. Ziel bleibe die Umsetzung des Minsker Abkommens von 2015, das in diesem Format ausgehandelt, seitdem aber nicht wirklich umgesetzt worden war. Annalena Baerbock kündigte an, in den nächsten Tagen gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen zu weiteren Gesprächen in die Ukraine reisen.
Bidens Äußerungen vom Mittwoch hingen wie ein Fluch über der Pressekonferenz in Berlin. Er sei sicher, dass eine russische Aggression gegen die Ukraine unmittelbar bevorstünde, hatte der US-Präsident gesagt. Putin sei im Zugzwang und müsse „irgendwas tun“.
Blinken widersprach: Keinesfalls habe Biden gesagt, dass er glaube, Putin habe sich bereits entschieden. Hatte er doch – aber schon Pressesprecherin Jen Psaki hatte sich 30 Minuten nach Bidens Auftritt bemüht, dessen Äußerungen irgendwie geradezurücken. Dass sich nunmehr auch der Außenminister viele Tausend Kilometer vom Weißen Haus entfernt ebenfalls bemühen muss, seinen eigenen Chef umzudeuten, wirft kein gutes Licht auf die Linie der US-Regierung.
Inzwischen hat auch die russische Regierung auf die Äußerungen Bidens reagiert. Die Vorwürfe eines drohenden Angriffs durch Russland seien lediglich ein „Deckmantel für die Ausführung großangelegter eigener Provokationen“. Zu Letzterem zählten Provokationen „mit militärischem Charakter“, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Donnerstag. Sie könnten „extrem tragische Konsequenzen für die regionale und globale Sicherheit haben“, warnte sie.
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