piwik no script img

Russischsprachige CommunitiesPropaganda auf Social Media

Einseitige mediale Berichterstattung schürt gegenseitigen Hass. Sensible Aufklärungsarbeit und ein alternatives Medienangebot sind gefragt.

Social-Media-Kanäle werden massiv für Propagandazwecke genutzt Foto: David Munoz/imago

Berlin taz | Bei prorussischen Autokorsos, Friedensdemos und Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine kam es in den letzten Wochen zu etlichen Auseinandersetzungen. Nach Angaben der Landeskriminalämter gab es seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine 1.700 Straftaten in diesem Zusammenhang.

Sachbeschädigungen wie eingeschlagene Fensterscheiben überwogen, doch auch vereinzelte Gewaltdelikte verzeichnen die Behörden. Die Angriffe richteten sich dabei sowohl gegen ukrainisch- als auch gegen russischstämmige Personen.

Besonders in sozialen Medien kursierten zahlreiche Meldungen zu Übergriffen auf russischstämmige Personen, von denen sich ein Großteil als falsch entpuppte, berichtete die Soziologin Tatiana Golova in der Pressekonferenz des Mediendienstes Integration am Donnerstag. Sie erklärte, wie angebliche und auch tatsächliche Anfeindungen aufgebauscht und zu Propagandazwecken genutzt werden.

Vor allem die russische Botschaft schüre durch die Verbreitung unbestätigter Fälle bewusst Konflikte, so der Mediendienst. Der Verfassungsschutz warnte daher in einem Sicherheitshinweis Anfang April vor gezielten Desinformationskampagnen.

Sergej Prokopkin, Jurist und Antidiskriminierungstrainer, analysiert Social-Media-Meldungen zu antirussischen Übergriffen: „Der russische Staat verwendet alles, um in Deutschland Konflikte zu entfachen.“ Zwar sollten Betroffene seiner Meinung nach einen Vertrauensvorschuss erhalten. Jedoch sei der aggressive Diskurs nicht sinnvoll. Durch Informationsverbreitung in geschlossenen Kanälen wie Telegram entstehe kein Austausch, stattdessen werde nur einseitige Information gestreut und Hass geschürt.

Seit dem Krieg in Georgien 2008 hat sich die mediale Propaganda Russlands intensiviert. Das Narrativ, Russischsprachige seien im Westen nicht willkommen, kam Medina Schaubert zufolge etwas später mit Beginn der Krim-Propaganda auf. Seitdem habe eine Entwicklung der Propagandamittel stattgefunden.

„Es wird nicht einfach drauflos demonstriert“, so die ehrenamtliche Geschäftsführerin des Vereins Vision in Marzahn-Hellersdorf. „Wenn eine Demo angesagt ist, wird über Telegram kommuniziert, wie man sich verhalten soll, welche Parolen verwendet werden sollen und welche nicht.“ Neben Verhaltensanleitungen würden auch Links von Online-Versandhäusern versendet – für den Kauf von Russlandflaggen zum Beispiel.

Gut Aufklärung will Weile haben

Bei der Propagandaaufklärung ist Sensibilität gefragt. Um bei dem bestehenden politischen Generationenkonflikt in russischsprachigen Communities den Frieden zu wahren, sind unterschiedliche Meinungen totgeschwiegen worden, so Schaubert. Nun werden die Leute dazu gezwungen, sich zu positionieren. Bei seiner Aufklärungsarbeit setzt Prokopkin auf die jüngere, kritische Bevölkerung und auf einen langen Veränderungsprozess. „Ja, es gibt einen Generationenkonflikt“, bestätigt er. „Doch das heißt nicht, dass die ältere Generation an den Kreml verloren gegangen ist.“ In vielen sozialen Einrichtungen setzten sich nun vor allem Ältere zum Beispiel als DolmetscherInnen für geflüchtete UkrainierInnen ein.

Schaubert klärt Russischsprachige in Marzahn-Hellersdorf über Staatspropaganda auf. In den Demos sieht sie großes Spaltungspotenzial. Sie kritisiert, dass zum Teil auch JournalistInnen unzureichend über die Community informiert seien, und appelliert, neben den Pro-Russland-­Demos auch die Gegendemos aufzunehmen, um kein verzerrtes Bild zu projizieren. Außerdem brauche es unbedingt mehr alternative Medienangebote, die sich an die postsowjetische Bevölkerung richten, um Staatsmedien entgegenzuwirken und Desinformation zu bekämpfen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Aus meinem Bekanntenkreis kenne ich Spätaussiedler aus Kasachstan, die kaum deutsch verstehen und in den Familien nur russisch sprechen. Die älteren Menschen bemutzen kein social media. Sie gucken ausschließlich Russia Today oder Sputnik. Folgerichtig halten sie Putin für einen großen und frommen Staatsmann (mit Kerze im Ostergottesdienst).



    Warum gibt es bei unserem vielfältigen TV-Angebot keinen privaten oder öffentlich-rechtlichen Sender, der durchgehend auf russisch sendet (vielleicht mit deutschen Untertiteln). Es müsste sich um ein niedrigschwelliges Angebot handeln mit Kultur, Geschichte Folklore und Musik. Durch zeitnahe Reportagen könnte auch etwas Wirklichkeit vermittelt werden. Bisher waren viele Rußlanddeutsche der putinschen Propagandamaschinerie ausgeliefert.



    Für die erfolgreiche Integration dieses relativ großen Personenkreises fühlt sich bei uns anscheinend keiner zuständig.

  • Russland nutzt die sozialen Netzwerke offenbar effektiv, um seine Propaganda voranzubringen und auch konsequent Verwirrung und Auseinanderdriften in westlichen Ländern und anderswo zu sähen. Letztlich zeigt sich, dass das Medium der sozialen Netzwerke und die ihr vorhergehende Privatisierung der Medien nicht geeignet waren und sind, um eine informierte Bevölkerung zu schaffen, sondern um alternative Wirklichkeit zu kreieren, die dann nicht mehr widerlegbar sind, weil Behauptungen genügen. Herr Trump macht das gleiche und deshalb ist sicherlich auch ein Grund, warum er sich so prächtig mit Putin verstand.