Russischer Einfluss auf dem Balkan: Noch eine Zeitenwende?

Unter dem Einfluss des Ukrainekrieges ändert der Westen seine Balkanpolitik. Doch Zugeständnisse an Serbien können gefährliche Konflikte auslösen.

Eine Person hält sich das Portrait Wladimir Putins vor das Gesicht

Putin-Freunde am „Tag des Sieges“ in Belgrad Foto: Darko Vojinovic/ap

Die bisherige westliche Strategie auf dem Balkan wird gerade auf den Kopf gestellt. Einerseits unterstützen USA und EU den Kampf der Ukrainer für demokratische und westliche Werte. Auf dem Balkan aber wollen die USA und in deren Schlepptau auch die EU ethno-nationalistische Positionen akzeptieren und hoffen so, den Einfluss Moskaus dort zu begrenzen. Sie streben deshalb sogar „Deals“ mit Politikern an, die Kriegsverbrechen verteidigen und sich offen als Sympathisanten Putins zu erkennen geben.

Lange war es westliche Strategie, die Staaten des Westbalkans zu demokratisieren und in die „Wertegemeinschaft“ der EU zu führen. Dies ist nach Ansicht einiger amerikanischer Kritiker aufgegeben worden. Die Demokratisierung der Gesellschaften, die Aufarbeitung der Geschichte und die Durchsetzung von Menschenrechten spielen letztendlich keine Rolle mehr.

So jedenfalls sieht es der Politologe Janusz Bugajski, der davon ausgeht, dass die USA den Westbalkan de facto in drei Einflusssphären – die serbische, kroatische und albanische – aufteilen wollen. USA und EU streben seiner Ansicht nach jetzt einen Deal mit den ethno-nationalistischen Kräften auf dem Balkan an und lassen die bisherigen prowestlichen und demokratischen Positionen fallen. Angesichts des Kriegs in der Ukraine hege man in Washington die Hoffnung, den serbischen, autokratisch regierenden Präsidenten Aleksandar Vučić auf die westliche Seite ziehen zu können und gleichzeitig der mit Putin sympathisierenden kroatischen Rechten entgegenzukommen. So jedenfalls kommentiert einer der besten Kenner der Region, Kurt Bassuener, vom transatlantischen Thinktank Democratization Policy Council e. V. (DPC) die neue Politik.

Die Äußerungen des seit 2021 amtierenden US-Botschafters in Belgrad, Christopher Hill, und die Positionen von Gabriel Escobar, der US-Sonderbeauftragten für den Balkan, zeigen die Richtung auf. Vor allem die „Lösung“ der Kosovo- und Bos­nien­frage liegt ihnen am Herzen. Escobar will „friedliche, verlässliche und freundliche Beziehungen“ zwischen Serbien und Kosovo schaffen, um Serbien den Weg in die EU und Nato zu ebnen. Dies soll vor allem mit Druck auf die Kosovoregierung in Prishtina erreicht werden.

Verbündete im UN-Sicherheitsrat

Die ehemalige autonome Region Kosovo erklärte sich mithilfe der USA 2008 für unabhängig von Serbien. Serbien hat diesen Akt nie akzeptiert und mit Russland und China Verbündete im UN-Sicherheitsrat gefunden. Weil aber die serbische Gesellschaft sich gleichzeitig eine Zukunft in der EU wünscht, wollen USA und EU das Land mit weitreichenden Zugeständnissen ins westliche Lager locken.

USA und EU akzeptieren ethno­nationalistische Positionen in der Hoffnung, den Einfluss Moskaus zu begrenzen

Der von Belgrad vehement geforderte „Verbund serbischer Gemeinden“ im Kosovo würde den Einfluss Belgrads im Kosovo stärken und böte die Möglichkeit, direkt in das Land hineinzuregieren. Die Kosovoführung unter Albin Kurti fürchtet, der serbische Gemeindeverbund würde die Existenz Kosovos gefährden. Deswegen wehrt sie sich mit Händen und Füßen gegen diese Forderung.

Hinzu kommt: Dass in Montenegro nach den letzten Wahlen die proserbischen und damit die Pro-Putin-Kräfte stärker wurden, ist von den USA und der EU einfach hingenommen worden. In Bosnien und Herzegowina ist der Widerstand gegen den offen als Freund Putins auftretenden Milorad Dodik, Präsident des serbisch kontrollierten Landesteils Republika Srpska, schwächer geworden.

Dodik will ohne Rücksicht auf die Zentralregierung, den Obersten Gerichtshof, die internationalen Institutionen und die bosniakische Mehrheitsbevölkerung in Sarajevo und ganz Bosnien im serbisch kontrollierten Landesteil schalten und walten, wie er will.

Dodik wollte am liebsten sogar den Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft – zurzeit der deutsche CSU-Politiker Christian Schmidt – abschaffen. Denn der hat mit seinen Sondervollmachten immer noch ein Wörtchen in Bosnien mitzureden. Doch das muss Dodik nun nicht mehr, drohen doch die USA, die EU und der Hohe Repräsentant nicht einmal mehr mit Konsequenzen wegen seiner Politik.

Rückendeckung aus Zagreb

Die demokratiefeindlichen, nationalistischen Extremisten der kroatischen Volksgruppe in Bosnien und Herzegowina scheinen sogar gegen den Willen der bosniakischen Mehrheitsbevölkerung unterstützt zu werden. Mit Rückendeckung aus Zagreb und einer breitangelegten Lobbytätigkeit in Brüssel gelang es der herzegowinischen Ex­tre­mis­ten­partei HDZ-BiH, die Macht im zweiten Teilstaat, der bosniakisch-kroatischen Föderation, zu übernehmen. Monatelang übten Escobar und die EU-Diplomaten Borrell und Lajčak Druck auf die nichtnationalistischen Parteien aus, in eine Koalition mit den kroatischen Nationalisten einzuwilligen. Ziel war es, die bosniakisch-muslimische Nationalpartei SDA zu entmachten.

Über fünf Jahre hatten diese Kroaten die Institutionen des bosniakisch-kroatischen Teilstaates boykottiert und mithilfe Schmidts eine Wahlreform durchgesetzt, die zwar ihren Interessen, aber keineswegs europäischen Wahlrechtsnormen entspricht. Jetzt wollen sie, wieder gemeinsam mit den serbischen Extremisten, einen Kampf gegen „die Muslime“ des Balkans generell führen und streben unter dem Beifall der rechtsgerichteten Strömungen der EU eine „christliche“ Dominanz auf dem Balkan, vor allem in Bosnien an.

Die Politik der USA und der EU stützt die demokratiefeindlichen Kräfte auf dem Balkan und schafft damit gefährliche Konfliktpotenziale. Viele Menschen in Sarajevo fragen sich, wo eigentlich die vor Kurzem noch als positiv wahrgenommene Stimme der deutschen Politik bleibt. Die ist derzeit nicht zu hören. Will Berlin, die Außenministerin, wollen die Grünen und die deutschen Menschenrechtler den Paradigmenwechsel auf dem Balkan wirklich unwidersprochen hinnehmen?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.