piwik no script img

Russischer Cineast in GeorgienGünstiger ins Kino gehen

Ein Russe hat Georgiens Liebe für Independent-Filme entdeckt und daraus ein Geschäft gemacht. Er will, dass sich seine Landsleute besser integrieren.

Flagge zeigen: Eine Demonstrantin protestiert am 10. März in Georgien gegen das geplante Agentengesetz Foto: Imago

Tbilissi taz | Andrej Lemsjakow zieht seinen grauen Mantel nur zum Schlafen aus. Er sitzt in einem Kinosaal, in den nur 12 Personen passen und der nur von einem kleinen Heizlüfter erwärmt wird. Der 33-Jährige ist im März vor einem Jahr aus Russland emigriert. Im Juni eröffnete er ein Kino im Stadtzentrum der georgischen Hauptstadt Tbilissi.

„Ich habe gemerkt, dass sie hier Independent-Filme mögen, aber dass die nirgends gezeigt werden, weil viele Kinos die Pandemiezeit nicht überstanden haben“, sagt er. Aber die 45 Quadratmeter große Räumlichkeit ist mehr als ein Kino. Für Andrej Lemsjakow ist sie auch sein Zuhause. Er schläft im Nebenzimmer.

Er erzählt, dass alle seine Ersparnisse in die Eröffnung und die Miete geflossen sind. Jetzt ist das Kino seine einzige Einnahmequelle. Eine Eintrittskarte kostet 15 Lari (umgerechnet 5 Euro), für Studierende 5 Lari. An sechs Tagen pro Woche laufen hier Filme in drei Sprachen. „Ich wollte, dass hier alle Sprachen vertreten sind, die man hauptsächlich in Tbilissi hört: Georgisch, Englisch und trotz seiner Toxizität auch Russisch“, so der Kinobetreiber.

Dutzende Cafés haben neu eröffnet

Samstags zeigt Andrej auf Benefizveranstaltungen alte georgische Filme mit englischen Untertiteln. Das Geld, das er dabei einnimmt, geht in die Ukraine. Am Kinoeingang steht eine Spendenbox mit einer ukrainischen Flagge und kleineren Flaggen von Georgien, der EU sowie eine weiß-blau-weiße: das Symbol der russischen Opposition.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind nach Angaben vom Oktober 2022 mehr als 120.000 russische Staatsbürger in die südkaukasische Republik gekommen und dort auch geblieben. Viele von ihnen haben Firmen gegründet. Allein von April bis Juni haben russische Staatsbürger mehr als 6.400 Unternehmen registrieren lassen. Fast so viele wie in den gesamten vergangenen 30 Jahren.

Das Ergebnis ist in den großen Städten schon deutlich sichtbar. In den vergangenen Monaten wurden hier Dutzende Cafés, Bars und Restaurants eröffnet, in denen man nicht auf Georgisch bestellen kann. Nach geltendem georgischen Gesetz sind Unternehmen aber verpflichtet, Dienstleistungen in georgischer Sprache anzubieten. Viele russische Ladenbesitzer ignorieren diese Auflage. Kinobesitzer Andrej gehört nicht zu ihnen.

Obwohl die georgische Wirtschaft 2022 um 10 Prozent gewachsen ist, ist die Mehrheit der Bevölkerung dagegen, dass russische Staatsbürger ohne Visum nach Georgien einreisen dürfen. Dazu kommt, dass auch die Preise für viele Waren gestiegen sind. Mieten haben sich teilweise verdreifacht. Nach Umfrageergebnissen des US-amerikanischen National Democratic Institute for International Affairs (NDI) sind damit 57 Prozent der Bevölkerung unzufrieden.

Den Georgiern geht es nicht nur ums Geld. 2008 hat Russland Georgien angegriffen und die Unabhängigkeit zweier abtrünniger Regionen – Abchasien und Südossetien – anerkannt. Seit dieser Zeit, also seit über 14 Jahren, leben die Georgier in der Furcht, dass Moskau wieder angreifen könnte. Nach dem Überfall auf die Ukraine ist diese Furcht noch größer geworden.

Im April 2022 sehen nach Angaben des US-amerikanischen International Republican Institute (IRI) 90 Prozent der Georgier in Russland die größte politische Bedrohung Georgiens. Andrej Lemsjakow lebt in Georgien ruhiger als in Russland. Darum will er hier lange bleiben und hofft, dass die Einheimischen sich daran gewöhnen. „Die Leute hier würden es vorziehen, wenn sie sich problemlos mit den Menschen unterhalten könnten, die ins Land kommen.“

Darum hat er schon eine neue Geschäftsidee. Er gibt allen Expats ermäßigte Eintrittskarten, die ihm beim Kauf auf Georgisch sagen „Ich lerne Georgisch“.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!