Lkw-Streik mit Fahrern aus Georgien: Moderne Sklaverei auf Rädern

Seit Wochen streiken Lkw-Fahrer aus Georgien und Usbekistan auf einer Raststätte bei Darmstadt. Sie werfen ihrem Arbeitgeber Ausbeutung vor.

Lkw-Fahrer liest auf seinem Smartphone neben den Lkws während eines Streiks

Lkw-Lesepause: Ein Fahrer liest während des Streiks auf seinem Smartphone Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

TBLISSI taz | Die letzten fünf Jahre hat Wasil Itschirauli in einem Lastwagen gelebt. Er hat Waren von Ost- nach Westeuropa transportiert und praktisch nichts anderes gesehen, als Straßen und Ampeln. Doch seit Ende März sind Wasil und 64 andere Lkw-Fahrer, die für den polnischen Geschäftsmann Łukasz Mazur arbeiten, im Streik. Die Mehrheit von ihnen kommt aus Georgien und Usbekistan. Die Fahrer haben ihre Trucks in der Nähe der hessischen Kleinstadt Weiterstadt abgestellt. Sie sagen, dass ihr Arbeitgeber sie ausbeute und bereits seit zwei Monaten keinen Lohn bezahlt habe.

Itschirauli hat kein Arbeitsvisum. Der Arbeitgeber hatte zwar versprochen, ihm mit den Dokumenten zu helfen, doch es passierte nichts

Der 35-Jährige Itschirauli ist 2017 von Georgien nach Litauen gegangen. Seit über einem Jahr arbeitet er für die polnische Firma Mazur und habe nie den versprochenen Lohn von 2.650 Euro in voller Höhe ausbezahlt bekommen. „Vor Kurzen ist an meinem Lkw die Lüftungsklappe im Dach kaputtgegangen. Dafür wurden mir am Monatsende 1.500 Euro vom Gehalt abgezogen“, sagt Itschirauli. So laufe das ständig.

Zwar seien alle Fahrzeuge versichert, aber beim geringsten Schaden müssten die Fahrer dafür aufkommen. Zudem seien ihnen oft freie Tage verweigert und Überstunden nicht bezahlt worden. Schlafen und essen, das müsse man fast die ganze Zeit hinter dem Steuer erledigen. Itschirauli hat kein Arbeitsvisum. Der Arbeitgeber hatte zwar versprochen, ihm mit den Dokumenten zu helfen, doch es passierte nichts.

Der Arbeitgeber stieß Drohungen aus und tauchte am 7. April mit bewaffneten Männern auf. Diese versuchten, den Fahrern ihre Lkws wegzunehmen. Inzwischen haben 50 Streikende ihr Gehalt nachbezahlt bekommen. Aber Leute wie Wasil haben das abgezogene Geld für die Reparatur nicht erstattet bekommen. Dieser kleine Sieg ist den georgischen Gewerkschaften zu verdanken, so Itschirauli. Gleich zu Beginn des Streiks hatten sich die Fahrer an sie gewandt. Dieser informierte die deutschen und niederländischen Gewerkschaften. Der Vorsitzende des georgischen Gewerkschaftsverbandes, Irakli Petriaschwili, reiste vor einigen Tagen nach Weiterstadt.

Für Petriaschwili war es nicht der erste derartige Fall. Viele georgische Staats­bür­ge­r*in­nen, die nach Europa gingen, arbeiteten unter schwierigsten Bedingungen. Zum Beispiel hätten Georgier*innen, die 2021 in Deutschland als Erd­beer­pflü­cker*­in­nen beschäftigt waren, nur drei Euro pro Stunde verdient – drei mal weniger als der Mindestlohn.

EU-Maßnahmen zum Schutz aller Ar­beit­neh­me­r*in­nen

Einige Tage vorher kamen EU-Abgeordnete mit den Streikenden zusammen. Am 18. April räumten EU-Parlamentarier bei einem Treffen in Straßburg ein, dass es systemische Probleme in der Europäischen Union (EU) gebe – Menschen aus Drittstaaten, insbesondere Lkw-Fahrer, würden oft ausgebeutet. „Die EU-Maßnahmen zum Schutz aller Ar­beit­neh­me­r*in­nen werden nicht richtig angewendet und sind zum Teil nicht ausreichend“, sagte Gabriele Bischoff der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten.

„Egal, wie sehr ich in Polen ausgebeutet werde, in Georgien war es noch schlimmer“, erzählt der 44-jährige Koba Kwantaliani. Die meiste Zeit seines Lebens hat er im kleinen Dorf Kazreti, im Westen Georgiens, verbracht. Dort, bei der Goldmine, fuhr er auch einen Lastwagen. Er musste 12 Stunden am Tag arbeiten, oft schob er auch Nachtschichten. Dafür erhielt er monatlich 1.700 Lari (umgerechnet 607 Euro).

Vielleicht nur für ein paar Monate wird er nach Georgien zurückfahren, denn seit September hat er seine Frau und Töchter nicht gesehen. Dasselbe berichtet Itschirauli. Er hat seine Familie seit zwei Jahren nicht getroffen. „In Georgien gibt es keine Perspektiven, um die Familie zu ernähren.“ Seine Familie – das sind seine Frau, sein dreijähriger Sohn und die Eltern, die bereits in Rente sind. Diese beträgt durchschnittlich umgerechnet rund 90 Euro monatlich. Ein Durchschnittsgehalt liegt bei 500 Euro.

2021 lebten 17 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Beide Männer sagen, dass sie nicht mehr in Polen arbeiten würden. Ihre größte Hoffnung sei ein Arbeitsvisum in Deutschland. Nach Angaben des Statistischen Dienstes der EU haben in den vergangenen neun Jahren über 110.000 georgische Staats­bür­ge­r*in­nen versucht, in EU-Ländern Asyl zu erhalten. Die überwiegende Mehrheit der Anträge wurde abgelehnt.

Aus dem Russischen von ­ Barbara Oertel

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