Westukraine: Nirgendwo Sicherheit vor Angriffen
Auch im Westen der Ukraine sind immer häufiger Städte und Ortschaften Ziele russischer Luftschläge. So soll die Bevölkerung weiter zermürbt werden.

Die Region Tscherniwzi in Südwesten des Landes, die an Rumänien und die Republik Moldau grenzt, gilt als eine der sichersten in der Ukraine und ist zu einem wichtigen Zufluchtsort für Binnengeflüchtete aus den östlichen Teilen des Landes geworden. Bisher blieb sie von russischen Luftangriffen weitgehend verschont – doch damit scheint es jetzt auch hier vorbei zu sein.
Der Luftalarm begann um halb drei Uhr morgens. Bereits von Weitem war bei der Anfahrt mit einem Bus grelles Leuchten zu sehen, ausgelöst von der ukrainischen Luftabwehr, die versuchte die russischen Geschosse zu eliminieren. Gegen 3.30 Uhr war im Stadtzentrum das typische laute, unheilvolle Brummen einer Shahed-Drohne und die ukrainische Luftabwehr zu hören, letztere auch zu sehen – dasselbe wiederholte sich gegen 4.15 Uhr. Kurz nach fünf Uhr war es vorbei.
Der Gouverneur der Region Tscherniwzi Ruslan Saparanjuk richtete sich noch in der Nacht in seinem Telegram-Kanal mit Nachrichten an die Menschen, die mit roten Ausrufezeichen versehen sind: „!! Gefahr durch den Einsatz von Drohnen! Begeben Sie sich in Luftschutzkeller!“ „!! Tscherniwzi – SOFORT in Deckung gehen!! Luftabwehr im Einsatz!!“ „!! ACHTUNG!! Raketengefahr!! Region Tscherniwzi – alle in die Luftschutzkeller!“
Die Zermürbungstaktik wirkt
Der Gouverneur erinnerte auch daran, auf keinen Fall Foto- oder Video-Aufnahmen von der Luftabwehr zu machen und sie in den sozialen Netzwerken zu verbreiten, das könnte dem Feind wichtige Hinweise geben.
Am nächsten Morgen teilte Saparanjuk mit, dass vier Shahed-Drohnen und eine Rakete auf die Region Tscherniwzi abgeschossen worden seien. Demnach kamen durch Trümmerteile zerstörter Geschosse zwei Zivilist:innen ums Leben, ein 43-jähriger Mann und eine 26-jährige Frau. Zahlreiche Menschen wurden verletzt, zwei davon befinden sich laut des öffentlichen regionalen Rundfunks Suspile Tscherniwzi im künstlichen Koma.
„Derzeit setzen alle zuständigen Dienste ihre Arbeit am Ort des Einschlags der abgeschossenen Rakete fort: Sie räumen Trümmer weg und dokumentieren die Kriegsverbrechen der Russischen Föderation gegen die Zivilbevölkerung“, so der Gouverneur. Mehrere Wohnhäuser, Geschäfte, Verwaltungsgebäude, ein Kindergarten und Autos wurden beschädigt.
Vielen Bewohner:innen ist anzusehen, dass sie kein Auge zugetan haben. Anders als in östlichen Landesteilen und in der Hauptstadt Kyjiw sind hier nächtliche Luftangriffe noch nicht zur Routine geworden. „Zwei Leichen“, „Shaheds“, „Scheiß Russen“ heißt es. „So etwas Schlimmes hatten wir bisher nicht“, sagt die Mitarbeiterin eines städtischen Museums gegenüber der taz.
Pause vom Krieg
Südwestlich von Tscherniwzi liegt das Karpatengebirge, das ein beliebtes Urlaubsziel ist. Dort finden aktuell zahlreiche Sommercamps für Kinder und Jugendliche statt – einige speziell für Kinder aus frontnahen oder von Russland besetzten Gebieten. Sie sollen hier eine Pause vom Leben im Krieg bekommen.
Mit seiner Attacke hat Moskau ein weiteres unheilvolles Signal an die Menschen in der Ukraine gesandt: Nirgends ist man sicher, der Terror aus der Luft kann jede/n überall treffen.
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