Russische Kampfjets über Estland: Muskeln zeigen im Luftraum
Das Eindringen russischer Kampfflugzeuge in Nato-Gebiet wirft Fragen auf. Zwei Wissenschaftler verweisen auf die Praxis in der westlichen Allianz.

Im Gespräch mit der taz verweisen zwei Wissenschaftler darauf, dass der Umgang der Nato in solchen Fällen seit Jahren einer geübten Praxis folge.
„Der Einsatz von Waffengewalt muss autorisiert werden und ist immer die Ultima Ratio. In diesem Fall würde ich die Forderungen danach als Unsinn bezeichnen“, sagte Frank Kuhn vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Ähnlich sieht es Ulrich Kühn vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. „Ich sehe kein Defizit.“ Man könne davon ausgehen, dass der Umgang mit solchen Fällen bei der Nato eingeübt sei, sagte er.
Am Montagnachmittag sollte auf Antrag Estlands der UN-Sicherheitsrat in einer Dringlichkeitssitzung über die Luftraumverletzung beraten. Nach Angaben aus Tallinn waren die drei Kampfjets des Typs MiG-31 der russischen Luftwaffe am vergangenen Freitag in den Luftraum Estlands vorgedrungen. Laut Angaben des estnischen Verteidigungsministeriums hielten sich die Flugzeuge für zwölf Minuten im estnischen Hoheitsgebiet auf. Dabei seien an der Grenze zu internationalem Luftraum geflogen und ohne Transpondersignal, Flugplan und Funkkontakt unterwegs gewesen. Russland beteuerte, im Einklang mit internationalen Luftfahrtsregeln keine Grenzen verletzt zu haben.
Einmal die Waffen zeigen
Am Dienstag soll auch der Nato-Rat in Brüssel über den Vorfall beraten. Estland hatte Konsultationen mit den Bündnispartnern nach Artikel 4 des Vertrags der Militärallianz beantragt.Konfliktforscher Ulrich Kühn aus Hamburg sieht in dem russischen Vorgehen ein Muster. „Russische Luftraumverletzungen über Nato-Gebiet kommen seit 2014 regelmäßig vor.“ Moskau erhoffe sich dadurch Erkenntnisse darüber, wie schnell und mit wie vielen Flugzeugen die Nato vor Ort sei. „Auch die Nato lernt von solchen Aktionen, wie so ein russisches Manöver abläuft“, sagt er.
Für solche Luftraumverletzungen gäbe es standardisiertes Vorgehen, sagt Frank Kuhn vom Leibniz-Institut. „Die Signale reichen von der Aufforderung zum Folgen bis zur Aufforderung zum Landen. Eine schärfere Maßnahme sei etwa das Hineinfliegen in den gegnerischen Flugweg. „Das sind aber feste und eingeübte Prozeduren.“ Dabei gehe es darum, versehentliche Eskalationen zu vermeiden. Denn es könne Fälle geben, in denen der Luftraum unbewusst verletzt werde, etwa weil Navigationssysteme ausfielen oder Piloten ohnmächtig würden. „Deshalb soll bei einer Luftraumverletzung in 10 bis 15 Minuten eine Alarmrotte in der Luft sein und gucken, was los ist.“
Ein anderes Mittel sei, dass Abfangjäger die Unterseite ihrer Flugzeuge demonstrierten, um zu zeigen, mit welchen Waffen sie bestückt seien, sagt Ulrich Kühn aus Hamburg. „Da werden gerne mal Muskeln geflext.“ Üblicherweise erreiche man so, dass die feindlichen Flugzeuge abdrehten.
Europapolitikerin Strack-Zimmermann sagte, die Nato habe gut ausgebildete Piloten. Wenn man anfange, eine Grundsatzdiskussion zu führen, wann der Pilot was zu machen habe, wage man sich sehr weit in einen Bereich, von dem die Wenigsten Ahnung hätten.
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