Russische Athleten und Doping: Neutraler Schein, russisches Sein
Russische Athleten müssen infolge des Dopingskandals auch in Peking noch als neutrales Team auftreten. Schlimm findet man das in der Heimat nicht.
Hier ist in der Tat modische Diplomatie gefragt. Denn ein russisches Team darf es bei Olympia seit 2018 eigentlich gar nicht mehr geben. Das ist die Strafe für jahrelanges, staatlich gefördertes Doping der Spitzenathleten, das bei den Spielen 2014 im russischen Sotschi seinen Höhepunkt hatte. Russische Athleten dürfen zwar teilnehmen, aber keine staatlichen Insignien durch die olympischen Sportstätten tragen.
Anastasia Zadorina hat das bei der Präsentation des russischen Olympiaoutfits im Dezember so auf den Punkt gebracht: „Bei der Gestaltung der Kollektion stand unser Team vor der schwierigen Aufgabe, die nationale Identität zu zeigen, ohne die staatlichen Symbole des Landes zu verwenden.“ Die Russen sollen sich also wiederfinden im Design, ohne dass dabei allzu dick aufgetragen wird. Und so finden sich zwar weder die russische Flagge noch ein Wappen auf den Anoraks oder Trikots, aber doch die Staatsfarben Weiß, Rot und Blau in Flammenform über den olympischen Ringen.
Als besondere Verbeugung vor dem Internationalen Olympischen Komitee darf die römische Ziffernfolge XXIV für die 24. Winterspiele in der Geschichte betrachtet werden. Russland, die wegen erwiesener Unsportlichkeit eigentlich ausgeschlossene Nation, huldigt dem Olympismus wie kein anderes der regulären Teilnehmerländer.
Nicht allzu viel ausgelöst
Als der Internationale Sportgerichtshof (CAS) 2020 entschieden hatte, dass Russland zwei Jahre lang von allen Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zu verbannen sei, und somit feststand, dass in Peking 2022 die russische Nationalhymne nicht erklingen werde, löste das im Land der Dopingtäter nicht allzu viel aus. Schnell gewöhnte man sich an Athleten, die unter dem Wappen des jeweiligen nationalen Verbandes antraten.
Es störte in Russland kaum mehr jemanden, dass bei der Handball-WM das Team aus Russland als Mannschaft des russischen Handballverbandes geführt wurde. Und wenn statt der Nationalhymne ein Teil von Pjotr Tschaikowskis Klavierkonzert Nr. 1 für russische Sieger einer Weltmeisterschaft angestimmt worden ist, dann löste das auch außerhalb Russlands kein Entsetzen mehr aus über die schamlosen Betrügereien, die der kanadische Jurist Richard McLaren für seine Berichte an die Welt-Antidopingagentur Wada recherchiert hatte.
Nie neutral gewesen
Als neutrale Athleten, wie es die Wada gefordert hatte, sind russische Sportler nie aufgetreten. Dass aus Russland bis heute kein echtes Schuldeingeständnis gekommen ist, dass die Bestrafung auch deshalb erfolgte, weil die für die Untersuchung der Dopingpraktiken angeforderten Unterlagen aus dem Moskauer Dopinganalyselabor manipuliert wurden, bevor sie endlich übergeben worden sind, mag einmal ein großer Aufreger in der Sportwelt gewesen sein. Aus der olympischen Gegenwart ist das Thema Staatsdoping in Russland beinahe ganz verschwunden.
Mit einer Delegation von mehr als 400 Personen reist das Russische Olympische Komitee nach Peking. Die 149 Athleten aus der nun auch nicht gerade unbedeutenden Wintersportnation Deutschland werden auf der Eröffnungsfeier am Freitag in Peking keinen so machtvollen Auftritt hinlegen wie die Russen. Und während die Deutschen keinen Spitzenpolitiker aus der Heimat auf der Haupttribüne finden werden, dem sie zuwinken könnten, wird der russische Staatspräsident Wladimir Putin vor Ort sein, um die Huldigungen der russischen Mannschaft entgegenzunehmen. Dabei ist auch Putin nach dem Dopingverdikt gegen Russland eigentlich unerwünscht. Warum er dennoch da ist? Ganz einfach: Weil ihn das Internationale Olympische Komitee nicht einladen durfte, ist er kurzerhand vom chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping mit einer Einladung versehen worden.
Medaillen zurück erhalten
In Russland selbst erinnert man sich ohnehin lieber an ein anderes Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs. Vier Jahre ist es her, als der Spruch des CAS etliche russische Athletinnen, denen zuvor Medaillen aberkannt worden waren und die gesperrt wurden, teilweise oder ganz rehabilitiert hat. Die Beweise gegen sie hatten für eine Verurteilung nicht ausgereicht. Und so erhielt Langläufer Alexander Legkow seine Goldmedaille ebenso zurück wie der Skeletoni Alexander Tretjakow die seine.
Russland, das nach den ersten Dopingverfahren auf Platz drei des Medaillenspiegels der Spiele von Sotschi zurückgefallen war, steht seitdem wieder ganz vorne auf der Liste. Und so recht verstehen russische Sportpolitiker immer noch nicht, wie es sein konnte, dass die 28 rehabilitierten Athleten nicht zu den Olympischen Spielen vor vier Jahren nach Pyeongchang reisen durften.
Dopingdiskussionen fernhalten
Das IOC wollte seine Spiele wohl von großen Dopingdiskussionen freihalten. Den aufgebrachten Russen entgegnete das IOC in einem Statement, dass es ja keine Bestrafung sei, wenn man keine Einladung erhielt, und verwies auf ein Zitat des Generalsekretärs des Sportgerichtshofs, wonach dieser gesagt hat, dass das Urteil nicht bedeute, dass die Sportler unschuldig seien. Denn so war das 2018 geregelt.
Auch damals durfte Russland als Sportnation nicht teilnehmen, sogar das Russische Olympische Komitee war suspendiert. Russische Sportler durften nur auf Einladung des IOC an den Wettbewerben in Pyeongchang teilnehmen. Drei Tage nach den Spielen 2018 wurde die Suspendierung des Russischen Olympischen Komitees wieder aufgehoben. Nun wird wieder in Russland entschieden, wer zu den Spielen darf und wer nicht.
Teil des Vertuschungsnetzwerks
Dabei fehlt Russland nach wie vor eine wichtige Voraussetzung, um am internationalen Sportbetrieb, wie er vom IOC und den großen Sportfachverbänden veranstaltet wird, teilzunehmen. Die russische Antidopingagentur Rusada wartet immer noch auf die Anerkennung durch die Wada, die ihr im Zuge des Staatsdopingskandals aberkannt worden ist. Auch das geht aus dem McLaren-Report hervor: Die Rusada war Teil des Vertuschungsnetzwerks in Russland und alles andere als eine Kampforganisation gegen das Doping. Sie steht nun unter dauernder Beobachtung der Wada. Immer wieder wurde festgestellt, dass die nationalen Berichte der Rusada andere Daten aufwiesen als diejenigen, die von der Rusada in das Meldesystem der Wada eingespielt worden sind.
Es gab Führungswechsel in der Rusada, die den Verdacht aufkommen ließen, der russische Sport mische sich nach wie vor zu sehr in die Belange der Organisation ein, die ihn überwachen soll. Im Sommer 2020 wurde mit Juri Ganus ein Chef der Organisation abgesetzt, der kaum ein Blatt vor den Mund genommen hatte, wenn es um die Dopingvergangenheit in Russland ging. Finanzielle Ungereimtheiten wurden ihm vorgeworfen, und er musste seinen Posten räumen.
Konstruierte Vorwürfe
Ganus selbst bezeichnete die Vorwürfe als konstruiert. Erst im Dezember wurde mit Veronika Loginowa eine neue Chefin installiert. Sie soll nun für die Reintegration der Rusada in das weltweite Antidopingsystem sorgen. Loginowa gehört der Disziplinarkommission des Russischen Leichtathletikverbands an, der nun schon seit sieben Jahren vom Internationalen Leichtathletikverband World Athletics ausgeschlossen ist und es nicht schafft, glaubhafte Antidopinganstrengungen zu unternehmen.
Derartige Geschichten über die Schwierigkeiten der Neustrukturierung des russischen Sports haben das Ansehen russischer Athleten über die Jahre nicht gerade verbessert. Dennoch kommt es selten zu deutlichen Äußerungen von Sportlern, die den Wettkampf gegen Konkurrenten aus Russland als unfair anprangern. Einmal jedoch – bei der Biathlon-WM 2017 in Antholz – platzte dem französischen Superstar Martin Fourcade der Kragen. Vor der Siegerehrung der Mixed-Staffel applaudierte er den Russen höhnisch. Zuvor hatte er kritisiert, dass mit Alexander Loginow ein überführter Doper von den Russen nominiert worden war. Die üblichen Shakehands auf dem Podium gab es dann nicht.
Streit um Fourcade
In Russland hat man nicht vergessen, wie Fourcade damals agiert hat. In Peking, wo im olympischen Dorf gerade die Wahl der Athletenvertreter beim IOC läuft, steht auch Martin Fourcade, der fünffache Olympiasieger, zur Wahl. Jelena Sochrjakowa, die russische Eisschnellläuferin, hat russischen Medien gegenüber klargestellt, dass sie in keinem Fall für Fourcade stimmen werde, „weil er viel gegen die Unseren gesagt hat“. Und Eisschnellläufer Ruslan Sacharow kam prompt in Erklärungsnot, als er meinte, er habe für Fourcade gestimmt. „Ich verurteile keine Leute, die Doper verurteilen“, sagte er in einem Interview mit dem Nachrichtenportal sport-express.ru. Und gegen Doping sei er sowieso.
Er habe schließlich 2014 in Sotschi zu den Athleten gehört, die bei der Eröffnungsfeier den olympischen Eid vorgetragen hätten. Der lautet: „Im Namen aller Athleten verspreche ich, dass wir an den Olympischen Spielen teilnehmen und dabei die gültigen Regeln respektieren und befolgen und uns dabei einem Sport ohne Doping und ohne Drogen verpflichten, im wahren Geist der Sportlichkeit, für den Ruhm des Sports und die Ehre unserer Mannschaft.“ Wenn es nur so einfach wäre.
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