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Russische Angriffe in der SüdukraineBrennende Äcker

Die südukrainische Stadt Mykolajiw wird stark beschossen. Die russische Armee zielt dabei vor allem Getreidespeicher und Lager für Sonnenblumenöl.

Schwarzer Rauch über Mykolajiw: Täglich werden dort Dutzende Hektar Weizen vernichtet Foto: Volodymyr Kutsenko

Mykolajiw taz | Die südukrainische Stadt Mykolajiw liegt zwischen Odessa und dem besetzten, 60 Kilometer entfernten Cherson. Im Frühling konnten russische Kampfeinheiten bis Mykolajiw vordringen und kesselten die Stadt ein. Die ukrainische Armee konnte die Besatzer jedoch aus dem Gebiet zurückdrängen. Auf diese Weise ist Mykolajiw praktisch zum Vorposten von Odessa geworden. Auch Militärexperten sagen, dass ohne die Einnahme von Mykolajiw eine Landung russischer Truppen zur Okkupation von Odessa nicht möglich ist. Deshalb sind auch Mykolajiw und das umliegende Gebiet permanent unter russischem Beschuss.

In der vergangenen Woche wurde die Region Mykolajiw täglich angegriffen, und die Stadtverwaltung verkündet ständig neue Opferzahlen und Zerstörungen. An nur einem Tag, dem 21. Juni, wurden 18 Menschen verwundet. Derzeit werden die Schusswunden von 274 Menschen in den Krankenhäusern von Mykolajiw behandelt. Bewohner berichten, dass die Intensität und Häufigkeit der Luftangriffe in der Region in den letzten Tagen deutlich zugenommen haben. Durch diese Angriffe werden nicht nur Wohnhäuser und Infrastruktur zerstört, sondern es brennen auch Ackerflächen, auf denen die Ernte schon begonnen hat. Dadurch werden täglich Dutzende Hektar Weizen vernichtet.

Den Raketenbeschuss am 22. Juni, als in Mykolajiw sieben Marschflugkörper gleichzeitig einschlugen, nannte die lokale Militärverwaltung den bislang stärksten seit Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukrai­ne. Infolge dieses Angriffs gab es mehrere heftige Detonationen, und über der Stadt war eine schwarze Rauchwolke zu sehen. Durch die Druckwellen wurden Fenster und Türen zerstört und Dächer von fünf nahe gelegenen Wohnhäusern sowie Schulen beschädigt.

Später wurde bekannt, dass es sich um einen gezielten Raketenangriff auf Lagertanks für Sonnenblumenöl handelte. Die Löscharbeiten der betroffenen Fläche von 300 Quadratmetern dauerten neun Stunden. Die Anwohner reagierten in den sozialen Netzwerken mit Ironie: „Die Okkupanten haben Sonnenblumenöl ‚entmilitarisiert‘.“

Nahrungsmittelkrise wird verschärft

Es ist nicht der erste russische Angriff auf strategische Reserven in der Region Mykolajiw. Im Juni hatten die Russen den zweitgrößten Getreidespeicher der Ukraine im Hafen von Mykolajiw zerstört, ein Feuer brach aus, und ein Lager mit Getreideschrot brannte nieder.Experten betonen, dass Russland solche Einrichtungen in der Ukraine absichtlich zerstört, um die Nahrungsmittelkrise vor dem Hintergrund der blockierten Seehäfen zu verschärfen.

Doch die Menschen in Mykolajiw lassen sich nicht unterkriegen. Einer der Gründe dafür ist die erfolgreiche Gegenoffensive der ukrainischen Armee in der Region Cherson. Die ukrainischen Soldaten haben in den letzten anderthalb Monaten aktiv Dörfer in Richtung Cherson befreit. Für die Mykolajiwer bedeutet dies außer einem Rückgewinn von Land unter ukrainischer Kontrolle auch eine Verschiebung der Front­linie von ihrer Stadt weg. Einigen Berichten zufolge ist die ukrainische Armee zehn Kilometer von Cherson entfernt, was auf mögliche Kämpfe um die Stadt in naher Zukunft hinweisen könnte.

Von entscheidender strategischer Bedeutung ist in diesem Teil des Schwarzen Meers auch die kleine Schlangeninsel, die derzeit unter russischer Kon­trol­le ist. Die ukrainische Seite hat in den letzten Tagen erfolgreiche Angriffe auf russische Infrastruktureinrichtungen auf der Insel gemeldet. Unter den zerstörten russischen ­Kriegsgeräten sind nach Angaben der ukrainischen Seite zwei Kurzstrecken-Flugabwehrraketen-Systeme und eine Radarstation.

Zuvor hatte der Chef des ukrainischen Geheimdienstes, Kyrylo Budanow, erklärt, dass die Ukraine so lange um die Schlangeninsel kämpfen werde, wie es nötig sei. Denn die Kontrolle über diese Insel würde den ukrainischen Schiffsverkehr freigeben und es unmöglich machen, Truppen in der Nähe von Odessa anzulanden und militärische Einheiten in der selbst ernannten Region Transnistrien zu unterstützen.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

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6 Kommentare

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  • Tja, wer hätte gedacht, dass Schwarzerdeböden Teil des Kuchens sind um den gestritten wird und eine andauernde Konfliktnichtbewältigung verbrannte Erde zurücklassen!1!!

    Wer für Umweltschutz ist, der ist auch gegen jeden Krieg!

    Btw., wird Krieg eigentlich CO2-büdgetiert?

  • Wenn Russland so weitermacht wird es für den Hungertod von Millionen verantwortlich sein.

    • @Machiavelli:

      Der Artikel sagt etwas anderes: www.tagesschau.de/...-russland-101.html

      • @Wurstfinger Joe:

        man sollte sich immer auf den schlimmsten Fall einstellen.

        • @Machiavelli:

          Ja genau, erst einmal ordentlich selbst preppen, dann ist selbst der Nachbar nicht mehr von belang, das ist der beste Rat ever ... solange nicht auf einen selbst die Bombe fällt brauchste keine Hilfe/Kontakte ...

        • @Machiavelli:

          Betrachtet man die Anteile, die die Ukraine am globalen Weizenexport hat und wohin dieser geliefert wird, ist dieser Artikel realistisch. Mir kommt es eher so vor, als hätte wieder mal der "Markt" etwas geregelt.