Rundfahrt „Kurswechsel“ in Bremerhaven: Mit Tiefgang im Hafen
In Bremerhaven gibt die Rundfahrt „Kurswechsel“ Einblicke in die Schattenseiten der Schifffahrt – mal im Hafenbus und mal in einer Barkasse.
Neuerdings ermöglicht auch in Bremerhaven das Bremer entwicklungspolitische Netzwerk (BEN) einen kritischeren Blick: Die Rundfahrt „Kurswechsel“ findet mal mit dem Hafenbus und mal auf einer Barkasse statt. Sie wird seit einem Jahr auf Anfrage für Gruppen ab 20 Personen angeboten. Termine vergibt das BEN, das die Tour in Kooperation mit der Seemannsmission und dem Nord-Süd-Forum Bremerhaven konzipiert hat und sie, auch mit Hilfe von Ehrenamtlichen, durchführt.
Auf einer Fahrt sind Johanna Zschornack, Luzie Krüger und André Fischer die Crew. Während der Bus Kajen, Kräne und Schiffe passiert, nehmen sie die Gäste in Gedanken mit auf die Reise: Kapitäninnen und Offiziere seien drei Monate an Bord, die anderen Crewmitglieder neun bis elf Monate. Man ist also lange von denselben Menschen umgeben.
„Vielleicht kannte man sich schon vorher, vielleicht nicht. Vielleicht spricht man nicht dieselbe Sprache.“ Vielleicht ist das Schiff modern und sauber, hat Aufenthalts- und Fitnessraum. Oder es ist alt, ohne Freizeitmöglichkeiten und ständig ist etwas kaputt. Das Essen kann zu wünschen übriglassen: „Es ist möglich, dass es seit Wochen keinen Kaffee gibt, kein frisches Obst. Die Lebensmittelpreise können sehr teuer sein mitunter, sodass die Reedereien untersagen, in Europa einkaufen zu gehen.“
„Kurswechsel“: wieder am Fr, 15. 8., 18.30 Uhr, Treffpunkt am Anleger vor dem Auswandererhaus Bremerhaven. Infos: bben-bremen.de/kurswechsel/
Die Gedankenreise, auf die Zschornack, Krüger und Fischer mitnehmen, berührt auch Ängste: Vor Stress mit der Reederei und Angriffen im Roten Meer. Währenddessen fährt der Bus vom Deutschen Schifffahrtsmuseum bis zum Nordende des Containerterminals.
Das Team verortet Schifffahrt historisch und politisch. Bremen und Bremerhaven haben als Teil des globalen Nordens von der Globalisierung profitiert, auf dem Rücken des globalen Südens, so der Tenor. Schiffe beförderten zum Beispiel Auswanderer von hier fort und „Kolonialwaren“ wie Zucker und Tabak her. Die Waren wurden unter „schwierigen, unmenschlichen, sklavenähnlichen“ Bedingungen oder tatsächlich in Sklaverei hergestellt und transportiert.
Nah heran rückt das, als der Bus den Edeka-Markt beim Zolltor Rotersand passiert. Der Name Edeka entstand einst aus der Abkürzung „E. d. K.“ und die stand für „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin“. Das wird auf der Tour angesprochen und Edeka bestätigt es auf Anfrage.
Die Kolonialzeit wirke weiter, durch ungleiche Kräfteverhältnisse und ungleiche Wohlstandsverteilung. Klar sei zugleich, dass unser Leben ohne Schifffahrt so nicht funktionieren würde.
Der „Kurswechsel“ hält kein Plädoyer gegen die Schifffahrt, sondern will Schattenseiten bewusst machen. Und jede:r könne das Los der Seeleute verbessern helfen. Durch Nachfragen bei Unternehmen, wie ihre Waren verschifft werden. An der Wahlurne, weil Regelwerke wie die Maritime Labour Convention auch von Regierungen gemacht werden. Oder bei Organisationen wie der Seemannsmission, die sich vor Ort engagieren.
Eine Hafenrundfahrt mit Tiefgang. Denkbar sei eine ähnliche Tour künftig auch in Bremen, sagt Zschornack, die beim BEN arbeitet. In Hamburg hat die dortige Hafengruppe des Vereins zur Förderung entwicklungspädagogischer Arbeit ihre Rundfahrten inzwischen thematische Schwerpunkte gegeben. So gibt es eine „energiepolitische Hafenrundfahrt“ unter dem Titel „Gegen den Strom“ und eine, die sich der Frage widmet, ob Piraten „glorreiche Halunken oder Abgehängte dieser Welt“ gewesen sind.
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