Rüttgers sucht den Streit: KOMMENTAR VON KLAUS JANSEN
Nun ist endlich eingetreten, was Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers immer gefordert hat: Die Bergleute verlassen ihre Stollen. Allerdings tun sie das nicht, um sich White-Collar-Jobs in aufstrebenden Biotechnologie- oder Informatikschmieden des Ruhrgebiets zu suchen. Sondern um zu demonstrieren. Mit dem Aufmarsch der Kumpels vor dem Düsseldorfer Landtag hat der Streit um den Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohlebergbau gestern also doch noch seinen folkloristischen Höhepunkt erhalten.
Lange hatten die Bergleute das Ringen um ihre Zukunft stillschweigend beobachtet. Vor Fernsehkameras war den Männern nach Schichtende nicht viel mehr als ein mürrisches Brummen zu entlocken. Doch mit seiner Forderung, den großkoalitionären Kompromiss aufzuschnüren und den Kohleabbau schon im Jahr 2014 statt erst 2018 zu beenden, hat Rüttgers sie doch noch aufgeschreckt. Der Ministerpräsident hat damit den offenen Konflikt mit einer Zunft heraufbeschworen, die zu den gewerkschaftlich immer noch am besten organisierten Berufsgruppen im Lande gehört.
Dass Rüttgers zur Eskalation bereit ist, ist mutig. Umfragen zufolge sind 70 Prozent der Bürger an Rhein und Ruhr gegen einen Ausstieg aus der Steinkohle. Doch Rüttgers hat seinen Wahlkampf mit einem strikten Antikohlekurs gewonnen. Die Bergbaufrage zu lösen, ist für ihn essenziell: nicht nur, weil erst ein Ende der Buddelei im ehemaligen Herzland der Sozialdemokraten den Machtwechsel in Düsseldorf wirklich offensichtlich macht. Sondern vor allem, weil nur ein Ende der Subventionen dem Land den finanziellen Spielraum für eine eigenständige Strukturpolitik gibt.
Vor allem aus diesem Grund gibt sich Rüttgers nicht damit zufrieden, der SPD den Verzicht auf den Sockelbergbau abgerungen zu haben. Er will mehr – und er steht unter Druck: Wer nachrechnet, der wird herausfinden, dass NRW den Kompromiss teuer erkauft hat und nun Gefahr läuft, auf den Folgekosten sitzen zu bleiben. Um das zu vermeiden, riskiert Rüttgers nicht nur betriebsbedingte Kündigungen – sondern auch sein sorgsam gepflegtes Image als Arbeiterfreund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen