Rückreise vom CSD Bautzen: Polizei will nicht vor Nazis schützen
Berliner Rechtsextreme bedrohten auf der Rückreise vom CSD eine Vielzahl von Menschen. Der Polizei war das an vielen Stellen kein Eingreifen wert.
Die größte Gruppe mit etwa 40 Berliner Neonazis, bestehend vor allem aus Mitgliedern der Gruppierungen „Deutsche Jugend Voran“ und „Deutsche Patrioten Voran“, reiste mit der Bahn von Bautzen über Görlitz und Cottbus nach Berlin.
Am Bahnhof in Bautzen trafen sie auf etwa 60 CSD-Teilnehmer:innen aus Berlin, wie ein Augenzeuge der taz berichtet. Die Polizei habe beide Gruppen getrennt, dann auch unter Gewaltanwendung die Linken vom Bahnsteig geräumt und schließlich nur die Neonazis abfahren lassen. Die CSD-Besucher:innen nahmen einen Zug zehn Minuten später.
Doch beim Umstieg in Görlitz trafen die Gruppen wieder aufeinander. Die Nazis seien merklich angetrunken gewesen und provozierend zum Bahnsteig gekommen. Allen voran der vor vier Monaten wegen schwerer Gewalttaten zu einer mehr als dreijährigen Haftstrafe verurteilte DJV-Kader Julian M., der noch immer nicht zum Haftantritt geladen worden ist, wohl weil sich der Verfassungsschutz so neue Erkenntnisse erhofft. „Die Nazis haben sich aufgebaut, gebrüllt und rumgefuchtelt“, schildert der Augenzeuge. Beide Gruppen standen sich demnach teilweise vermummt gegenüber, beobachtet von nur zwei Polizisten.
Polizei wollte Gruppen einfach fahren lassen
Obwohl dann mehr Polizei hinzugekommen sei, sollte der Zug mit beiden Gruppen ohne Begleitung abfahren, was nur durch eine Zugbegleiterin verhindert worden sei. Ein Polizist habe sie gefragt, welche der Gruppen sie aus dem Zug werfen sollten, schließlich traf es die Rechten. Doch wieder hielt die Trennung nur bis zum Umstieg in Cottbus, wo die letzte Regionalbahn nach Berlin mit ihrer Abfahrt auf den nächsten Zug aus Görlitz und damit auf die Rechtsextremen wartete.
In Cottbus sei trotz der vorherigen Ereignisse kein einziger Polizist am Bahnhof gewesen, stattdessen aber örtliche Neonazis. Im wartenden Zug habe man zunächst alle anderen Fahrgäste vor den Nazis gewarnt und sich dann im letzten Waggon verschanzt, so der Augenzeuge: „Wir haben darauf gehofft, dass die Bundespolizei mit einsteigt und uns irgendwie hilft. Aber die haben uns allein gelassen.“
Bedrohliche Situationen habe er bei dem Ausflug nach Bautzen erwartet, so der Augenzeuge, der sich der Fahrt zum CSD zum Schutz der Teilnehmer:innen angeschlossen hatte. Doch er habe nicht damit gerechnet, dass die Polizei vor allem in den Zügen für keinerlei Trennung sorgte, wie es etwa bei Gefahrenbegegnungen im Fußball üblich ist.
Zugbegleiterin sorgt für Sicherheit
Die einzige Helferin im Zug aus Cottbus war erneut eine Zugbegleiterin, die die Türen zwischen den Waggons verschloss. Bis nach Berlin versuchten Neonazis immer wieder den Durchgang gewaltsam zu öffnen, kamen aber nicht durch. Ihre Angriffslust entlud sich dann beim Ausstieg am Ostkreuz gegen die beiden Journalist:innen, die getreten und geschlagen wurden. Beide hatten auf den Zug gewartet, weil die mitfahrenden Queers und Linken einen Hilferuf abgesendet hatten.
Doch auch hier war die Polizei zunächst wenig aktiv, wie die Fotograf:innen der taz berichteten. Ihre Bitte, sie zum Zug mit den Neonazis zu begleiten, sei mit dem Hinweis abgeschmettert worden, man sei nicht ihr Personenschutz. Bei der Abfahrt des Zuges, in dem die Queers verblieben waren, erfolgte dann der Angriff. Erst danach setzte die Polizei zwölf Neonazis fest.
Tätig wurde die Polizei dann noch am Alexanderplatz, wo sich spontan bis zu 200 Antifaschist:innen versammelt hatten, um den CSD-Teilnehmer:innen ein sicheres Ankommen in Berlin zu ermöglichen. Vor allem Menschen in schwarzen Jacken seien hier Polizeikontrollen unterzogen worden, teilweise sei es auch zu Verfolgungsjagden gekommen, bei denen Antifas von der Polizei zu Boden gerissen wurden, so der Augenzeuge.
Queeres Paar flieht aus Zug
Wie gefährlich die unbegleitete Abreise der Neonazis aus Bautzen war, zeigt auch ein weiterer Vorfall. Belinda Möller (Name geändert) berichtet der taz, dass sie an dem Nachmittag in Görlitz eine Regionalbahn nach Hoyerswerda bestieg, in der sich eine Gruppe von etwa einem Dutzend Neonazis befand. Laut Möller sei auch diese aus Bautzen kommend auf dem Weg nach Berlin gewesen. Mit dem Zug sei zudem ein queeres Paar mit einer Trans-Flagge gefahren, das von den Nazis beschimpft worden sei.
Eine Station nach der Abfahrt habe das Paar fluchtartig den Zug verlassen, unter Gebrüll der Neonazis. „Sie hoben die Fäuste und brüllten mehrfach 'Es gibt kein Recht auf Schwulen-Propaganda“, so Möller. Die beiden seien weinend auf dem Bahnsteig zurückgeblieben, wollten da erkennbar nicht aussteigen. Möller schildert den Vorfall als „zutiefst bedrohlich“.
Beim Umstieg in Hoyerswerda hätten die Neonazis weitere Menschen als „Zecken“ und „Fotzen“ angepöbelt. Möller rief den Polizei-Notruf, schilderte den Vorfall aus dem Zug und das Abspielen rassistischer Lieder. Tatsächlich holten daraufhin Polizisten die Neonazis auf dem abfahrbereiten Zug, kontrollierten ihre Personalien – und ließen sie wieder einsteigen und unbegleitet abfahren.
Möller hingegen blieb zurück, voller Angst, für ihre Zivilcourage erkannt zu werden. Sie ließ sich von einem Freund abholen.
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